San Francisco:Das Verschwinden der Seelöwen

Brüllend und rülpsend belästigten sie ihre Nachbarn in San Franciscos Hafen. Doch nun sind die 1500 Seelöwen auf seltsame Weise davongezogen.

Tina Baier

Seelöwen als Nachbarn zu haben ist nicht gerade angenehm. Die Tiere rülpsen und brüllen nicht nur, sie stinken auch noch bestialisch nach altem Fisch. Die Bewohner von San Francisco waren trotzdem besorgt, als die Seelöwen, die seit 20 Jahren die Holzstege vor Pier 39 von Fisherman's Wharf bevölkern, in der Nacht zum 27. November verschwanden. Niemand wusste, wohin sich die Tiere verzogen hatten. Jetzt sind die Seelöwen wieder aufgetaucht. Sie jagen an der Küste von Oregon nach Sardinen, ihrer Lieblingsspeise.

Seelöwen an Pier 39 in San Francisco

20 Jahre lang bewohnten die Seelöwen das Pier 39 und wurden so zur Touristenattraktion.

(Foto: Foto: dpa)

Es war im Winter 1989/90, als die ersten Seelöwen Dock K vor Pier 39 im Hafenbecken von San Francisco besetzten. Seitdem sind die Tiere eine Touristenattraktion. Im vergangenen Jahr wurde die Kolonie allerdings zur Plage. Mehr als 1500 Seelöwen wälzten sich Mitte November übereinander und schubsten sich gegenseitig ins Wasser. "Wir mussten sechs neue Pontons aufstellen, weil es einfach zu eng wurde", sagt Sheila Chandor, Hafenmanagerin von Pier 39. Die Tiere rammten Löcher in Boote, drückten Stege ein und verfolgten Schwimmer in der Bucht von San Francisco.

Die Betreiber von Pier 39 heuerten einen Wachmann an, um zu verhindern, dass die Tiere weitere Stege kaperten. Der Mann hatte alle Hände voll zu tun, einzelne Bullen, die sich an verbotenen Stellen an Land gehievt hatten, mit Hilfe eines Wasserstrahls aus einem Schlauch zu vertreiben. Bootsbesitzer errichteten Barrikaden aus Netzen, Kajaks oder Liegestühlen, um die Besetzung ihrer Schiffe zu verhindern.

Härtere Maßnahmen sind nicht erlaubt, denn kalifornische Seelöwen stehen unter Artenschutz. "Belästigung und Verfolgung" der Tiere sind gesetzlich verboten. Entnervte Anwohner experimentierten trotzdem mit Feuerwerkskörpern, Gummikugeln, Unterwasserlautsprechern und Killerwal-Attrappen.

Doch als die Tiere dann tatsächlich verschwanden, sorgte auch das für Aufregung. Die wildesten Gerüchte kursierten. Etwa dass die Seelöwen aus der Bucht geflohen seien, weil sie Vorboten eines starken Erdbebens wahrgenommen hätten. Die wissenschaftliche Erklärung ist sehr viel einfacher: "Es ist ganz normal, dass die Tiere in den Wintermonaten weiter nach Norden ziehen, weil sie dort mehr Fressen finden", sagte Jeff Boehm vom Marine Mammal Center in Sausalito. Ungewöhnlich sei lediglich, dass sich derart viele Tiere gleichzeitig auf den Weg gemacht haben.

Die Betreiber von Pier 39 haben jetzt ein unerwartetes Problem. Sie wollten am 15. Januar die Ankunft der ersten Seelöwen vor 20 Jahren feiern. Doch ob die Tiere überhaupt in den Hafen von San Francisco zurückkehren, das weiß niemand.

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