Raumfahrt:Die sieben Überflieger

Psychotests, Einläufe, Elektroden im Handballen: Nach einem radikalen Auswahlverfahren präsentierte die Nasa vor 50 Jahren die ersten Astronauten der USA.

Alexander Stirn

Alan Shepard traut seinen Ohren nicht. Da hat er sich gegen die besten Testpiloten des Landes durchgesetzt, hat ohne zu Murren die qualvollsten Experimente über sich ergehen lassen, ist bereit, für sein Land alles zu geben, notfalls auch sein Leben. Und was will dieser Reporter wissen? Wie seine Frau und seine Kinder zu all dem stehen?

Raumfahrt: Sieben Kampfflieger gingen als erste Astronauten der USA in die Geschichte ein. John Glenn (vorn, 2. v. r.) wurde von der Presse als Favorit für den ersten Raumflug gehandelt.

Sieben Kampfflieger gingen als erste Astronauten der USA in die Geschichte ein. John Glenn (vorn, 2. v. r.) wurde von der Presse als Favorit für den ersten Raumflug gehandelt.

(Foto: Foto: Reuters)

Shepard, der abgebrühte Navy-Pilot, antwortet, wie er es als Soldat gelernt hat. Knapp, präzise, unpersönlich. "Ich habe zuhause keine Probleme. Meine Familie ist einer Meinung mit mir." Erst als der Saal ob des vermeintlichen Witzes auflacht, huscht ein Lächeln auch über Shepards Gesicht.

Er ist an diesem Donnerstagnachmittag, am 9. April 1959, nicht alleine. Neben ihm sitzen sechs weitere Männer, alle gestandene Piloten. Der staunenden Öffentlichkeit werden sie als die ersten Astronauten der amerikanischen Geschichte vorgestellt. Einer von ihnen soll schon bald mit einer Mercury-Kapsel ins All fliegen und für Amerika den Weltraum erobern. "Mercury Seven" wird die Gruppe genannt.

Shepard drückt eben noch eine Zigarette aus. Mit ihm auf dem Podium sitzen - allesamt in Anzug und Krawatte und ohne militärischen Pomp - die beiden Marineflieger Wally Schirra und Scott Carpenter sowie die drei Luftwaffenpiloten Gordon Cooper, Gus Grissom und Deke Slayton. Sie alle haben sich darauf eingestellt, über ihre Erfahrungen als Testpiloten zu sprechen, über gefährliche Kriegseinsätze, über technische Herausforderungen. Nicht aber über Gefühle und ihre Familien. Entsprechend emotionslos sind die Antworten. Auf seine Frau angesprochen, sagt Slayton: "Was ich beruflich mache, ist mein Ding."

Nur einer fällt aus der Reihe: John Glenn, der einzige Marine-Angehörige in der Gruppe, lässt wie auf Knopfdruck seinen Charme spielen. Das rotblonde Kraftpaket, dessen Fliege das markante Gesicht noch eckiger erscheinen lässt, säuselt: "Ich glaube keiner von uns könnte so etwas machen, wenn ihn seine Familie nicht voll unterstützen würde." Die restlichen Sechs schauen Glenn verwundert an. Damit hätte niemand gerechnet, nicht nach der gemeinsamen Zeit und den intensiven Tests, die die angehenden Astronauten in den vergangenen Wochen durchgestanden haben.

Keine drei Monate war die amerikanische Raumfahrtbehörde Nasa alt, als sie wenige Tage nach Weihnachten 1958 einen Brief an die US-Streitkräfte schickte. "Junger Mann zum Mitfliegen gesucht", stand darin, verklausuliert im typischen Bürokraten-Englisch. Die Anforderungen: nicht größer als 1,80 Meter (die Mercury-Kapsel war auch ohne Astronaut schon viel zu eng), nicht älter als 40 Jahre, eine Ausbildung als Testpilot - und ein abgeschlossenes Studium.

Die letzte Voraussetzung schloss viele der damals besten Testpiloten des Landes aus. Die meisten hatten sich ihre Meriten im Krieg und nicht auf der Uni erworben.

"Fliegendes Dosenfleisch"

Chuck Yeager war der bekannteste. Im Oktober 1947 hatte der Luftwaffenpilot als erster Mensch die Schallmauer durchbrochen, noch immer flog er die schnellsten und gefährlichsten Maschinen. Doch sollte er bei der Astronautenauswahl keine Chance haben, was einen Haudegen wie ihn nicht weiter störte: Als "Dosenfleisch" wurden die angehenden Raumfahrer von Air-Force-Piloten verspottet. Während echte Piloten die Kontrolle über ihre Maschine hatten, würden Astronauten - eingequetscht in ferngesteuerte Kapseln auf hunderten Tonnen Treibstoff sitzend - zu menschlichem Ballast degradiert.

Allan Shepard, Reuters

Allan Shepard fiel die Ehre zu, als erster US-Amerikaner ins All zu starten.

(Foto: Foto: Reuters)

Eigentlich, so war zu hören, würde die Nasa sogar Affen diesen Job zutrauen. Außerdem war noch völlig unklar, ob das Mercury-Programm tatsächlich starten würde; der Wechsel in den Astronautenberuf konnte also auch das schnelle Ende einer erfolgreichen Militärkarriere sein.

Zumal die Top-Piloten eben ein brandneues Spielzeug bekommen hatten: In Kalifornien hatten die Tests für die X-15 begonnen - ein ungeheuer schnelles Raketenflugzeug, das Menschen aus eigener Kraft an die Grenze des Weltraums und zurück auf eine normale Rollbahn bringen sollte. Von Hand gesteuert, natürlich. Die X-15-Piloten, unter ihnen ein junger Luftfahrtingenieur namens Neil Armstrong, dachten zu jener Zeit nicht im Traum daran, ihre Flugzeuge gegen eine Raumkapsel zu tauschen.

Doch das interessiert in diesem Moment, im überfüllten Pressesaal des Nasa-Hauptquartiers, nur einen Steinwurf vom Weißen Haus entfernt, niemanden. Nicht die Fotografen, die wenige Minuten zuvor noch den Astronauten ihre Objektive vors Gesicht gehalten haben, als wollten sie jedes Nasenhaar einzeln porträtieren. Und auch nicht die Journalisten, die bei der Bekanntgabe der Namen jegliche kritische Distanz fallen ließen und frenetisch applaudierten.

Wie es die sieben Auserwählten denn mit dem Glauben halten und welcher Kirche sie angehören, lauteten weitere Fragen. John Glenn, der 37-jährige Klempnerssohn aus Ohio, der sich als einziger auf dem Podium Notizen macht, ist ganz in seinem Element. Er erzählt von seinem Engagement in der Sonntagsschule, seiner Arbeit im Kirchengemeinderat, seinem tiefen Glauben.

Glenn, der fliegende Kirchgänger, sagt: "Es gibt eine größere Macht, die uns - wenn wir unsere Talente und Fähigkeiten nur richtig einsetzen - alle Möglichkeiten öffnet." Shepards Antwort dagegen ist einsilbig: "Natürlich bin ich Christ und gehe in die Kirche." Erst auf Nachfrage erzählt der 35-Jährige, der mit verschränkten Armen hinter seinem Namensschild sitzt, dass er keiner Gemeinde angehört.

Die Nasa hat so etwas nie interessiert. Personalakten von 508 Testpiloten landeten Anfang 1959 auf den Schreibtischen der Astronautensucher. 110 Kandidaten wurden im Februar zu ersten Gesprächen nach Washington eingeladen. Einige winkten ab, andere scheiterten an Gesundheitstests. 32 Männer reisten schließlich Anfang März in die Wüstenstadt Albuquerque, um sich an der Lovelace-Diagnoseklinik einem bis heute legendären medizinischen Marathon zu unterziehen. Nasa-Historiker werden später berichten, dass an den Bewerbern wahrscheinlich "mehr klinische Tests durchgeführt wurden, als je an einem Menschen zuvor". Eine Umschreibung für: Die Männer waren Versuchskaninchen.

"Maximal mögliche Demütigung"

John Glenn, AP

Shepards Konkurrent John Glenn umkreiste später als erster Mensch die Erde und kam als US-Senator zu Ehren.

(Foto: Foto: AP)

Ärzte rammten Elektroden in ihre Handballen, fluteten die Ohren mit Wasser, verlangten Spermaproben - ohne Wert auf Diskretion zu legen. "Die Spezialität der Lovelace-Klinik war es, jede Prozedur mit der maximal möglichen Demütigung zu verbinden", berichtet der Autor Tom Wolfe in seinem Buch The Right Stuff. Einläufe waren an der Tagesordnung. Und nach einer Darmuntersuchung mussten sich die Probanden, lediglich mit einem Krankenhaushemd bekleidet, zwei Stockwerke tiefer bis zur nächsten öffentlichen Toilette durchkämpfen - vollgepumpt mit einer Barium-Lösung, deren Schlauch noch im Hintern steckte.

Ihren Höhepunkt erreichten die Tests auf einer Luftwaffenbasis in Ohio. Die Männer waren nur noch Nummern. Sie wurden in Unterdruck- und Isolationskammern geschickt - ohne zu erfahren, wie lange sie darin bleiben würden. Sie mussten Hitze, Kälte, Lärm und Vibrationen trotzen. Jede Geste, jedes Zucken und jedes Rümpfen der Nase wurde von Psychologen notiert.

In Psycho-Tests mussten die Männer Sätze vervollständigen wie "Es tut mir leid, dass..." oder "Ich kann nicht gut...". Fragen, die mit dem Selbstbewusstsein eines Testpiloten kaum vereinbar waren. Trotzdem galt es, bei den Antworten, nicht den Helden zu geben. Wer ein zu waghalsiges Bild von sich zeichnete, war bei den Psychologen schnell unten durch.

"Wir suchten echte Männer mit wertvoller Erfahrung", wird Charles Donlan, Chef der Bewertungskommission, später erzählen. Doch nicht nur die angehenden Astronauten mussten ihre Leistungsfähigkeit beweisen, auch für die Bewerbungskommission waren derlei Tests neu. Schon damals war klar: Sollte sich die Raumfahrt erfolgreich entwickeln, würde die nächste Auswahlrunde nicht lange auf sich warten lassen. Dafür galt es, Erfahrungen zu sammeln.

Angst? Niemals!

Immerhin 18 der 32 angetretenen Männer ließen sich weder von Spritzen, noch von Eisbädern und Psychologen einschüchtern. Eine harte Aufgabe für die Nasa-Kommission, die aus dieser Gruppe sechs Astronauten auswählen sollte. Nach langen Diskussionen wurden es schließlich sieben. Der härteste psychologische Test stand allerdings noch bevor: der Gang in die Öffentlichkeit.

Ob die Sieben denn Angst hätten, will ein Reporter auf der ersten Pressekonferenz wissen, kleidet die Frage aber in ein unverfänglicheres Gewand: "Wie viele von Ihnen sind zuversichtlich, sicher zurück zur Erde zu kommen?" Sechs Astronauten heben, als sei es ihnen etwas peinlich, die Hand. Nur John Glenn nicht. Er streckt beide Hände in die Höhe.

Für die Journalisten ist nach diesem Tag klar: Die Nation hat sieben neue Helden - und einen klaren Favoriten für den ersten Amerikaner im All. Es ist der gläubige Familienvater, der fotogene Charmeur mit der geschliffenen Rhetorik, der patriotische Veteran aus Weltkrieg und Koreakrieg, John Glenn. Auch den anderen Astronauten wird klar, dass sie in den folgenden Monaten, beim Wettbewerb um den ersten Flug ins All, mit Glenns Beliebtheit konkurrieren müssen. Mehr als zwei Jahre vergehen, bis der erste amerikanische Astronaut am 5.Mai 1961 in eine Mercury-Kapsel klettert und ins All fliegt. Sein Name: Alan Shepard

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