Satellit "Goce" gestartet:Auge für die Schwerkraft

Nach drei vergeblichen Versuchen hat die Esa "Goce" ins All geschossen. Der Satellit soll das Schwerefeld der Erde mit bislang unerreichter Präzision vermessen.

Thomas Bührke

Mit einer Rockot-Rakete ist vom russischen Weltraumbahnhof Plesetsk eines der empfindlichsten Messinstrumente ins All geflogen, das je in die Erdumlaufbahn geschossen wurde.

Es war der vierte Startversuch; die Ursache des gescheiterten Anlaufs am Montag hatten die Techniker zuvor beseitigt. Das Gerät soll das Schwerefeld der Erde mit bislang unerreichter Präzision vermessen. 350 Millionen Euro lässt sich die Europäische Weltraumorganisation Esa den Satelliten "Gravity-Field and Steady-State Ocean Circulation Explorer", kurz Goce, kosten. Seine Daten sollen Aufschlüsse über Prozesse im Erdinnern und in den Ozeanen liefern.

Keine andere Kraft ist dem Menschen so gegenwärtig wie die Schwerkraft. Sie hält ihn am Boden und zwingt den Mond auf seine Bahn um die Erde. Weil die Erde aber keine perfekte Kugel ist, ist auch das Schwerkraftfeld nicht symmetrisch.

Gesteinsmassen von Gebirgen verstärken die Schwerkraft, Tiefseegräben verringern sie. An den Kollisionszonen der Kontinentalplatten, wo Erdbeben entstehen, verdichtet sich Gestein, was die Gravitation steigert. All diese Unregelmäßigkeiten des Erdkörpers spiegeln sich außerhalb des Planeten als Anomalien im Schwerefeld wider.

Herz aus Kristallen

Herz des Satelliten ist das sogenannte Gradiometer, das Beschleunigungen in allen drei Raumrichtungen wahrnimmt. Überfliegt Goce eine Schwerkraftanomalie, so registriert das Instrument ein Beschleunigen oder Abbremsen. Es kann Abweichungen von einem Millionstel des durchschnittlichen Schwerkraftfeldes messen.

Das Gradiometer besteht aus sechs kleinen Kristallen. Sie schweben in der Schwerelosigkeit paarweise im Abstand von einem halben Meter und bilden die Enden von drei senkrecht zueinander stehenden Raumachsen. Ein elektrisches Feld hält die Abstände der Paare konstant.

Über einer Schwerkraftanomalie spürt der erste Kristall die Änderung anders als der zweite. Das Gradiometer wirkt dem entgegen, indem es die elektrische Kraft anpasst. Daraus lässt sich die Größe der Schwerkraftanomalie berechnen.

"Mit diesem Gradiometer könnten wir die Schwerkraft messen, die ein Mensch in der Nähe des Satelliten ausübt", sagt Reiner Rummel von der Technischen Universität München, einer der geistigen Väter von Goce.

20 Monate im All

Um dieses empfindliche Instrument während des Fluges nicht zu stören, durften im Satelliten keine beweglichen Teile verwendet werden, die Vibrationen auslösen könnten. Auch die Temperatur muss bis auf weniger als ein tausendstel Grad Celsius konstant gehalten werden, damit es keine Längenveränderungen am Messinstrument gibt.

Das Experiment kann nur dann gelingen, wenn Goce auf einer Bahn bleibt, die per GPS ständig bis auf den Zentimeter genau verfolgt wird. In der Flughöhe von nur 250 Kilometern Höhe gibt es jedoch noch so viele Luftteilchen aus der Atmosphäre, dass sie den fünf Meter langen Satelliten trotz seiner Stromlinienform abbremsen. Ein Ionentriebwerk gleicht darum die Luftreibung mit sanftem Schub aus.

20 Monate im All

"Das Zusammenspiel der Bahnkontrolle mit einem Ionentriebwerk ist in dieser Form ganz neu", sagt Karl-Otto Hienerwadel, Goce-Projektmanager des Raumfahrtunternehmens Astrium, das für den Ionenantrieb verantwortlich war.

Mindestens 20 Monate lang soll Goce seine Bahnen ziehen, bis der Treibstoff ausgeht. Die aus den Messdaten berechnete Schwerkraftkarte der Erde werden Wissenschaftler unter anderem nutzen, um das Erdinnere zu ergründen. Auf Erdbebengebiete werden sie hierbei ein besonderes Augenmerk richten. Auch die Topographie des Meeresbodens lässt sich ermitteln.

Der zweite große Anwendungsbereich ist die Ozeanographie. Klimaforscher sagen voraus, dass der Meeresspiegel als Folge der globalen Erwärmung weiter ansteigen wird. Bislang fehlt jedoch eine Referenzfläche, relativ zu der diese Veränderungen gemessen werden. Goce soll sie bis auf einen Zentimeter genau bestimmen.

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