Schweinegrippe:Die unfassbare Gefahr

Experten können das Katastrophenpotential der Grippe noch nicht abschätzen. Die Gefahr durch ein Super-Virus ist womöglich so groß wie nie.

Werner Bartens

Manche Worte bekommen dieser Tage eine andere Bedeutung, einige eine ungeahnte Wucht. Grippe - das klang bisher für die meisten Menschen harmlos, auch wenn die "normale" Grippe jedes Jahr Tausende Tote allein in Deutschland fordert.

Schweinegrippe: Menschen mit Atemmaske illustrieren akute Gefahr. Leider alarmieren diese Bilder meist erst dann die Bevölkerung, wenn es zu spät ist.

Menschen mit Atemmaske illustrieren akute Gefahr. Leider alarmieren diese Bilder meist erst dann die Bevölkerung, wenn es zu spät ist.

(Foto: Foto: dpa)

Die Vogelgrippe ist zumindest für die Bewohner der Industrieländer eine ferne und vergangene Bedrohung, die allenfalls noch in asiatischen Hinterhöfen ihr Unwesen trieb. Und Schweinegrippe? Das hört sich nach Bauernhof an und nach Amtstierärzten, die das Leiden mit den richtigen Medikamenten und strenger Hygiene nach ein paar Tagen schon in den Griff bekommen werden.

Doch jetzt ist die Grippe, genauer: die Schweinegrippe zu einer tödlichen Bedrohung geworden - und zwar für Menschen. Die wandelbaren Influenzaviren aus Schwein, Vogel und Mensch haben ihr Erbgut vermischt. Herausgekommen ist ein Erreger "mit Potential".

Experten wählen diesen Ausdruck, weil sie nicht abschätzen können, wie gefährlich das neue Virus tatsächlich ist. Bedrohlichere Eigenschaften als die Vogelgrippe hat die Schweinegrippe jedoch allemal, denn anders als jene kann sie von Mensch zu Mensch übertragen werden.

Über Nacht ist plötzlich von einem weltweiten Seuchenzug die Rede, von einer Pandemie, die mit der Spanischen Grippe von 1918/19 verglichen wird, als Millionen Menschen den Viren zum Opfer fielen.

Bilder von Menschen mit Atemmasken, geschlossene Schulen und Veranstaltungsorte illustrieren, dass lange vor den Viren die Angst und der Verdacht angekommen sind. Dazu trägt auch eine mediale Pandemie bei. Den Viren gleich verbreiten sich Informationen in Windeseile um den Globus, seriöse Berichte wie gehetzte Panikmache.

Dabei ist die Gefahr einer Seuche womöglich tatsächlich so groß wie nie. Den meisten Menschen fehlen jedoch Phantasie und naturwissenschaftliche Kenntnisse, um diese Bedrohung wahrzunehmen. Jahrelang warnten Virologen davor, dass die Influenza-Viren aus Vögeln, Schweinen und Menschen ihre gefährlichsten Eigenschaften in einem neuen "Super-Virus" kombinieren könnten.

"Potentielle Gefahr war immer da"

Die Schwere der Beschwerden könnte von den tierischen Erregern stammen, die leichte Übertragbarkeit von den menschlichen Viren. Immer wieder hieß es, die neuen, mutierten Mikroben könnten schon am nächsten Tag entstehen oder im nächsten Jahr - vielleicht aber auch erst im nächsten Jahrzehnt oder Jahrhundert.

Die potentielle Gefahr war immer da und damit war sie auch schnell wieder aus dem Blickfeld verschwunden. Die vage Zeitangabe, wann das Super-Virus entstehen könnte, und die Verdrängung des Unsichtbaren führten dazu, dass die meisten Menschen solche Warnungen nicht ernst nahmen.

Viren kann man nicht sehen, riechen oder schmecken. Sie sind sinnlich kaum zu erfassen, diese Eigenschaft teilen sie mit Strahlen, Genen und dem Klimawandel. Erst Bilder vom Ernstfall oder den Folgen der Bedrohung - der Eisbär auf dem Sprung zur nächsten Scholle, der zerstörte Unglücksreaktor oder eben jetzt: Menschen mit Atemmaske - illustrieren akute Gefahr. Leider alarmieren diese Bilder meist erst dann die Bevölkerung, wenn es zu spät ist. Ein anschauliches Bild, ein Symbol für die latente Bedrohung durch Viren, die zu gefährlicheren Viren werden, gibt es hingegen nicht.

Jetzt könnte eine neue und gefährlichere Grippe entstanden sein. Doch niemand außer ein paar Experten wollte die permanente Bedrohung vor dem Ernstfall zur Kenntnis nehmen. Sie war wohl zu schleichend und zu abstrakt. Die Weltgemeinschaft ist daher auch nicht gegen einen globalen Seuchenzug gewappnet; Forschung und Pandemiepläne sind unbefriedigend. Erkranken tatsächlich Millionen Menschen, stehen weder genug Medikamente noch Therapieplätze zur Verfügung. Einen Impfstoff gibt es sowieso frühestens in ein paar Monaten.

"Kein Experte kann das Katastrophenpotential vorhersagen"

Es kann sein, dass die Schweinegrippe in wenigen Tagen vorbei sein wird, manche Infektionen begrenzen sich aus unbekannten Gründen selbst. Kein Experte kann derzeit das Katastrophenpotential dieser Grippe vorhersagen. Womöglich fordert sie aber auch auf allen Kontinenten Opfer und zeigt der Welt der eng geknüpften Verkehrsströme, um wie viel verletzlicher sie trotz aller Errungenschaften der Medizin geworden ist.

Dabei ist weder die Schweine- noch die Vogelgrippe von Menschen ausgelöst worden. Menschen tragen jedoch dazu bei, dass sich Epidemien immer schneller ausbreiten und schwerer zu begrenzen sind. Aids gab es wohl schon in den dreißiger Jahren, doch erst mit den großen Transitstraßen im afrikanischen Dschungel gelang es den Viren, sich nicht nur im Urwald, sondern auch im Rest der Welt zu verbreiten. Ebola, Sars und die Schweinegrippe flammten immer wieder auf, aber erst seitdem bisher entlegene Orte an das globale Verkehrsnetz angeschlossen sind, ist die Erkrankung kein lokal begrenztes Phänomen mehr.

In vielen Ländern werden jetzt Reisende aus Mexiko untersucht, die über Fieber und Grippe-Symptome klagen. Ob die Rückkehrer neue Viren im Gepäck haben und ob diese gefährlicher sind als bisherige Erreger, ist noch ungewiss. Vorbereitet wäre die Welt nicht darauf. Sie hat sich kein Bild von der Gefahr gemacht.

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