Rauchen:Heimspiel für die Tabaklobby

Tabakwerbung

Archivbild; aufgenommen nahe des Heavy-Metal-Festivals in Wacken.

(Foto: picture-alliance/ dpa)
  • Laut einem WHO-Bericht geraten Tabakhersteller in immer mehr Ländern unter Druck. Strengere Gesetze sorgen dafür, dass die Raucherquote in vielen Staaten sinkt.
  • In Deutschland versucht die Tabakindustrie, den Folgen möglicher Werbeverbote durch Direktmarketing zu entgehen, beispielsweise auf Musikfestivals.
  • Insgesamt sehen die WHO-Forscher in Deutschland kaum Fortschritte in der Tabakkontrollpolitik. Ein geplantes Verbot von Tabakaußenwerbung ist vorerst gescheitert.
  • Interne Dokumente des Wirtschaftsministerium belegen, dass Teile der aktuellen Bundesregierung Stimmung gegen ein Werbeverbot machten.

Von Christoph Behrens

Die Sonne brennt, das viele Tanzen und Feiern hat die ersten Festivalbesucher an diesem Tag ermattet. Zum Glück gibt es in einer abgetrennten Lounge Entspannung. Sitzsäcke laden zum Chillen ein, man kann sich massieren lassen oder gegeneinander im Tischfußball antreten. Im Hintergrund pumpen Bässe einer Hip-Hop-Gruppe. Es gibt gratis Popcorn und Kaffee. Und natürlich Zigaretten, das wichtigste Produkt an diesem Ort. Die Lounge gehört zur Zigarettenmarke Pueblo, die Mitarbeiter in schicken orangen und blauen T-Shirts verteilen freigiebig Tabakprodukte. Viele junge Leute greifen zu.

Die Szene spielt auf einem mittelgroßen Musikfestival in Süddeutschland. Der Name ist irrelevant, weil es auf beinahe jedem Festival so abläuft: Überall sind Tabakfirmen mit kleinen oder großen Ständen vertreten, Verkäufer laufen mit Bauchläden über das Gelände und verteilen großzügig ihre Waren. Die Umgebung ist verlockend für die Tabakkonzerne. Überall junge Menschen, laute Musik, etwas Auszeit vom Alltag, ein Stück Wochenend-Rebellion. Freiheit und Rebellion, welche Zigarettenmarke versucht dieses Image heute nicht auszustrahlen? Egal ob auf Wacken, Rock am Ring oder dem "Love Family Park"-Festival, die Zigarettenindustrie ist dabei. Mal reichen die Tabakvertreter neben Zigaretten kleine Erfrischungen. Andernorts errichten sie wahre Paläste für ihre Produkte, wie ein mehrstöckiges Containerdorf auf dem Rock-im-Park-Gelände, wo die Marke Pall Mall in den letzten Jahren eigens Bands auftreten ließ.

"Vorgriff auf strengere Regulierung"

Ute Mons vom Deutschen Krebsforschungszentrum DKFZ beobachtet das Buhlen der Tabakindustrie um das Festivalpublikum seit einiger Zeit. Sie sieht darin "eine klare Strategie, um junge Menschen tabakabhängig zu machen". Im Gegensatz zu den Beteuerungen der Tabakindustrie, man spreche auf Festivals nur Raucher an, ziehe die Werbung auch Nichtraucher an, sagt Mons. Außerdem verfolge die Tabakindustrie damit eine langfristige Strategie. An fast jedem Stand ködern die Firmen Gäste mit Gewinnspielen oder kleinen Geschenken wie Feuerzeugen. Im Gegenzug hinterlassen die Besucher oft ihre E-Mail-Adressen oder Telefonnummern. Die Daten sind für die Tabakfirmen wertvoller als jeder verschenkte Krimskrams. Die Kontakte eröffnen das Tor für Dauerbotschaften per E-Mail, Einladungen zu Treueaktionen und Events. Die Taktik, möglichst direkt mit Kunden zu kommunizieren sei "ein Vorgriff auf strengere Regulierung", vermutet Mons, zum Beispiel, wenn es künftig striktere Werbeverbote für Tabakprodukte geben sollte.

Solche Restriktionen nehmen weltweit gesehen stetig zu. Das zeigt ein in dieser Woche veröffentlichter Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Demnach gibt es bereits in 121 Staaten Gesetze, die den Konsum oder Verkauf von Tabak einschränken sollen. 50 Länder haben seit 2010 neue Maßnahmen erlassen, beispielsweise Warnhinweise auf den Schachteln, Programme zum Aufhören oder einen besseren Schutz vor Passivrauch am Arbeitsplatz. 4,7 Milliarden Menschen profitieren heute von den Tabakgesetzen, schätzt die WHO, immerhin drei Milliarden mehr als noch vor zehn Jahren. Einige Staaten sind dabei ziemlich weit gegangen, in 55 Ländern bestehen mittlerweile umfassende Rauchverbote an öffentlichen Orten, zum Beispiel in Kanada, Australien oder Großbritannien. Indien richtete 2016 ein nationales Programm zum Rauchstopp ein.

Sowohl in Industriestaaten als auch in Schwellen- und Entwicklungsländern ist der Prozentsatz der Raucher in der Gesamtbevölkerung seit 2007 gesunken, hebt die WHO hervor. Zwar steigt die absolute Zahl der Raucher wegen der wachsenden Weltbevölkerung noch, doch dürften der steigende Eifer der Regierungen und die verringerten Raucherquoten die Tabakindustrie beunruhigen. Zumal mittlerweile auch Entwicklungsländer wie Kambodscha, El Salvador oder Uganda, für die das Thema in der Vergangenheit kaum relevant war, strengere Gesetze verabschiedet haben. In den drei Staaten sind mittlerweile alle öffentlichen Orte rauchfrei. Auch die Zahl der Länder mit umfassenden Tabakwerbeverboten hat sich von sieben auf 37 in zehn Jahren mehr als verfünffacht. Rund 1,1 Milliarden Menschen bekommen in ihren Staaten so gut wie keine Werbung mehr zu Gesicht, schätzt die WHO - etwa in Brasilien, Spanien, Russland oder Nigeria. Ein Werbeverbot hält die WHO für eine der wirksamsten Maßnahmen, damit vor allem junge Leute gar nicht erst mit dem Rauchen anfangen.

In Deutschland hat die Tabakindustrie wenig zu befürchten

An dieser Front braucht sich die Tabakindustrie in Deutschland jedoch vorerst keine Sorgen zu machen. Der großen Koalition ist es auch nach jahrelangem Hin und Her nicht gelungen, ein bereits verabredetes Verbot für Tabakaußenwerbung zu beschließen. Zu der Maßnahme hatte sich Deutschland im Tabakrahmenübereinkommen (FCTC) der WHO 2003 bekannt. Ein entsprechendes Gesetz von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt ist seit mehr als einem Jahr formuliert, das Kabinett verabschiedete den Entwurf bereits. Doch Volker Kauder, Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, setzte das Vorhaben monatelang nicht auf die Tagesordnung des Parlaments, sodass es nie zur Abstimmung gelangte. Jetzt ist Sommerpause und ein Tabakwerbeverbot steht frühestens nach der Wahl wieder zur Debatte. Wenn überhaupt.

Nun wirft die SPD der Union Verzögerungstaktik vor. "Es erschreckt uns, dass sich CDU und CSU von der massiven Lobbyarbeit der Zigarettenindustrie derart beeindrucken lassen", heißt es in einem Brief von zwei SPD-Abgeordneten an Kauder. Allerdings hatte auch das SPD-geführte Wirtschaftsministerium unter Sigmar Gabriel in den letzten Jahren ein offenes Ohr für die Tabakindustrie. Sieben Mal trafen sich Vertreter des Amts zwischen Juli 2014 und September 2016 mit Vertretern der Tabaklobby, zwei Mal nahm sich Gabriel persönlich Zeit. Dokumente zur Gesprächsvorbereitung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, zeigen, dass das Ministerium sich dabei stets gegen ein Werbeverbot positionierte. So heißt es in einer Vorlage für den Minister vom Juli 2014, es sei aus Sicht des Ministeriums erforderlich, dass von "weiteren, sachfremden Einschränkungen für Wirtschaft und Handel, wie z. B. ein umfassendes Werbeverbot für Tabakprodukte, Abstand genommen wird". Auch neutralen Einheitsverpackungen von Zigaretten - ebenfalls eine Empfehlung der WHO - werde man "eine Absage erteilen", versprach Gabriel laut der Vorlage zur Gesprächsvorbereitung den Tabaklobbyisten. Und: Ob in Folge strengerer Regulierung "die gewünschten gesundheitspolitischen Effekte eintreten werden, bleibt fraglich".

Omnipräsent ist nur die Tabakwerbung

Wissenschaftliche Erkenntnisse in Zweifel zu ziehen, sei exakt die Taktik der Tabakindustrie, warnt die WHO im Bericht zur Tabakpolitik. Die Industrie arbeite "aktiv daran, den politischen und legislativen Prozess zu kapern", Kontakte zwischen Regierungen und Tabakwirtschaft sollten deshalb auf ein Minimum beschränkt sein, so die Empfehlung.

Insgesamt schneidet Deutschland im WHO-Report zur Tabakpolitik fast durchgängig schlecht ab. In Deutschland raucht jeder vierte Erwachsene, im Vergleich zu anderen Industriestaaten eine überdurchschnittliche Quote. Während die Rate in vielen Staaten in den letzten Jahren sank, ist sie in Deutschland fast konstant geblieben. Das DKFZ schätzt, dass jährlich rund 120 000 Menschen in Deutschland an den Folgen des Tabakkonsums sterben.

Die WHO sieht die Ursachen für die hohen Zahlen in der Tabakpolitik. Nicht nur bei der Frage nach Werbeverboten hinke Deutschland mittlerweile anderen Staaten hinterher. Auch die Steuerlast für Tabakprodukte ist im europäischen Vergleich recht niedrig, wie der WHO-Bericht zeigt. Zudem zählt die WHO Deutschland nicht zu den Ländern, in denen es eine "angemessene Unterstützung zum Rauchstopp" gibt. Im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten wie Großbritannien, Italien oder Portugal gebe es auch keine effektiven Kampagnen in den Massenmedien, die etwa zum Ausstieg werben. Omnipräsent ist indes die Tabakindustrie vertreten, ob auf Musikfestivals oder unzähligen Plakaten.

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