Rio de Janeiro und der UN-Gipfel:Paradiesische Kloake

Die Teilnehmer der UN-Konferenz Rio+20 können in Brasilien mit eigenen Augen die schlimmen Folgen der Umweltsünden betrachten: Die Bucht vor Rio ist immer noch eine traumhafte Kulisse - doch sie erstickt in Abwässern, Müll und verklapptem Öl.

Peter Burghardt

Die Bucht von Guanabara muss ein traumhafter Ort gewesen sein, damals. Portugiesische Eroberer dachten, sie seien auf eine sagenhafte Flussmündung gestoßen und gründeten nach ihrer Entdeckung im Januar 1501 am Westufer die Siedlung Rio de Janeiro, Januar-Fluss. Sie schwärmten vom kristallklaren Wasser und einer Lage, die nur der Herrgott erfunden haben konnte.

Rio de Janeiro und der UN-Gipfel: Teenager aus dem Slum Manguinhos in Rio de Janeiro baden im Jacare, einem der am stärksten verschmutzten Flüsse Brasiliens.

Teenager aus dem Slum Manguinhos in Rio de Janeiro baden im Jacare, einem der am stärksten verschmutzten Flüsse Brasiliens.

(Foto: AP)

Noch heute ist es ein grandioses Panorama, wenn man bei klarem Himmel mit dem Flugzeug auf dem Stadtflughafen Santos Dumont landet, auf dem Zuckerhut steht oder mit der Fähre von Rio nach Niterói hinüberfährt. Man darf nur nicht zu genau hinschauen und nicht zu stark einatmen. "Ein schlecht gepflegtes Paradies", sagt Carlos Eduardo Telles und schaufelt die nächste Ladung Dreck aus der Brühe.

Der Mechaniker und angehende Biologe Telles steht auf einem Motorboot, das den Namen Águas limpas trägt, sauberes Wasser. Es dreht eine Runde am Ostufer der Bahia de Guanabara, am Rande von Niterói gegenüber von Rio. Auch hier sieht es in Ansätzen paradiesisch aus unter den grün bewachsenen Bergen, lässt man die Slums an den Hängen, die ekelhafte Muschelzucht mit den Plastikkanistern und im Hintergrund die Bohrinseln außer Acht.

Aber Telles stochert vor dem Yachtclub Jurujuba in einer Kloake. Im Köcher hängen Kunststoffbecher, Flaschen, Chips-Tüten, Ölkannen, Fischreste, Präservative und was Leute noch so alles ins Meer werfen. Manchmal findet man auch schwimmende Sofas, Kühlschränke oder Waschmaschinen. In einer halben Stunde ist der Leinensack dieser maritimen Müllabfuhr Águas limpas voll - dabei sind die schlimmsten Feinde wie Schwermetalle und Mikropartikel unsichtbar.

Die Segler-Familie Grael hat dieses und andere Projekte gegründet, um auf Rios miefende Gewässer hinzuweisen. "Wenn heute Olympische Spiele wären, dann würden das die schmutzigsten Segelwettbewerbe aller Zeiten", sagt Axel Grael, Vorsitzender der Initiative und früher stellvertretender Umweltminister der Region.

Olympia findet erst 2016 statt in der Cidade Maravilhosa, der Wunderbaren Stadt. Aber von Mittwoch bis Freitag erlebt eine der schönsten Metropolen der Erde den UN-Gipfel Rio +20 über nachhaltige Entwicklung, und die Teilnehmer brauchen den Planeten gar nicht lange abzusuchen, um schlechte Beispiele zu finden. Sie werden am Veranstaltungsort fündig, in der Bucht von Guanabara.

Man denkt ja bei Brasiliens Umwelt meistens an den Urwald Amazoniens, diese durchlöcherte Lunge der Menschheit. Die Sorgen sind auch berechtigt, nach wie vor wird abgeholzt und brandgerodet. Der vormalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und seine Erbin Dilma Rousseff konnten die Zerstörung nur in Ansätzen stoppen. Die Plantagen für Rinder, Zuckerrohr und Soja fressen sich immer tiefer in die Wildnis, und in Manaus mitten im Dschungel werden Motorräder gebaut.

Obendrein will Brasilien sein Waldgesetz erneuern, mit Vorteilen für die Kahlschläger. Der Rio Xingu wird für das weltweit umstrittene Wasserkraftwerk Belo Monte gestaut. Bei Angra dos Reis entsteht ein Atomkraftwerk aus der Mottenkiste. Doch Rio, dieser Geniestreich der Natur, hat seine eigenen Probleme.

Viel Geld verschwand in dunklen Kanälen

Die Gäste von Rio +20 können das manchmal bereits riechen, am internationalen Terminal Galeão und auf dem grauen Weg vom Norden in die besseren Gegenden des Südens. Die Bahia de Guanabara verströmt bei Ebbe und ungünstiger Strömung den fauligen Gestank von Brackwasser. Nach dem ersten Rio-Treffen im Jahr 1992 sollte aufgeräumt werden, die Interamerikanische Entwicklungsbank, Japan und andere stellten 1,17 Milliarden Dollar zur Verfügung, doch passiert ist wenig. Viel Geld verschwand in dunklen Kanälen statt in vernünftigen Leitungen. Jede Sekunde fließen 10 000 Liter Abwasser ungeklärt in die Bucht - die Bahia verkam zur Müllkippe und Toilette.

Nicht mal die Hälfte der Haushalte von mehr als sieben Millionen Anwohnern ist an Kläranlagen angeschlossen. "Wir haben sanitäre Anlagen wie im 19. Jahrhundert", sagt Fernando Gabeira, Mitgründer der brasilianischen Grünen. Unterirdische Rohre würden Politikern nun mal keine Wählerstimmen bringen. Gabeira findet: "Rio ist eine sehr schmutzige Stadt, die Leute gewöhnen sich daran." Der Eindruck bestätigt sich ihm sogar an berühmten Stränden wie dem von Ipanema vor seiner Haustür, Copacabana oder Leblon, trotz der Putzkolonnen.

Kritiker leben gefährlich

Die Zeitung O Globo berichtete, in den Sommermonaten 2011 seien 9750 Tonnen Kehricht im Sand gelandet. Von Kolibakterien war die Rede, auch werden manche Badereviere wegen des dreckigen Wassers immer mal wieder geschlossen. Insgesamt produzieren die Cariocas, Rios Einwohner, jeden Tag 9000 Tonnen Abfall. Besonders die 743 Favelas sind in den seltensten Fällen mit der Kanalisation verbunden. Die Müllhalde Gramacho, die größte Lateinamerikas, wurde zwar kürzlich geschlossen, die Bilder wären bei Rio +20 dann doch zu peinlich gewesen. Allerdings ist der künftige Umgang mit dem Unrat ungewiss. Weite Teile der Mangroven der Bahia sind verschwunden. Fischer klagen, die Bahia de Guanabara habe 80 Prozent ihres Fischbestandes verloren.

Kritiker leben gefährlich. Alexandre Anderson von der Vereinigung "Homens do Mar" (Menschen des Meeres) überstand mehrere Attentate und bekam Polizeischutz, er steht auf der Liste von landesweit 1862 bedrohten Ökologen und Menschenrechtlern. Leute wie er wenden sich gegen die Industrie in der Bucht, vorneweg die Ölwirtschaft. Der halbstaatliche Konzern Petrobras, Brasiliens Goldesel, bohrt vor Rio nach Öl und betreibt Raffinerien. 2000 gelangten durch ein Leck 1,3 Millionen Liter Öl in die Bahia de Guanabara. Zudem nimmt der Verkehr wahnwitzig zu. Die Zahl der Autos im Großraum Rio hat sich seit 1997 auf annähernd zwei Millionen Fahrzeuge fast verdoppelt.

Doch es gibt Hoffnung vor der Fußball-WM 2014 und Olympia 2016. Mit einem neuen Programm soll die Bahia bis zu den Sommerspielen halbwegs gesäubert werden, und der Milliardär Eike Batista will die Lagune von Ipanema sanieren. "Ihr habt den Rhein auch sauber gekriegt", sagt Aktivist Telles. Er kippt eine Margarine-Schachtel und einen toten Fisch aus dem Netz. Telles hat einmal am Amazonas gelebt, er glaubt: "Das gefährlichste Raubtier ist der Kapitalismus."

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