Reisemedizin:Sommer, Sonne, Pillenschachtel

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Selbstvergessen im warmen Sand: Wer denkt schon an Regeln und Sonnencreme, wenn das Leben für ein paar Tage nur schön sein soll? (Foto: Nacho Doce/Reuters)

In der Ferienzeit haben Apotheken Hochsaison. Gegen jede Gefahr fern der vertrauten Umgebung gibt es ein Mittelchen. Doch oft ist die Angst größer als das Risiko. Die gefürchtetsten Reisekrankheiten im Überblick.

Reise-Thrombose

Wer stundenlang eingepfercht in der Holzklasse sitzt, glaubt gerne, dass Anspannung und Enge ihm das Blut in den Adern stocken lassen. Doch die Venenthrombose über den Wolken ist ein überschätztes Risiko. Sie kommt in deutlich weniger als einem Prozent aller Langstreckenflüge vor. Betroffen sind fast ausschließlich Menschen mit speziellen Risikofaktoren. Patienten, die schon einmal ein Blutgerinnsel hatten, vor Kurzem operiert worden sind, östrogenhaltige Medikamente einnehmen, stark übergewichtig, schwanger oder sehr alt sind, sollten vor Langstreckenflügen ihren Arzt fragen. Alle anderen können ohne spezielle Vorsorgemaßnahmen ins Flugzeug steigen. Dass ein kurz vor dem Start eingeworfenes Aspirin hilft, ist nicht bewiesen. Ebenso wenig ist sicher, dass viel Trinken der Thrombose vorbeugt. Der häufige Griff zum Becher könnte allerdings den Harndrang verstärken und so zur einzigen für alle Passagiere empfohlenen Prophylaxe führen: Aufstehen und ein paar Schritte gehen - und sei es zur Toilette. Notfalls können die Beine auch im Sitzen bewegt werden. Berit Uhlmann

Durchfall

Es ist wie verhext: Die Sonne strahlt, die Wellen rauschen - und der Urlauber sitzt mit Krämpfen auf der Toilette. Diagnose: Reisedurchfall. Das passiert vor allem im Sommerurlaub, denn feuchtwarmes Klima mögen einige Durchfallerreger ganz besonders gerne. Urlauber nehmen sie meist über Nahrungsmittel auf, wenn sich Koch, Küchenhilfe oder man selbst nach dem Toilettengang nur unzureichend die Hände gewaschen hat. Häufige Ursache ist zudem verunreinigtes Wasser. Wer sicher gehen will, sollte daher nur aus versiegelten Flaschen trinken und Salat und Eiswürfel meiden. Auch vor rohem Fleisch, Mayonnaise und geschälten Früchten am Büffet sei gewarnt, hier können Escherichia-coli-Bakterien und Salmonellen lauern. Als Faustregel für den Urlaub gilt deshalb: "Cook it, peel it or leave it - koch es, schäl es oder vergiss es". Wen es doch erwischt, kann beruhigt sein. Die meisten Reisedurchfälle dauern nur etwa zwei bis vier Tage. Wichtigste Therapie: viel Wasser trinken. Felix Hütten

Jetlag

Der Mensch mag ein undiszipliniertes Wesen sein, aber seine Körperfunktionen arbeiten stramm im Takt - bis er auf die dumme Idee kommt, sich in ein Flugzeug zu setzen. Mittags in München losgeflogen, verblüfft er seinen nachtschweren Körper in San Francisco mit Tageslicht. Abends sinkt er ermattet in sein Hotelbett, und wacht viel zu früh zerschlagen wieder auf. Ganz entkommt dem Jetlag niemand, selbst Vielflieger und Flugpersonal leiden darunter, wobei die Symptome Alte und Frühaufsteher oft länger plagen als Junge und Abendmenschen. Bis Körpertemperatur, Verdauung, Natriumausscheidung, Adrenalin-, Cortisol- und Melatoninproduktion im neuen Takt sind, dauert es pro Stunde Zeitverschiebung etwa einen Tag, wobei die Unterschiede groß sind. Besonders vertrackt sind Flüge Richtung Osten, weil die innere Uhr Mühe mit dem Vorspulen hat. Statt in Tokio um sieben Stunden nach vorne zu springen, dreht sie oft um 17 Stunden nach hinten, und hat entsprechend länger zu tun. Es kann sogar passieren, dass manche Körperfunktionen nach vorne umstellen, andere nach hinten. Viel tun kann man nicht dagegen. Hilfreich ist es aber, am Zielort tags wach zu bleiben und sich viel im Tageslicht zu bewegen. Marlene Weiß

Seekrankheit

Am stärksten quält sie den Magen, aber tatsächlich ist die Seekrankheit ein komplexes Geschehen, deren Hauptproblem im Kopf liegt. Das Gehirn reagiert irritiert, weil ihm das Gleichgewichtsorgan signalisiert, dass sich der Körper in Bewegung befindet, während ihm die Augen vermelden, dass der Leib auf der Stelle verharrt. Demnach besteht der beste Schutz darin, den Widerspruch im Hirn aufzulösen: Die Augen sollten nicht auf die Kabinenwand fixiert werden, sondern auf den Horizont. Anfälligen wird ein Platz in der Mitte des Schiffes empfohlen, denn dort sind die Schwankungen weniger ausgeprägt. Medikamente können die Übelkeit auf dem Schiff, im Flugzeug oder Auto verhindern, machen aber benommen. Sie müssen vor der Reise eingenommen werden. Doch ehe man sein Leben lang vorbeugende Mittel schluckt, sollte man ab und zu kontrollieren, ob das Problem überhaupt noch da ist. Studien deuten daraufhin, dass Gewöhnung die Symptome abmildert. Berit Uhlmann

Paris-Syndrom

Es soll die Menschen wie aus dem Nichts überfallen: Herzrasen auf den Champs-Elysées, ein Ohnmachtsanfall beim Eiffelturm. Als Paris-Syndrom, eine höchst emotionale Reaktion auf die Stadt der Liebe, haben vermeintliche Experten die Krankheit bezeichnet. "Unsere schöne Stadt hat damit wenig zu tun", sagt dagegen Yousef Mahmoudia, Psychiater am Hôtel Dieu, einer Klinik unweit des Louvre und der Champs-Elysées. Zu ihm gelangen oft betroffenen Touristen, wie etwa eine elegant gekleidete Japanerin, die in der Kathedrale von Notre Dame plötzlich zu schreien begann. Wie sich später herausstellte, wollte sie dort die heilige Jungfrau Maria treffen. "Wir haben es vielmehr mit Patienten zu tun, deren psychische Erkrankung zufällig während ihres Aufenthalts in Paris offensichtlich wird", erklärt Mahmoudia. Dann helfe vor allem eines: Den Patienten ein starkes Beruhigungsmittel zu verabreichen und sie möglichst bald in ihre Heimat zurückzuschicken. Astrid Viciano

Höhenkrankheit

Höhenkrankheit bedeutet: Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, vielleicht Erbrechen. Solche Symptome können schon ab 2500 Metern Höhe über dem Meeresspiegel bei Menschen auftreten, die nicht an die dünne Luft gewöhnt sind. Lebensgefährlich wird es, wenn sich in noch größerer Höhe Wasser in Lunge oder Gehirn zu Ödemen sammelt. Bestes Mittel gegen die Höhenkrankheit ist die Vorsorge, also gezielte und langsame Akklimatisation. Ab 2000 Metern Höhe sollte man nicht mehr als 600 Meter pro Tag aufsteigen. Niedriger schlafen als der höchste erreichte Punkt einer Tagesetappe hilft ebenfalls bei der Anpassung. Das Medikament Acetazolamid kann die Akklimatisierung erleichtern. Wer schwer höhenkrank ist, muss unbedingt mindestens 500, besser 1000 Höhenmeter absteigen. Das ist die beste Gegenmaßnahme. Der Wirkstoff Dexamethason und zusätzlicher Sauerstoff über eine Atemmaske können die Genesung unterstützen. Hanno Charisius

© SZ vom 25.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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