Raumsonde Rosetta:Ein kleiner Crash für eine Sonde, ein großer für die Menschheit

Zwei Jahre lang hat Raumsonde "Rosetta" einen Kometen begleitet. Nun endet die Mission mit einem Knall. Ein erstaunlicher Erfolg.

Analyse von Marlene Weiß

Forschung ist oft eine Reise ins Ungewisse. Doch müssen sich Wissenschaftler selten so blind ins Nichts stürzen wie in der Kometenerkundung. Das galt besonders für die Rosetta-Mission, die an diesem Freitag mit einem planmäßigen Absturz der Sonde auf ihrem Zielkometen Tschurjumow-Gerassimenko beendet werden soll. Viel ist passiert, seit die Sonde am 2. März 2004 auf die Reise geschickt wurde. Damals war der Komet mit dem langen Namen nur ein Punkt auf den Bildschirmen der Astronomen. Und er war ein Verlegenheitskandidat: Das ursprüngliche Ziel, der Komet Wirtanen, war den Forschern wegen Verzögerungen beim ursprünglich geplanten Start entflogen.

Erstmals wollten Forscher mit der Rosetta-Mission ein Landemodul auf einem Kometen absetzen. Aber würde das kühlschrankgroße Gerät namens Philae , welches die Muttersonde über dem Kometen abwerfen sollte, dort landen können? Man war ja noch nie auf einem Kometen gewesen, schon gar nicht auf diesem Hunderte Millionen Kilometer von der Erde entfernten Miniaturexemplar. Dessen Oberfläche könnte zu weich sein, das Landemodul würde einsinken. Oder zu hart, und es könnte abprallen. Man musste es einfach wagen.

Dass so etwas nie zuvor versucht worden war, lag an dem enormen technischen Aufwand, nicht an mangelndem Interesse: Kometenmissionen gab es zuvor bereits viele. 2004, kurz vor Rosettas Start, war die Sonde Stardust am Kometen Wild 2 vorbeigeflogen und hatte Material aus dessen Schweif, der Koma, zur Erde gebracht. 2005 ließ die Sonde Deep Impact ein mit einer Kamera versehenes Projektil auf dem Kometen Tempel 1 einschlagen, um den Aufprall zu beobachten. Mit dem Weltraum-Infrarotteleskop Herschel konnte unter anderem der Komet Hartley 2 genauer beobachtet werden. Aber all diese Untersuchungen warfen so viele neue Fragen auf, dass die Sehnsucht der Forscher nach Kometen eher noch wuchs.

Raumsonde Rosetta: Ein Komet von allen Seiten: Während der "Rosetta"-Mission wurde Tschurjumow-Gerassimenko ausgiebig fotografiert, analysiert und mit einem Landegerät besucht.

Ein Komet von allen Seiten: Während der "Rosetta"-Mission wurde Tschurjumow-Gerassimenko ausgiebig fotografiert, analysiert und mit einem Landegerät besucht.

(Foto: ESA, AFP)

Zweifellos gehören diese Himmelskörper zu den faszinierendsten Objekten im Sonnensystem. Auffallend und wunderschön, wenn sie wie 1997 der Komet Hale-Bopp monatelang mit bloßem Auge sichtbar sind. Uralt, weil sie wohl schon früh in der Geschichte des Sonnensystems entstanden sind. Und sie stammen von weit draußen, aus dem Kuiper-Gürtel jenseits von Plutos ferner Umlaufbahn oder gar aus der Oortschen Wolke, die Erde und Sonne in mehr als einem Lichtjahr Entfernung umhüllt - das ist schon etwa ein Drittel der Entfernung zum nächsten Nachbarstern Proxima Centauri. Es sind düstere, eisige Regionen, in die man nicht so einfach eine Sonde schicken kann. Wie praktisch, dass die Kometen Material aus der Pränatalphase des Sonnensystems von dort in halbwegs greifbare Nähe transportieren: "Im Grunde sind Kometen eine Art Pizzaboten des Sonnensystems", sagt Fred Goesmann vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung; er hat eines der beiden Philae-Experimente zur Gasanalyse geleitet.

Allerdings liefern sie die Ware nicht gerade an der Haustür ab. Erst im Sommer 2014, nach zehn Jahren Reisezeit, war die Sonde Rosetta ihrem Ziel nahe genug, um erste deutliche Bilder aufzunehmen und zur Erde zu schicken. Eine freudige Überraschung waren die nicht. "Ach du dickes Ei, wie soll man da landen, haben wir gedacht", erinnert sich Goesmann.

Die Forscher hatten auf eine ebene Landefläche gehofft. Doch es gab nur Klippen und Abgründe

Goesmann und seine Kollegen hatten auf eine schöne ebene Landefläche gehofft. Stattdessen sahen sie sich mit einem Kometen konfrontiert, der wie eine runzelige Badeente aussah. Zwischen Klippen und Abgründen mussten sie einen auch nur halbwegs geeigneten Landeplatz für Philae suchen. Dessen Abwurf am 12. November 2014 war dann ein weltweit beachtetes Ereignis; zuerst bejubelt, als der Lander auf dem Kometen aufsetzte. Und dann auch enttäuschend, weil die Verankerung auf der Kometenoberfläche nicht gelang und Philae sich nach mehreren Hüpfern in einer dunklen Schlucht verkantete. Statt dank Solarenergie viele Monate lang zu messen, war nach drei Tagen Schluss, die Batterien leer. Erst vor wenigen Wochen konnte die Muttersonde Philae in ihrer misslichen Lage aufspüren.

Trotzdem war die Mission ein erstaunlicher Erfolg. Philae mag nicht so viel gemessen haben wie erhofft, aber immer noch weitaus mehr als befürchtet. Und die Muttersonde Rosetta flog fast zwei Jahre lang als menschengemachter Trabant mit dem Kometen durch das Sonnensystem. Beide Instrumente haben die Forscher den Antworten auf viele Fragen deutlich näher gebracht.

Der Komet verrät viel über die Ursprünge des Sonnensystems

Zum Beispiel, was die Bedingungen bei der Entstehung des Kometen und somit des Sonnensystems angeht: Tschurjumow-Gerassimenko erwies sich als sehr porös, 75 Prozent seines Volumens bestehen aus winzigen Hohlräumen - das passt nicht zu der Theorie, wonach der Komet in heftigen Kollisionen entstanden sei. Es dürfte eher ein weiches Zusammenrutschen der Einzelteile gewesen sein. "Es muss im frühen Sonnensystem sanfter zugegangen sein, als wir dachten, zumindest im äußeren Bereich", sagt Kathrin Altwegg von der Universität Bern. Sie leitet eines der wichtigsten und produktivsten Experimente an Bord der Muttersonde: Rosina, ein Massenspektrometer, das die Partikelwolke rund um den Kometen analysiert.

Raumsonde Rosetta: Am 2. März 2004 startete eine Ariane-V-Rakete mit der Raumsonde Rosetta an Bord vom Weltraumbahnhof Kourou.

Am 2. März 2004 startete eine Ariane-V-Rakete mit der Raumsonde Rosetta an Bord vom Weltraumbahnhof Kourou.

(Foto: AFP)

Rosina stellte zum Beispiel fest, dass die chemische Signatur des Wassers auf dem Kometen ganz anders ist als in den Ozeanen der Erde; der Anteil des Wasserstoff-Isotops Deuterium ist dort viel höher. Zwar wurde auf anderen Kometen auch schon Wasser beobachtet, das gut zu den irdischen H₂O-Molekülen passt. Trotzdem deutet die Messung darauf hin, dass das Wasser der Erde nicht hauptsächlich über Kometen auf den Planeten kam. Entweder waren viele Asteroiden beteiligt, oder die Ozeane füllten sich mit Wasser aus dem Erdinneren, das von Anfang an da war.

Auch all die alten Bestandteile auf dem Kometen sind faszinierend. Erstaunlich viel Sauerstoff in molekularer Form fand das Rosina-Instrument in der Kometenatmosphäre; dabei reagiert Sauerstoff üblicherweise schnell mit Wasserstoff zu Wasser und ist dann nicht mehr einzeln zu finden. Altwegg und ihre Kollegen vermuten daher, dass der Sauerstoff aus der Zeit vor der Geburt des Sonnensystems stammt und schon bei der Entstehung des Kometen mit eingefroren wurde.

Zudem fanden die Forscher in Tschurjumow-Gerassimenkos Atmosphäre alte Bekannte: die Aminosäure Glycin und ihre Vorläufer zum Beispiel, Bausteine des Lebens auf der Erde. Kathrin Altwegg nimmt an, dass das Glycin auf Staubkörnern in den Molekülwolken im interstellaren Raum entstanden ist, bevor es im Kometen konserviert wurde. "Das ist besonders spannend, denn es bedeutet, dass Glycin universell ist: Das gibt es überall", sagt sie. Was wiederum heißen könnte, dass biologisches Leben vielleicht noch anderswo entstehen konnte, irgendwo da draußen. Waren es vielleicht sogar Kometen, die einst Aminosäuren, die ersten Bausteine des Lebens, auf die Erde brachten?

Kathrin Altwegg geht demnächst in Rente, Rosetta war die letzte große Mission, an der sie aktiv beteiligt war. "Kometen sind schon etwas Besonderes", sagt sie. Auch wenn die Forschung an ihnen eigentlich keinen konkreten Nutzen habe: Wenn man aufhöre zu fragen, sei es um die Menschheit nicht mehr gut bestellt.

Eines der überraschendsten Ergebnisse: Der Komet hat kein eigenes Magnetfeld

"Der nächste Schritt ist jetzt die Interpretation, was bedeutet das alles?", sagt Stephan Ulamec vom DLR, Projektmanager von Philae. "Einige der bisherigen Theorien, etwa zur Kometenentstehung, können wir jetzt wohl vergessen." Für ihn ist eines der spannendsten Ergebnisse, dass Tschurjumow-Gerassimenko kein eigenes Magnetfeld hat. Das heißt, er entstand, bevor die Sonne ein nennenswertes Feld ausgebildet hatte, und ohne dessen Einfluss. Mehr als 20 Jahre hat Stephan Ulamec an Philae gearbeitet, diese Zeit geht nun zu Ende. Klar, die Landung habe nicht perfekt geklappt. "Aber wir hatten großes Glück, dass wir trotzdem ganz tolle Messungen machen konnten, es hätte viel schlechter laufen können", sagt er.

Seit einigen Tagen hat die zurzeit 720 Millionen Kilometer von der Erde entfernte Raumsonde Rosetta bereits ihre tiefen Messüberflüge beendet, die Forscher bereiten ihren Abschied vor. An diesem Freitag soll sie in Schrittgeschwindigkeit auf die Kometenoberfläche herabsinken und dabei letzte Beobachtungen machen. Kurz vor 13 Uhr mitteleuropäischer Zeit soll sie aufschlagen - 40 Minuten wird ihr letztes Signal bis zum Kontrollraum in Darmstadt brauchen. Danach bleibt es still.

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