Schlafen! Vielleicht auch träumen:Vom ruhenden Pol

Wenn die Forschung sich dem Schlaf nähert, scheint sie immer nur dort etwas von Bedeutung herauszufinden, wo sie sich ans Extreme wagt. Eine Ausstellung zu Schlaf und Traum im Dresdner Hygiene-Museum.

Burkhard Müller

Wie stellt man Schlaf und Traum aus? Vom Schlaf sieht man: den Schlafenden. Vom Traum: nichts. Dies eben ist ihr Besonderes, dass sie sich kategorial von der Welt abwenden. Jeder von uns träumt, das kann er aus eigener Erfahrung bestätigen (und nur aus ihr); aber solang er träumt, ist er keiner von uns.

Das 19. Jahrhundert in seinem verfrühten Triumphgefühl sah sich, wie in so vielen Fällen, auch hier bereits an der Schwelle zum großen monistischen Durchbruch.

Zu den bemerkenswertesten Stücken, die man in Dresden zu sehen bekommt, gehört die Abbildung eines "Traumografen", eines vertrackten elektrischen Apparats, den man mit dem Schläfer verband, und es konnten offenbar nur noch unbeträchtliche technische Details sein, die die exakte bildliche Umsetzung des Traums zu dem, was wir alle sehen können, so hartnäckig verzögerten.

Andere gingen den noch direkteren Weg: Eine hochempfindliche Fotoplatte, auf die Stirn des Schlafenden gelegt, ergab bei hinreichend langer Belichtungszeit den schwachen Umriss eines Adlers. Wer wollte noch bezweifeln, dass hier einer von großen Dingen träumt!

Man muss solch zudringliche Einfalt am Werk gesehen haben, um zu begreifen, wie unversehrt das Geheimnis sich bis auf den heutigen Tag bewahrt. Wer den Schlaf und speziell den Traum zum Thema wählt, bleibt in der mystischen Not gefangen, von dem sprechen zu sollen, was sich nicht wirklich sagen lässt.

Not macht bekanntlich erfinderisch; und gewiss ist dies der Fall bei der erstaunlich weitläufigen Ausstellung im Dresdner Hygienemuseum gewesen, die ihren entrückten Doppel-Gegenstand vielfältig, einfallsreich und bilderstark umkreist.

In einem langen, dunklen, geschwungenen Gang zeigt sie ihre Exponate zwischen schmalen, rippenförmig in den Raum greifenden Trennwänden, die für den Betrachter, wenn er dicht herantritt, die Vereinzelung des Schläfers symbolisch ins wache Leben holen. Ein suggestives Zwischenreich entsteht - allerdings manchmal um den Preis, dass man bei schummriger Beleuchtung nicht alle Beschriftungen lesen kann.

Was im Schlaf geschieht, wozu er dient, weiß man bis heute nicht genau; aber es lässt sich zeigen, wie es Menschen ergeht, die ihn entbehren müssen.

Ein Video begleitet einen Musiklehrer, der an "familialer Insomnia" erkrankt ist; nach 130 Tagen ist er in einen unbeschreibbar kläglichen Zustand versackt, den man nur als einen Wahnsinn der Müdigkeit bezeichnen kann; kurz darauf stirbt er. Ausnahmslos alle müssen sterben, die diese Krankheit haben, von der weltweit 25 Familien befallen sind. Aber warum?

Wenn die Forschung sich dem Schlaf nähert, scheint sie immer nur dort überhaupt etwas von Bedeutung herauszufinden, wo sie sich in irgendeiner Weise ans Extreme wagt.

Um zu ermitteln, ob der Mensch so etwas wie ein natürliches inneres Zeitgefühl hat, das unabhängig von Uhren und Sonnenstand operiert, lassen sich zwei Pioniere der Wissenschaft, auch sie auf Film gebannt, ins Innerste der amerikanischen Mammuthöhle sperren, in deren kalten Kammern sie wie Nordpolhelden hausen, um beim Wiedereintritt in die Oberwelt (sie gibt ihnen das Geleit im Fackelschein) die Botschaft zu überbringen: Überlässt man den Menschen ohne Naturlicht sich selbst, schafft er sich einen Tag von 25 bis 28 Stunden.

In mancher Weise erinnert diese Wissenschaft an die frühen Arktis- oder noch mehr Antarktisexpeditionen: Bei aller Bereitschaft zum Extremen berührt sie den weißen Kontinent nur an seinen äußersten Rändern; das Tastende, Vorfühlende ist dem Erscheinungsbild ihrer Gerätschaften einbeschrieben, den Tentakeln, die sich an den wehrlosen Leib des Schläfers saugen, den Ästhesiometern und Ergografen, die Ermüdung messbar machen sollen.

Die Apparate und Prozeduren tragen Namen wie "Schwarzer-Elektro-Encephalograph mit Auffangkorb und Verteilerstativ" oder "Polysomnographische Aufzeichnung einer Nacht".

Nicht zu vergessen die "Rektalsonde aus den Versuchen im Andechser Bunker", dem deutschen Gegenstück zur Mammuthöhle. Die Sonde, mit langem anschließendem Kabel, musste einen Monat lang zur Ermittlung der Köpertemperatur ununterbrochen getragen werden, auszustöpseln nur unter der Dusche oder auf dem Klo.

Wer dieses Utensil trug, machte sich in mehr als übertragenem Sinn zur Marionette der Forschung. Wir dürfen das Teil mit seinen zwei deutlich verschiedenen, obschon nicht zuzuordnenden Enden nunmehr anstaunen als eine wahre Reliquie des Fortschritts. In solchen knappen dinglichen Zitaten entbindet die Ausstellung der Wissenschaft eine düstere Poesie, von der diese selbst nichts ahnt und die darum eine ironische Pointe hat.

Der Teufel auf der Bettkante

Der Abstand zwischen den verschiedenen Bereichen menschlicher Tätigkeit verringert sich, wie der der Meridiane auf dem Globus, je näher sie dem Pol von Schlaf und Traum kommen.

Auch die Kunst - die eigentliche und absichtliche, nicht nur die, die der Wissenschaft wider ihren Willen entbunden wird - hat ihren Auftritt. Manchmal, wie man sagen muss, mit eher allegorischen Unterpfändern, etwa wenn es um die Teufelssonate von Tartini geht.

Dieser Geigenvirtuose hatte immer wieder davon geträumt, dass der Teufel persönlich ihm die allerschwierigste, hinreißendste Sonate vortiriliert. Er hat jahrelang darum gerungen, sie im wachen Zustand aufzuzeichnen, und es endlich doch hingekriegt (mit Abstrichen, wie er zeitlebens bedauerte, aber immerhin).

Die Ausstellung zeigt ein interessantes drittklassiges Gemälde, wo der Teufel auf der Bettkante des schlafenden Tartini hockt, und offeriert dazu einen Kopfhörer, aus dem ein unangenehm stechendes Gezirpe dringt - eben der berühmte "Teufelstriller". Das ist ungefähr so aufschlussreich wie die neben dem Altar aufgehängten Krücken für die Heilkräfte eines Wallfahrtsorts.

Und dann gibt es die "Dream Paintings" von Jane Gifford, 144 kleinformatige Stücke, an der Wand aufgereiht, klein und demütig, ganz und gar in der Art einer Sammlung von Exvotos: Für den Traum jeder Nacht über einen bestimmten Zeitraum hinweg wollte sie ein Bild malen, das ihn möglichst getreu darstellte. (Den Traumtext liefert eine beiliegende Mappe nach.)

Wäre stichhaltig, was sie unternimmt, so würde eine wichtige Lücke geschlossen, nämlich zwischen der vorwiegend visuellen Präsenz des Traums und seiner sprachlichen Repräsentation, wie sie Freud als Standard eingeführt hat.

Diese Kunst, die allen Stolz so weit fahren lässt, dass sie sich den antipodischen Prätentionen der naiven Malerei annähert, stellt die Vertrauensfrage: Gab es ihn denn wirklich jede Nacht, den malbaren Traum? Es verdrießt das sture Regelmaß. Hätte die Künstlerin uns auf gleiche Weise mit einem Kalender ihres Sexlebens konfrontiert, so müsste man genauso sagen: Da stimmt was nicht, selbst wenn es stimmt.

Die Ausstellung hat einen wunderbaren Schluss- und Höhepunkt, ganz hinten am Ende des Wandelgangs stirnwandfüllend und sehr wirkungsvoll angebracht: "Auf Zeit" von Raffael Rheinsberg. Rheinsberg hat Hunderte Uhren und Wecker auseinandergenommen und ihre isolierten Bestandteile, Räder, Wellen, Klingeln, Unruhen (Unruhen speziell!) und was sonst noch so in diesen Höllenmaschinen steckt, über eine große Fläche verteilt. Sie hängen dort festgesteckt wie auf einer Sternenkarte.

Wer nur diese Kurzbeschreibung liest, könnte zum Schluss gelangen, es wäre halt mal wieder bloß so ein Stück Konzeptkunst. Aber das täte ihm Unrecht. Wer die ganze Ausstellung durchmessen und sich ihrer Stimmung und ihren Lichtverhältnissen überlassen hat, der wird im abschließenden Witz dieses Gebildes eine schöne, ja träumerische Heiterkeit entdecken.

Wir werden uns so bald nicht der tyrannischen Gewalt unserer Zeitmesser entwinden, und wir werden das Innere des Schlafs vielleicht so wenig je erreichen wie die Sterne der Milchstraße. Aber wenn uns die Unruhe des Weckers plötzlich als Spiralnebel erscheint, so gibt es einen Kurzschluss, den man als befreiendes Lachen erlebt.

Man darf sich vor der so geschmückten Wand auf einem Matratzenlager niederlassen und Wiegenlieder aus Deutschland, Vietnam und Neukaledonien hören. Uhren gibt es noch nicht überall auf der Welt, Wiegenlieder schon.

Wenige solcher Offenbarungen hält der Katalog bereit. Am interessantesten ist der Aufsatz, der das Verhältnis der beiden eigentlichen Traum-Wissenschaften, der klassischen Psychoanalyse und der Neurologie, behandelt. "Engführung zweier Diskurse" ist er betitelt. "Eng" ist ein relativer Begriff, bedingt vor allem vom Sichtabstand.

Der Neurologie liegt die Struktur des menschlichen Gehirns inzwischen ungefähr so offen da wie das Satellitenbild von einer nächtlichen Großstadt. Wie viel von ihr begreift, wer nur dieses sieht?

"Schlaf & Traum" im Deutschen Hygiene-Museum Dresden. Bis 3. Oktober. Info: Telefon 03 51/4 84 64 00.

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