Raumfahrt:Philae, bitte kommen

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Die Klippen bei Abydos, wo das Landegerät Philae schließlich zum Stehen kam. Links vorn ein Fuß des kleinen Labors.

(Foto: AFP)

Nach der Bruchlandung auf Komet Tschurjumow-Gerassimenko hat sich das Landemodul der Raumsonde "Rosetta" abgeschaltet. Jetzt hoffen die Forscher, dass die Sonne das Gerät wieder aufweckt.

Von Christoph Behrens

Der Frühling hat auch im Weltall sein Gutes. Darauf muss Europas Raumfahrtagentur Esa vertrauen, wenn sie auf den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko in 430 Millionen Kilometern Entfernung blickt. Atemraubend schnell rast dieser Brocken auf die Sonne zu und heizt sich langsam auf. Gase und Staub schießen empor, als erwache der tote Fels aus einer Winterstarre.

Damit wächst die Hoffnung, dass auch das kühlschrankgroße Labor Philae warmläuft, das auf diesem Kometen ohne Energieversorgung gestrandet ist. Und dass die mit jedem Tag intensiver werdenden Sonnenstrahlen irgendwann auf die Solarmodule des Landers treffen, sodass er ein Lebenszeichen absetzen kann.

Ein solches hat es seit November nicht mehr gegeben. Da näherte sich die Raumsonde Rosetta nach etwa zehnjähriger Reise ihrem Ziel. Sie koppelte das Landemodul Philae ab, es entschwebte in Richtung Komet. Doch dann ging einiges schief. Düsen zündeten nicht, Harpunen versagten, daher wurde Philae nicht fest auf dem Kometen verankert. Das Mini-Labor vollführte wilde Hüpfer und Drehungen, driftete fast ins Weltall zurück und landete schließlich ganz woanders als geplant, in einer Art Höhle, finster und minus 150 Grad Celsius kalt.

"Es ist wie der Nordpol im Winter", sagt Rosetta-Flugleiter Andrea Accomazzo. Da dort nicht genug Sonnenlicht auf die Solarkollektoren fällt, schwand die Energie des Landers schnell, und der Strom an wissenschaftlichen Daten versiegte.

Eine erste Chance für ein Lebenszeichen ließ Philae verstreichen. Im März übermittelte die Esa über die Raumsonde Rosetta, die nach wie vor im Orbit von 67P kreist, Kommandos an Philae. Da war die Intensität der Sonnenstrahlen schon doppelt so hoch wie im November. Doch der Lander blieb stumm. Erst Mitte April können die Raumfahrtingenieure erneut den Kontaktversuch wagen.

Nach Darstellung der Esa ist das nicht so tragisch für das Ziel der Mission, die Erforschung des Kometen. "Alle Experimente, die in den ersten drei Tagen aktiviert wurden, haben Daten übertragen", sagt Accomazzo. Philae stelle nur einen Bruchteil der Gesamtmission dar, der Beitrag des Landers liege nur bei zehn bis 20 Prozent.

Die Forscher wissen nicht, wo Philae genau steht

Allerdings hat sich die unvorteilhafte Landung bereits ungünstig auf einige Experimente ausgewirkt. Die Forscher hadern insbesondere damit, dass die Esa nicht weiß, wo Philae genau steht. Ein Beispiel dafür ist das Experiment "Consert". Dabei bombardieren Rosetta und Philae im Tandem den Kometen mit Hochfrequenzstrahlen, um mehr über sein Inneres zu erfahren.

Gut funktioniert hat die "Reflexionsmessung": Beim Abstieg zum Kometen sandte Philae Funkwellen auf die Oberfläche des Kometen, der warf die Signale wie ein Echo zurück. Anhand der Veränderungen zwischen ausgesandten und empfangenen Wellen können die beteiligten Wissenschaftler Rückschlüsse ziehen, woraus der Komet besteht. Ist sein Kern weich oder hart? Besteht er aus unterschiedlichen Schichten, gibt es verborgene Hohlräume? Dieselbe Technik verwenden auf der Erde etwa Geologen, wenn sie von einem Flugzeug aus verborgene Bodenschätze wie Gold oder Öl aufspüren wollen.

Bei 67P wollen die Consert-Forscher jedoch nicht nur den Widerhall der Signale an der Oberfläche des Kometen messen, sondern auch seinen Kern direkt durchleuchten. Dafür umflog die Raumsonde Rosetta in 20 Kilometern Entfernung den Kometen, um ihn zwischen sich und das Landemodul Philae zu bringen. Die energiereichen Funkwellen durchwandern in dieser Konstellation den Kometen.

Der Algorithmus, um die Struktur des Felsbrockens aufzuklären, hängt aber wesentlich davon ab, wie gut man die Position von Sender und Empfänger kennt. Der Landeplatz von Philae ist jedoch unbekannt. "Diese Ungenauigkeit beeinflusst das räumliche Auflösungsvermögen bei der Erforschung der Strukturen des Kometenkerns", sagt Peter Edenhofer von der Ruhr-Universität Bochum, der die Consert-Technik mitentwickelt hat. Das sei mit einem verwackelten Foto vergleichbar: "Die Strukturen sind etwas diffus."

Etwa die Hälfte der geplanten Experimente auf dem Kometen haben solche Probleme, schätzt Edenhofer. Die Ungenauigkeit könnte die Experimente schwer auswertbar machen. Die knifflige Aufgabe der Wissenschaftler ist nun, ihre ohnehin komplizierten Algorithmen noch an die ungenaue Landung anzupassen.

Im Moment hat die Esa die Landezone auf einen Bereich von 350 auf 30 Meter eingegrenzt. Nur ein riskantes Manöver hätte diese Ungenauigkeit beseitigen können: Raumsonde Rosetta hätte auf Sturzflug gehen müssen, bis auf wenige Kilometer an den Kometen heran. Dann hätte die Auflösung der Kamera an Bord unter Umständen ausgereicht, um den verlorenen Lander zu finden.

Tatsächlich gab es wohl harte Diskussionen unter den beteiligten Wissenschaftlern, ob man den Tiefflug wagen sollte. Eine knappe Mehrheit lehnte die Änderung der Flugroute ab - sie hätte nicht nur Messungen gefährdet, die nur in großer Entfernung möglich sind, sondern wäre auch riskant gewesen. Der Komet ähnelt einer Badeente, diese Unförmigkeit macht sein Gravitationsfeld unberechenbar. Ein Fehler in der Flugroute könnte dann zum Absturz von Rosetta führen.

Und selbst ein Erfolg so eines Manövers hätte nicht alle Probleme gelöst. Philae hängt mit einem Bein in der Luft, was das Aufsammeln von Kometenmaterial erschwert. Der mitgebrachte Bohrer ging zwar an - er sollte eine Bodenprobe herauslösen und in ein Minilabor befördern. Es ist aber unklar, ob dies gelungen ist.

"Das Signal ist sehr schwach, das derzeit untersucht wird", sagt Stephan Ulamec von der DLR, Projektleiter der Landemission. Möglicherweise sei ein Sandkorn im Analysegerät gelandet. Außerdem brach der Arm eines Instruments beim Anhämmern des Kometen ab, weil die Oberfläche wohl deutlich härter war als gedacht. Auch die unbekannte Neigung des Landers erschwert die Auswertungen von Experimenten.

Erst wenn Philae aufwacht, kann geklärt werden, welche Instrumente einsatzfähig sind. Allerdings musste der Lander an seinem schattigen Platz sehr niedrige Temperaturen verkraften, für die er eigentlich nicht ausgelegt ist. "Es könnte sein, dass ein Teil der Elektronik beschädigt ist", sagt Ulamec. "In dem Szenario, auf das wir hoffen, sind noch viele Konjunktive drin." So könnte durch die Hitze in der Nähe der Sonne Gas aus dem Kometen austreten oder umherwirbelnder Staub das Landegerät beschädigen. Er halte diese Risiken aber für "eher gering". Andrea Accomazzo sieht das ähnlich: Es werde ja nicht rasant heißer, die Temperaturen würden eher wie im Frühling langsam ansteigen.

"Das ist doch auch das Schöne an der Sache: Wir sind zu einer Umgebung geflogen, die wir überhaupt nicht kennen", sagt Accomazzo. Da helfe nur Abwarten, so sei das eben. "Im Weltraum muss man 'gut genug' akzeptieren. Sonst fliegt man nirgendwo hin."

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