Raumfahrt:Orions Herz und Lunge

Raumfahrt: Ein Vorläufer des Servicemoduls mit vier Tanks.

Ein Vorläufer des Servicemoduls mit vier Tanks.

(Foto: Airbus)

2018 will die Nasa ein neues Raumfahrzeug für Mond- und Marsflüge erproben. Zentrale Bestandteile kommen aus Europa - doch problemfrei ist die Kooperation nicht.

Von Alexander Stirn

Europas Ticket für Fernreisen in den Weltraum steht in einer Lagerhalle unweit des Bremer Flughafens. Scheinwerfer hüllen Gerätschaften, die kaum als Raumfahrzeug zu erkennen sind, in blaues Licht - blau wie der Himmel und blau wie die Sehnsucht, künftig bei den ganz Großen der bemannten Raumfahrt mitspielen zu dürfen.

MPCV-ESM heißt das Ding in der sperrigen Sprache der Raumfahrer. Die ersten vier Buchstaben, das Multi-Purpose Crew Vehicle, auch Orion genannt, bezeichnet die nächste amerikanische Raumkapsel. Mit ihr wollen die USA zum Mars fliegen, vielleicht auch zum Mond oder zu einem Asteroiden. Das SM steht für "Servicemodul", die Versorgungs- und Antriebseinheit von Orion. Und das wird - zumindest für den ersten Testflug - in Europa gebaut. Daher ESM.

Die Europäer, jahrzehntelang Juniorpartner in der internationalen Raumfahrt, verbinden mit dem Modul große Erwartungen. Sie hoffen, damit zum gleichberechtigten Partner bei der Eroberung des Weltalls aufsteigen zu können. Und sie gehen dafür ein großes Risiko ein. Denn rund um das ESM sind noch viele technische und finanzielle Fragen ungelöst.

"Ohne dieses Servicemodul wird Orion nicht fliegen"

"Ohne dieses Servicemodul wird Orion nicht fliegen", sagt Jim Free und blickt an dem vier Meter hohen, bläulich schimmernden Modul empor. Der Nasa-Manager ist eigens nach Bremen gekommen, in die Werkshalle des Raumfahrtkonzerns Airbus Defence and Space. Für die Europäer, die in der Vergangenheit bei bemannten Missionen nur unkritische Komponenten beisteuern durften, sind Frees Worte ein großer Vertrauensvorschuss.

Und eine Menge Verantwortung: Schon Monate vor dem offiziellen Montagebeginn haben Airbus-Ingenieure mit der Konstruktion begonnen. Sie haben Löcher in die wabenförmigen Leichtbauwände des ESM gebohrt, Klebestellen vorbereitet, Verstärkungen aus Titan angebracht - in der Hoffnung, das so der Auftrag kommen würde und in Erwartung eines engen Zeitplans. In der vergangenen Woche sollte die Nasa - im Rahmen eines Prozesses namens Critical Design Review (CDR) - nun endlich den finalen Bauplan absegnen. Es kam aber offensichtlich nicht dazu: Wie der Branchendienst Spacenews berichtet, konnte der CDR von den US-Ingenieuren nicht wie geplant beschlossen werden.

Zum Ausmaß möglicher Änderungen will sich Airbus Defence and Space mit Verweis auf die zuständigen Nasa-Gremien nicht äußern. Bei der Präsentation in Bremen wird allerdings klar, dass allenfalls kleine Modifikationen - zum Beispiel punktuell verstärkte Wände - möglich wären. "Würden jetzt noch großartige Veränderungen nötig werden, würde uns das um Jahre zurückwerfen", sagt Airbus-Programmleiter Oliver Juckenhöfel.

390 Millionen Euro Schulden bei der Nasa

Diese Unsicherheit kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Eigentlich hätte sich der karge Rohbau - ein Zylinder mit etwa vier Meter Durchmesser - in den kommenden Monaten nach und nach füllen sollen: mit 15 Tanks, 33 Triebwerken, mehreren Kilometern Kabel. Insgesamt sind fast 25 000 Einzelteile nötig, um Orion anzutreiben und die vierköpfige Crew mit Strom, Wasser, Sauerstoff zu versorgen. Ursprünglich hätte das neue Modul im Januar 2017 in die USA transportiert werden sollen. Nun verzögert sich die Lieferung wohl mindestens um drei Monate.

Noch ist das ESM zudem ein Einzelstück, speziell gefertigt für den ersten unbemannten Testflug des Orion-Raumschiffs. Der soll Kapsel und Servicemodul im November 2018 immerhin schon hinter den Mond und wieder zurück zur Erde bringen. Dass die Europäer dafür ein Modul beisteuern dürfen, geschieht indes nicht aus reiner Großzügigkeit: Die Europäische Raumfahrtagentur Esa begleicht mit dem 390 Millionen Euro teuren ESM vielmehr ihre Schulden bei der Nasa.

Die fallen an, weil die Amerikaner europäische Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS leben und forschen lassen. Auch Betriebs- und Transportkosten streckt die Nasa vor. Etwa 150 Millionen Euro werden dafür pro Jahr fällig. Da sich die westlichen Raumfahrtnationen darauf verständigt haben, kein Bargeld an Partner fließen zu lassen, wird in Naturalien bezahlt - in diesem Fall mit dem ESM, an dem europaweit etwa 250 Techniker und Ingenieure arbeiten. Das Modul soll die Schulden bis zum Jahr 2020 decken.

"Wir möchten am liebsten jedes Jahr starten - über Jahrzehnte hinweg"

Falls möglich, will es Airbus Defence and Space nicht dabei belassen. "Uns interessiert die Serie", sagt Juckenhöfel. "Wir möchten am liebsten jedes Jahr starten, und das über Jahrzehnte hinweg." Dem stehen allerdings die Esa-Mitgliedsstaaten entgegen - und die sündteure Raumstation ISS. Während sich die nichteuropäischen ISS-Partner darauf verständigt haben, die Raumstation bis mindestens 2024 zu betreiben, hat Europa nur eine Grundfinanzierung bis 2020 zugesagt. Anfang Dezember soll ein Ministertreffen in Luzern die weitere Zukunft klären.

Offen ist auch, was nach der ISS passiert. Esa-Chef Johann-Dietrich Wörner tourt seit Monaten mit seiner Idee einer Internationalen Mondstation auf der erdabgewandten Seite des Trabanten um den Globus. "Auf der Reise zum Mars könnten einige Boxenstopps nötig werden", sagt Wörner. "Daher wäre es sinnvoll, auch den Mond zu besuchen." Während die Idee weltweit an Unterstützern gewinnt, zeigen sich die Esa-Staaten reserviert. Ohne ISS und ohne Nachfolgeprojekt braucht es allerdings auch keine Tauschgeschäfte - und damit keine weiteren europäischen Servicemodule. "Die Politik steht hier in der Pflicht", fordert Airbus-Manager Bart Reijnen. "Wir müssen den Mut haben, eine europäische Vision zu definieren."

Die Nasa lässt bei Airbus bauen? Das wäre wohl kaum durchsetzbar

Falls nicht, hat die Esa ein Problem. Sie würde in internationalen Kreisen fortan als unzuverlässiger Partner gelten - ein herber Dämpfer für Wörners Ambitionen. Aber auch die Nasa käme in Schwierigkeiten. Bereits Ende 2018 soll das Servicemodul für den zweiten, dann bemannten Orion-Flug fertig sein. Zwar könnten die Amerikaner Airbus direkt beauftragen, letztlich ist das aber nur eine theoretische Option: Mit US-Steuergeld eine europäische Firma zu finanzieren, dürfte sich politisch nicht durchsetzen lassen.

Es bliebe die Möglichkeit, das Servicemodul in Zukunft selbst zu bauen. Die Verträge mit den Europäern sehen vor, dass Pläne und Technologien in diesem Fall an die Nasa übertragen werden müssen. "Letztlich ist das Modul nur eine Antriebsstufe, die können viele Unternehmen bauen", sagt Nasa-Manager Free. Der Amerikaner macht aber auch klar, dass das weder geplant noch gewünscht sei. "Unser großes Ziel ist es, die internationalen Partner mit im Boot zu haben", versichert er.

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