Rätselhafter Vulkanausbruch:Explosion eines Unbekannten

Im Jahr 1258 muss es einen gewaltigen Vulkanausbruch gegeben haben - doch welcher Feuerberg war explodiert? Erste Hinweise auf den Täter verunsichern die Klimaforscher.

Axel Bojanowski

Der Fall ist seit langer Zeit ungelöst, der Täter wird noch gesucht. Mit den Ermittlungen sind Geologen befasst, und es geht um einen Gewaltausbruch, der alles übertrifft, was in den vergangenen 10.000 Jahren passiert ist. Gesucht wird: ein Vulkan. Dieser muss im Jahr 1258 ausgebrochen sein, und hat die Erde mit Staub überzogen.

Rätselhafter Vulkanausbruch: Neue Indizien sprechen dafür, dass der mexikanische Vulkan El Chichón im Jahr 1258 ausgebrochen ist.

Neue Indizien sprechen dafür, dass der mexikanische Vulkan El Chichón im Jahr 1258 ausgebrochen ist.

(Foto: Foto: Google Earth)

Aber trotz intensiver Suche ist noch immer unbekannt, welcher Feuerberg seinerzeit explodierte. Sicher ist nur, dass die Eruption das Klima der Erde dramatisch beeinflusst hat. Nun, endlich, gibt es erste Hinweise auf den Täter.

Alles begann 1980, als Glaziologen im Eis Grönlands eine Entdeckung machten. Sie hatten einen Zylinder aus dem Eis gebohrt und seine Zusammensetzung untersucht. Wie Jahresringe in Bäumen geben Eisschichten Auskunft über das Klima der Vergangenheit. Jahr für Jahr sammelt sich eine neue Schneeschicht.

Das Alter der Schichten wird bestimmt, indem man die Menge von Substanzen untersucht, die mit konstanter Rate zerfallen. Luftblasen geben Aufschluss über die Umwelt vergangener Jahre.

Im Jahr 1258, so stellten die Glaziologen fest, war über Grönland außergewöhnlich schwefelhaltiger Schnee niedergegangen - ein eindeutiger Hinweis darauf, dass ein Vulkan ausgebrochen war, dessen Eruptionswolke sich um die Erde verteilt hatte. Auch im antarktischen Eis wurden bald ähnliche Schwefelablagerungen gefunden und auf das Jahr 1258 datiert.

Die Schwefelmenge zeigte, dass seinerzeit die größte Eruption der vergangenen 2000, vermutlich sogar 10.000 Jahre stattgefunden haben muss. Nur war von einer solchen Katastrophe nichts bekannt, dabei hätte sie in diesem Ausmaß Anwohnern im Umkreis von etwa 2000 Kilometern nicht entgehen können. Bei dem Ausbruch muss sich ein bis zu 30 Kilometer weiter Krater geöffnet haben. Asche, Lava und Gestein hätten sich meterdick über die Landschaft gelegt, sagen Experten.

Auch weltweit hätte das Ereignis gravierende Folgen haben müssen. Die Schwefelmenge von 1258 war ungefähr 15-mal größer als nach dem Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora 1815, der das Klima dramatisch veränderte. Die Schwefeltröpfchen verteilten sich damals in der oberen Atmosphäre, legten sich wie ein Schleier um die Erde und blockierten das Sonnenlicht. Das Jahr 1816 wurde in Europa als "Jahr ohne Sommer" bekannt.

Der Ausbruch von 1258 hätte auch eine drastische Abkühlung und eventuell schwere Hungersnöte zur Folge gehabt haben müssen, meinen die Forscher. Doch davon war lange nichts bekannt. Das verunsichert Klimaforscher. Um das Klima der Zukunft zu simulieren, müssen ihre Computermodelle zunächst die Schwankungen der Vergangenheit nachbilden können.

Vulkanausbrüche gelten als bedeutender Klimaeinfluss. Doch dass ausgerechnet die Wirkung der größten Eruption unentdeckt bleibt, lässt an den Simulationen zweifeln. Immerhin liefern historische Quellen Hinweise dafür, dass es 1258 zu klimatischen Veränderungen gekommen war. Der wolkenlose Himmel habe in jener Zeit mehrfach den Mond verdunkelt, berichtet Richard Stothers von der Nasa, der Chroniken jener Zeit zusammengetragen hat.

Verdächtiger in Mexiko

Diese Aufzeichnungen berichten von einem außergewöhnlich kühlen und regnerischen Sommer 1258, er war einer der kältesten der vergangenen Jahrhunderte. Missernten, Hungersnöte und Seuchen hätten Europa heimgesucht. Doch das Klima erholte sich offenbar bereits 1259, zumindest in Europa.

"Die Auswirkungen der Eruption waren bei weitem weniger dramatisch, als zu erwarten gewesen wäre", erklärt der Klimaforscher Thomas Crowley von der Duke Universität in den USA. Zusammen mit einer Gruppe um Claudia Timmreck vom Max-Planck-Institut (MPI) für Meteorologie ist Crowley dem Vulkan mit Klimaberechnungen auf die Spur gekommen.

Dass die klimatischen Folgen des Ausbruchs begrenzt blieben, liege vermutlich an einem bislang vernachlässigten Effekt der Eruptionswolke, berichtet die Arbeitsgruppe. Der Schwefelschleier habe nämlich nicht nur eine kühlende Wirkung. Werde bei großen Eruptionen besonders viel Material in die Luft gepustet, wärmten die Schwefeltröpfchen vermutlich gleichzeitig, sagt Stefan Kinne vom MPI.

Explosion eines Unbekannten

Der Effekt beruhe auf dem Umfang der Schwefelpartikel. Je größer die Tröpfchen sind, desto mehr Wärmestrahlung nehmen sie auf. Und je mehr Teilchen in der Atmosphäre schweben, umso häufiger vereinen sie sich zu dicken Tropfen. Bei großen Ausbrüchen staue sich also Wärme in der Luft, sagt Crowley. Der Effekt würde derzeit mit Klimasimulationen am MPI genauer geprüft.

Nicht nur die Schwefelmenge entscheidet über die Klimawirkung eines Vulkans, auch seine geographische Position. Umgekehrt lässt sich aus den Schwefelablagerungen im Eis auch die Lage eines Vulkans abschätzen. Das brachte die Wissenschaftler auf die Spur des Verursachers des Ausbruchs von 1258.

Vermutlich liege der Vulkan in den Tropen, meint Thomas Crowley. Dafür spreche, dass sich an beiden Polen ähnlich mächtige Schwefelschichten im Eis fänden. Weil die abgelagerte Menge in Grönland noch ein wenig größer sei als in der Antarktis, müsse man wohl in den nördlichen Tropen suchen.

Doch an Land wurde kein entsprechender Krater gefunden. Deshalb glauben manche Experten an eine Eruption unter dem Meer. Die Suche konzentriert sich zudem auf entlegene Inseln im Indischen und Pazifischen Ozean, wo ein Vulkan 1258 ohne Zeugen ausgebrochen sein könnte. Auch der Quilotoa in Ecuador komme in Frage, meint Julien Emile Geay von der Columbia University.

Im Fokus vieler Forscher steht jedoch inzwischen der mexikanische Vulkan El Chichón. Altersbestimmungen an vulkanischem Glas zeigen, dass El Chichón 1258 ausgebrochen sein könnte.

Doch die Indizien sprechen nicht für eine heftige Eruption. Dass sein Magma besonders viel Schwefel enthalte, mache den Vulkan dennoch zu einem Anwärter, meint Crowley. Warum aber haben die mexikanischen Ureinwohner keine Zeugnisse jener Mega-Katastrophe hinterlassen, fragen sich die Forscher. "Wir sollten uns", sagt Crowley, "den El Chichón genauer ansehen."

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