Sand auf Reisen:Wenn der "Blutregen" fällt

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Wenn in Deutschland nach Gewittern wieder Autodächer rotbraun schimmern, freuen sich Forscher über "tolle Staubtage". Ursache des Phänomens: Sand aus der Sahara.

Axel Bojanowski

Der Himmel über Deutschland schimmert dieser Tage milchig. Knallrote Sonnenuntergänge sind zu sehen. Mancherorts fällt sogenannter "Blutregen", er hinterlässt einen Staubfilm, der auf Autodächern rotbraun schimmert. Die Ursache all dieser Erscheinungen ist Wüstensand. Abermillionen Sandkörnchen aus der Sahara fegen mit Südwind auch über Deutschland und filtern das Sonnenlicht.

Das Salzburger Land im "Blutregen" am 21. Februar 2004. (Foto: Foto: AP)

"Tolle Staubtage!", freuen sich derzeit die Forscher am Leibniz-Institut für Troposphären- forschung in Leipzig IFT. "So viel Saharastaub haben wir hier noch nie gemessen", staunt Jost Heintzenberg vom IFT, "man denkt, es wäre bewölkt, dabei ist es Staub."

Die Luft enthält derzeit bis zu 15-mal so viel Staub wie an normalen Tagen. Der meiste Staub schwebt in großer Höhe, doch örtlich sinken die Partikel zu Boden. Der Gehalt überschreite den Grenzwert deutlich, berichtet Uwe Kaminski, Medizin-Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst. Weil der Saharasand gröber ist als Feinstaub, seien aber keine Schäden für die Gesundheit zu erwarten.

Durchschnittlich neunmal im Jahr weht Saharasand nach Deutschland. Manchmal erreicht er sogar Grönland. Staub kann aber auch aus anderen Richtungen kommen. Im März 2007 schob sich eine Staubwolke aus der Ukraine über Mitteleuropa. Kaum ein Ort der Welt wird nicht mit Staubwinden versorgt - mehrere Milliarden Tonnen driften in jedem Jahr um den Globus. Die Wirkung der interkontinentalen Sandstürme ist immens. Sie verändern Wetter und Klima, düngen den Boden und tragen Krankheitserreger um die Welt.

Im Jahr 2003 machten französische Forscher in den Alpen eine besondere Entdeckung. Staub hatte den Schnee verfärbt - Saharasand, folgerten die Experten. Doch eine Analyse ergab, dass es sich um chinesischen Löss handelte, jene fruchtbare Erde also, die in China dem Gelben Fluss seine Farbe verleiht. Die Rekonstruktion der Wetterverhältnisse ergab, dass der Löss rund 20.000 Kilometer weit geflogen war. In nur zwei Wochen wehte er über Nordamerika und den Atlantik nach Europa - ein Rekord.

Staubwolken regnen normalerweise nach wenigen tausend Kilometern ab. Die meisten entspringen den großen Wüsten Afrikas und Asiens und folgen den Hauptwindrichtungen; deren Wege verlagern sich also mit den Jahreszeiten. Die Sahara liefert rund die Hälfte des weltweiten Staubes. Die Gebiete westlich der Sahara werden besonders stark mit Staub überzogen.

Von gewaltigen Wetter-Turbinen getrieben

Zwei gewaltige Wetter-Turbinen treiben den Sand über den Atlantik, berichten nun Forscher um Nicole Riemer im Journal of Geophysical Research (Bd.113, S.D07211, 2008).

Einerseits fächert das Azorenhoch, das sich im Uhrzeigersinn dreht, den Saharastaub nach Westen. Andererseits saugt das sogenannte Hawaii-Hochdruckgebiet über dem Pazifik regelmäßig Luft über den Atlantik in Richtung Karibik. Experten auf dem Forschungsschiff Ronald H. Brown gerieten unlängst mitten auf dem Atlantik in einen Staubwind. Sie maßen doppelt so viele Partikel pro Kubikmeter wie derzeit über Deutschland.

Staubwinde bilden sogar die Grundlage der Karibischen Inseln. Obwohl dorthin nur an rund 30 Tagen im Jahr Staub weht, besteht in der Karibik ein Großteil der oberen Erdschichten aus Sahara-Staub, berichtete kürzlich Daniel Muhs vom amerikanischen Geologischen Dienst USGS. Der Sand aus Afrika erhöht zwar die Fruchtbarkeit des Bodens, enthält aber auch Krankheitskeime.

Darunter scheinen die Korallen zu leiden. Mit den Körnchen gelangen Viren, Bakterien und Pilze über den Atlantik, berichtet Gene Shinn vom USGS. Die hätten zum Korallensterben beigetragen. Seit den 1970er Jahren wehe mehr Staub in die Karibik als zuvor. Der Sahara-Staub könne dafür verantwortlich sein, dass in der Karibik vermehrt Menschen an Asthma erkranken, so Shinn.

Sicher ist: Keime können im Saharastaub Jahrzehnte überdauern. Am 7.März 1838 geriet der Seefahrer Robert James nahe der Kapverdischen Inseln in einen Wüstenwind. Geistesgegenwärtig hing er ein nasses Handtuch an den Mast. Den Staub rieb er ab und stopfte ihn in eine Schachtel. Wieder an Land sandte er die Probe an den Naturforscher Charles Darwin. Er wollte "der Geologie etwas Gutes tun", schrieb James.

170 Jahre später profitieren nun Forscher aus Deutschland von dem Staub. Anna Gorbushina und ihre Kollegen von der Universität Oldenburg und anderer Institute haben die historische Probe untersucht und zwölf Pilzarten sowie 15 Bakterienarten im Staub identifiziert; eine kann Lebensmittelvergiftung verursachen. Mehr als dem Menschen schaden Keime jedoch dem Getreide.

Der Staub stamme aus der Bodélé-Niederung in der Sahara, berichteten Anna Gorbushina und ihre Kollegen in der Dezember-Ausgabe des Fachjournals Environmental Microbiology (Bd.9, S.2911, 2007). Er war 4000 Kilometer unterwegs, bevor er ins Handtuch von Robert James geriet. Die Keime auf den Partikeln überlebten offenbar nicht nur Hitze und Höhenstrahlung auf ihrem Ritt übers Meer. Sie überdauerten auch 170 Jahre in Darwins Archiv.

Das größte Staubgebläse der Erde

Die Bodélé-Niederung gilt als größtes Staubgebläse der Erde. Das Becken eines ausgetrockneten Sees ist bedeckt mit Abermillionen Algenschalen und Mineralen. In der Bodélé-Niederung beschleunigt der Wind zwischen zwei Bergen wie in einer Düse und treibt seine Fracht bis in den Amazonas-Dschungel, wo die Algenhüllen aus Afrika riesige Bäume düngen. Staub aus der an sich unfruchtbaren Sahara hält also den südamerikanischen Regenwald fruchtbar.

Bei bestimmtem Wetter gelangten die Nährstoffe aus Afrika sogar bis in den Regenwald von Ecuador, berichten Jens Boy und Wolfgang Wilcke von der Universität Mainz im Fachblatt Global Biogeochemical Cycles (Bd.22, GB1027, 2008). Dauern die Sahara-Stürme jedoch länger, schaden sie der Region. Vor der amerikanischen Küste gedeihen dann Giftalgen, und Fische gehen zu Grunde.

Solch ernste Auswirkungen sind vom Staubwind über Deutschland nicht zu befürchten. Lediglich eine leichte Abkühlung erwarten die Experten, denn der Partikelschleier mindert das Sonnenlicht. Außerdem begünstigt der Saharasand die Bildung von Regenwolken, weil sich an den Partikeln Wasserdampf sammelt. Doch nicht jedes Teilchen in der Luft ist in diesen Tagen Saharasand, schließlich ist auch der Pollenflug in vollem Gang. Um sicher zu gehen, empfiehlt IFT-Forscher Heintzenberg den "Geschmackstest".

© SZ vom 29.05.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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