Rätselhaftes Phänomen:Honig saugen aus dem Bienensterben

In den USA sterben die Bienen - binnen Tagen verschwinden gesunde Völker spurlos. Jetzt instrumentalisieren deutsche Interessengruppen den rätselhaften Massentod für ihre eigenen politischen Ziele.

Martin Kotynek

In den USA sterben die Bienen - seit vergangenem Herbst ist mehr als ein Viertel der 2,4 Millionen Völker zu Grunde gegangen. Das rätselhafte Sterben lässt scheinbar gesunde Völker binnen weniger Tage spurlos verschwinden. Tote Bienen finden sich im Stock kaum, sie haben ihn zum Sterben verlassen. Wissenschaftler können das Phänomen nur beschreiben, aber noch nicht erklären. Diese Ungewissheit nutzen deutsche Interessengruppen nun offensiv für ihre Zwecke.

Rätselhaftes Phänomen: In den USA sterben die Bienen - in Deutschland (noch) nicht.

In den USA sterben die Bienen - in Deutschland (noch) nicht.

(Foto: Foto: dpa)

Für Gentechnik-Gegner in Deutschland - wo das Bienensterben bisher nicht aufgetreten ist - steht bereits fest: Der Gen-Mais ist schuld, werde er doch in den USA in großen Mengen angebaut. "Wir fordern daher in Deutschland einen sofortigen Anbaustopp für gentechnisch veränderten Mais", sagt Steffi Ober vom Naturschutzbund. Sogenannter Bt-Mais enthält Gene des Bakteriums Bacillus thuringiensis (Bt). Damit können die Pflanzen ein Gift bilden, das Fraßinsekten abwehrt, indem es ihren Darm durchlöchert.

"Das im Bt-Mais enthaltene Insektengift schadet den Bienen", sagt Manfred Hederer vom Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund. Und überhaupt: Die Gefährdung sei von der Universität Jena bereits im Jahr 2004 "wissenschaftlich nachgewiesen worden", ergänzt Ober.

Gentechnik vermutlich unschuldig

Doch das glaubt nicht einmal der Autor der Studie: "Es gibt keinen Beweis für eine toxische Wirkung von Bt-Mais für Bienen", sagt Hans-Hinrich Kaatz, der mittlerweile an der Universität Halle forscht. Die Studie von 2004 wurde noch nicht veröffentlicht, da weitere Kontrollexperimente geplant sind. Kaatz fütterte zehn Bienenvölker vier Wochen lang mit Pollen von Bt-Mais in zehnfach höherer Konzentration als sie üblicherweise in der Nahrung der Insekten vorkommt.

Alle Bienenvölker starben - allerdings nicht am Pollen, sondern an einem Darmparasiten, mit dem die Bienen zufällig infiziert waren. Auffallend war, dass die Bienen, die den Bt-Pollen erhielten, vier Tage früher starben als die Bienen einer Kontrollgruppe, die eine normale Kost erhielten - damit argumentieren die Gentechnik-Gegner nun. Als der Forscher den Versuch jedoch wiederholte und die Bienen mit Antibiotika behandelte, gab es keinen Unterschied mehr. "Bt-Mais schadet gesunden Bienen selbst unter Extrembedingungen nicht", sagt Kaatz.

Weitere Indizien sprechen dagegen, dass die Gentechnik für das Bienensterben in den USA verantwortlich ist. In den US-Bundesstaaten Illinois und Indiana, die zu den Hauptanbaugebieten von Bt-Mais gehören, ist das Bienensterben bisher nicht aufgetreten.

Hingegen kommt es auch in solchen Regionen vor, in denen Maisanbau keine große Rolle spielt. Um sicherzugehen, überprüfte Michelle Marvier von der Santa Clara University in Kalifornien 42 Feldversuche mit Bt-Mais. Auf Äckern mit Bt-Mais überleben sogar mehr Honigbienen und Schmetterlinge als auf Feldern, auf denen Insektizide eingesetzt werden (Science, Bd.316, S.1475, 2007).

"Bienen sind nicht der Zielorganismus des Bt-Toxins", sagt Peter Rosenkranz, Leiter der Landesanstalt für Bienenkunde an der Universität Hohenheim. "Jede Interessengruppe sucht sich eine Erklärung für das Bienensterben aus, die für sie gerade passt." Man wolle wohl die bevorstehende Novelle des Gentechnik-Gesetzes beeinflussen. Zudem haben Imker in Bayern und Brandenburg Klage gegen den Anbau der Bt-Maissorte MON810 der Firma Monsanto eingebracht. Das amerikanische Bienensterben mit Eigeninteressen in Deutschland zu vermischen, sei "falsch", so Rosenkranz.

Industrielle Nutzung schwächt

Zuvor hatten Mobilfunk-Gegner bereits Elektrosmog als Grund für das rätselhafte Bienensterben angegeben: Die elektromagnetische Strahlung von Handys würde den Orientierungssinn der Insekten stören und die Bienen den Stock daher nicht mehr finden. Bienenforscher schließen Elektrosmog jedoch als Grund für das als "Colony Collapse Disorder" (CCD) bezeichnete Massensterben aus. "CCD tritt auch dort auf, wo Mobilfunkdienste gar nicht verfügbar sind", heißt es aus der CCD-Arbeitsgruppe der Pennsylvania State University.

Akribisch geht die Gruppe jedem möglichen Auslöser nach. Schließlich ist die Honigbiene das drittwichtigste Nutztier nach Rind und Schwein. Ein Drittel der Nahrung des Menschen basiert auf Pflanzen, die von Bienen bestäubt werden. Diana Cox-Foster, Insektenforscherin an der Pennsylvania State University, hat daher tote Bienen aus dem ganzen Land untersucht: "Wir waren schockiert über die hohe Anzahl an Krankheitserregern, die wir in den Bienen gefunden haben."

Honig saugen aus dem Bienensterben

Alle Tiere waren zudem mit Pilzen infiziert. "Das bedeutet, dass das Immunsystem der Bienen geschwächt ist", berichtete Cox-Foster dem US-Kongress im März. Doch was ist der Grund für die Immunschwäche? Um einen bisher unbekannten Krankheitserreger handle es sich nicht, sagt Dieter Wittmann, Bienenforscher an der Universität Bonn. "Es gab keinen Punkt, von dem sich das Sterben ausgebreitet hat."

Auch die Varroa-Milbe, der gefährlichste Parasit für Bienen, dürfte für das Massensterben nicht verantwortlich sein. "Die Mengen an Milben, die wir in den meisten von CCD betroffenen Stöcken gefunden haben, reichen nicht aus, um das plötzliche Sterben auszulösen", sagt Dennis van Engelsdorp von der CCD-Arbeitsgruppe.

Die Forscher richten ihr Hauptaugenmerk nun auf die industrielle Nutzung der Bienen. "Der Umgang mit Honigbienen ist in den USA nicht tiergerecht", sagt Dieter Wittmann. Wanderimker ziehen mit ihren bis zu 35000 Völkern per LKW durch das Land und bieten die Bestäubung als Dienstleistung an. Die Bienen müssen bis zu 15 Mal pro Jahr umziehen und dabei Temperaturschwankungen erdulden.

Im Winter werden die Insekten mit Zuckersirup gefüttert, weil die Bestäuber-Firmen schon im Februar volle Stöcke für die Mandelblüte brauchen. Das bringt den Rhythmus der Tiere aus dem Takt, die im Winter sonst inaktiv sind. "Die Bienen sind ganzjährig gestresst. Das schwächt ihre Widerstandskraft, sie werden anfälliger für Krankheiten", sagt Bienenforscher Wittmann.

Hinzu käme eine einseitige Ernährung durch Monokulturen: "Die Insekten sind auf ein vielfältiges Pollenangebot angewiesen, um sich gut zu entwickeln. Ist die Nahrung einseitig, schwächt das die Larven", sagt Wittmann. Bei einem kargen Speisezettel steigt auch ihre Empfindlichkeit für Pflanzenschutzmittel.

Der Grund dafür ist noch unbekannt. Andere Theorien nennen Überzüchtung als einen möglichen Faktor. Bienenzüchter bevorzugen seit Jahren Sanftmut und Fleiß. "Durch die starke Selektion wird aber die genetische Vielfalt der Tiere eingeengt", sagt der Zoologe Jürgen Tautz von der Universität Würzburg. So können sich Immunschwächen vererben.

All diese Faktoren tragen dazu bei, dass sich der Gesundheitszustand der Bienen verschlechtert hat. Welche Kombination dieser Faktoren das Massensterben ausgelöst hat, ist noch nicht bekannt. Fest stehe nur: "Schuld am Bienensterben ist der Mensch", sagt Wittmann.

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