Schwangerschaft:Sport im neunten Monat

Körperliche Aktivität schadet Schwangeren und Ungeborenen nicht - in Maßen hat sie sogar positive Effekte.

Evelyn Hauenstein

"Wenn Empfängnis eingetreten ist, ist im Allgemeinen die Zeit für die Ausübung von Sport vorbei." So schrieb es der Frauenarzt Walter Stöckl in seinem Klassiker "Lehrbuch für Allgemeine Geburtshilfe" im Jahr 1935. Mehr als siebzig Jahre später wird seine Ansicht immer noch weithin geteilt: Sport schade sowohl der werdenden Mutter als auch dem ungeborenen Kind. Sobald das Enkelkind unterwegs ist, raten wohlmeinende Mütter ihren sportlichen Töchtern, sich doch endlich zu schonen. Und auch von ihren Frauenärzten bekommen Schwangere nicht selten zu hören, körperliche Anstrengung bis zur Geburt tunlichst zu meiden.

Schwangere

Schwangere dürfen nicht nur Sport gucken - wie hier bei der Fußball-WM -, sondern auch Sport treiben

(Foto: Foto: dpa)

Beweise für diese Ansicht gibt es allerdings nicht - ob Sport in der Schwangerschaft tatsächlich negative Folgen für Mutter und Kind hat, ist bisher kaum untersucht worden. "Ich rate meinen Patientinnen, weiter Sport zu machen, wenn es ihr Wohlbefinden steigert", sagt Christoph Anthuber von der Frauenklinik Starnberg: Erlaubt sei, was gefällt. "Sportliche Betätigung in der Schwangerschaft ist eine gesunde Alternative zum Nichtstun", bestätigt Thorsten Fischer von der Technischen Universität München. Dass Sport vorzeitige Wehen auslösen und so zu einer Frühgeburt führen könne, sei nur ein weit verbreitetes Vorurteil.

Wachere und lebhaftere Babys

Fischer trat den Gegenbeweis an: Er setzte vierzig normal trainierte, gesunde Probandinnen in der 26. bis 34. Schwangerschaftswoche eine halbe Stunde aufs Fahrrad oder bat sie aufs Laufband. Währenddessen und noch vier Stunden danach zeichnete ein Mini-Ultraschallgerät, das die Frauen um den Bauch geschnallt trugen, die Kontraktionen der Gebärmutter auf. Das vorläufige Ergebnis: Die Testpersonen zeigten genauso wenig vorzeitige Wehentätigkeit wie eine Kontrollgruppe mit Schwangeren, die auf Bewegung verzichtet hatten.

Sport mit Babybauch kann sogar positive Auswirkungen auf Mutter und Kind haben: In der Schwangerschaft ist das Risiko für Thrombosen um das Vierfache erhöht - regelmäßige Bewegung senkt die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein gefährliches Blutgerinnsel bildet und wichtige Gefäße verstopft. Auch das Risiko für Bluthochdruckerkrankungen wie die gefürchtete Präeklampsie lässt sich durch körperliche Aktivität senken. Schwangerschaftsdiabetes, der zu Früh- und Totgeburten führen kann, wird durch sportliche Betätigung gemildert.

Bei Menschen, die regelmäßig Sport treiben, steigt durch die Anstrengung der Spiegel des Hormons Beta-Endorphin im Blut an, das Gefühle wie Zufriedenheit und Glück erzeugt. Trainierten Frauen kommt dies während der Geburt zu Gute: Die Beta-Endorphine sorgen dafür, dass sie mit den Schmerzen besser zurecht kommen und das Geburtserlebnis angenehmer in Erinnerung behalten. Hat die Mutter in der Schwangerschaft Sport getrieben, hat dies sogar Einfluss auf die psychische Entwicklung ihres Kindes: Eine amerikanische Studie zeigte, dass Babys aktiver Mütter am fünften Lebenstag wacher und lebhafter auf Umweltreize reagierten als durchschnittliche Säuglinge.

Walking, Radfahren, Schwimmen

Welche Sportart für Schwangere empfehlenswert ist, daran scheiden sich allerdings die Geister. Einige Experten empfehlen nur Gymnastik, andere haben selbst mit langen Joggingstrecken und Alpinskifahren kein Problem. "In den ersten drei Monaten kann und sollte eine Frau die gleichen Sportarten betreiben wie vor der Schwangerschaft - aber mit geringerer Intensität und weniger Ehrgeiz", rät Klaus Jung von der Universität Mainz. Wer zum Beispiel gerne in den Bergen unterwegs war, braucht auch während der zehn Monate nicht auf das Wandern zu verzichten - solange es bei Gipfeln unter 2500 Metern bleibt. In darüber liegenden Höhen kommt durch den geringen Luftdruck nicht mehr genügend Sauerstoff in die Lungen, so dass Mutter und Kind Gefahr laufen, damit unterversorgt zu werden.

Auch Frauen, die bis zum positiven Schwangerschaftstest wenig bis gar keinen Sport gemacht haben, brauchen nicht auf körperliche Aktivität zu verzichten. Ideal für Einsteigerinnen sind Walking, Radfahren und vor allem Schwimmen. Einige Schwangere fürchten, sich in Schwimmbädern eine Infektion im Genitalbereich zu holen - eine unbegründete Angst. "Schwimmen empfehlen wir sogar bis zum Entbindungstermin, weil es die Ausscheidungsleistung der Niere fördert", sagt Thorsten Fischer. Damit wird Wassereinlagerungen vorgebeugt, die bei vielen Frauen zum Ende der Schwangerschaft hin auftreten. Selbst in die Sauna können Schwangere bedenkenlos gehen - allerdings erst ab dem vierten Monat. Denn während der ersten drei Monate findet die Bildung der Organe beim Ungeborenen statt. Dabei kann eine starke Hitzeeinwirkung möglicherweise zu Fehlbildungen führen.

Nur für gesunde Frauen empfehlenswert

Meist raten Ärzte von Aktivitäten mit hoher Verletzungsgefahr ab. "Niemand wird ernsthaft Boxen in der Schwangerschaft empfehlen", sagt Christoph Anthuber. Ähnliches gilt für Inlineskaten, Paragliding oder andere Fun-Sportarten. Doch längst nicht alle halten sich an Verbote, so Sportmediziner Jung: "Ich kenne viele Frauen, die ihre gewohnten Sportarten bis zur Geburt pflegen, ohne dass ihnen etwas passiert ist." Strittig ist vor allem das Reiten: Schwangere bekommen häufig zu hören, dass es unverantwortlich sei, das Kind dieser Gefahr auszusetzen. "Jede Frau muss das Verletzungsrisiko selbst abwägen", sagt Thorsten Fischer, der versierte Reiterinnen beim Sport auf dem eigenen Pferd in der zweiten Schwangerschaftshälfte untersucht hat. Vorzeitige Wehen lösen Trab und Galopp jedenfalls nicht aus - das zeigen erste Ergebnisse seiner Studie.

Einig sind sich Sportmediziner und Gynäkologen darin, dass Sport in der Schwangerschaft nur für gesunde Frauen mit unkomplizierter Schwangerschaft empfehlenswert ist. In den letzten Jahren hat die Zahl der Frühgeburten in Deutschland leicht zugenommen. "Deshalb ist es wichtig, frühzeitig die Frauen zu identifizieren, denen eine Frühgeburt droht", betont Thorsten Fischer. Denn diese Patientinnen müssten sich körperlich und psychisch schonen. "Alle anderen dürfen ruhig ins Schwitzen kommen", so Sportmediziner Klaus Jung.

Wichtig sei jedoch, übermäßige Anstrengungen mit anaeroben Phasen zu meiden. Dabei entsteht Sauerstoffmangel, der sich zuerst auf das Kind in der Gebärmutter auswirkt. Dass zu viel Sport tatsächlich der Gesundheit von Ungeborenen schadet, konnte jedoch noch nie nachgewiesen werden. "Die Größe des Bauches limitiert den Aktionsradius mit der Zeit ohnehin", sagt Geburtshelfer Christoph Anthuber. "Die meisten Schwangeren wissen selbst sehr gut, wie viel sie sich und ihrem Baby zumuten können."

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