Publikationen:Offen, kritisch, gemeinsam

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Ein Essay in einem namhaften Wissenschaftsmagazin gilt als Schlüssel zu Karriere, Ruhm und Ehre. Das muss sich ändern, fordern selbst Nobelpreisträger.

Von Andrea Hoferichter

Die Wellen schlugen hoch, als Randy Schekman zum Publikationsboykott in beliebten Fachblättern wie Nature, Science oder Cell aufrief. Die Anreize, die diese Magazine setzten, hätten für die Wissenschaft ebenso verheerende Folgen wie Bankerboni für die Finanzwelt, die Glaubwürdigkeit sei in Gefahr, schrieb der Medizin-Nobelpreisträger 2013 in der britischen Zeitung The Guardian. Diese "Luxusmagazine" veröffentlichten nur eine kleine Auswahl der eingereichten Studien. So verführten sie Forscher dazu, auf spektakuläre Themen zu setzen und in Extremfällen Ergebnisse zu schönen oder gar zu fälschen. Schließlich gelten entsprechende Publikationen als Schlüssel zu Fördergeldern und Karriere, zu Ruhm und Ehre.

Der Nobelpreisträger wirbt für nicht kommerzielle "Open Access"-Magazine als Alternative, etwa jene der öffentlichen Wissenschaftsbibliothek Plos (Public Library of Science). Die Zeitschriften sind für jedermann gratis einsehbar, werden in der Regel redaktionell von aktiven Wissenschaftlern betreut und sie können, da sie online erscheinen, alle Studien veröffentlichen, die den Standards genügen. "Immer mehr Wissenschaftler finden, es ist an der Zeit, die Macht über die Veröffentlichung eigener Forschung wieder zu übernehmen", sagt Schekman, der Chefredakteur des Open-Access-Magazins eLife ist.

Der Unmut köchelte allerdings schon lange vor Schekmans Schelte im Guardian. Es mag am Promistatus des Nobelpreisträgers gelegen haben oder daran, dass schlicht das sprichwörtliche Fass übergelaufen war, doch mittlerweile ist Bewegung in der Sache. "Das Thema wird weltweit regelmäßig in Workshops diskutiert, und auch die Zeitschriften haben umfangreich reagiert", sagt Cornelius Frömmel, ehemaliger Medizindekan der Universität Göttingen und Kritiker der wissenschaftlichen Praxis in Medizin und Biomedizin. Die Transparenz sei heute höher, Rohdaten seien einsehbar, mögliche Interessenskonflikte müssten benannt werden und die Begutachtung erfolge meist anonymisiert. "Außerdem werden zunehmend alternative Veröffentlichungskonzepte genutzt", sagt Frömmel. Zum Beispiel werden Untersuchungen veröffentlicht, die bereits publizierte Studien wiederholen. Lange geschah das mangels Neuheitswerts so gut wie nie. Dabei spielen solche Studien für die Qualitätssicherung eine wichtige Rolle. Vor ein paar Jahren wurden Schätzungen veröffentlicht, denen zufolge zwischen 51 und 89 Prozent der Studien aus der präklinischen Forschung nicht reproduzierbar sind.

Auch für Präregistrierungen wird verstärkt geworben. Dabei legen Forscher ihre Hypothesen und Studienplanungen offen, bevor sie praktisch ans Werk gehen. In der klinischen Forschung sind Präregistrierungen schon heute Voraussetzung für eine Veröffentlichung in namhaften Fachzeitschriften. Manche Magazine, die sie auch in anderen Disziplinen fördern, sichern akzeptierten Studien zudem eine Veröffentlichung unabhängig vom Ergebnis zu. Denn selbst wenn nicht rauskommt, was Forscher erwarten, können solche sogenannten "Nullresultate" wertvoll sein, zum Beispiel können sie andere Untersuchungen relativieren oder widerlegen, Ansätze für weitere Forschung liefern oder Hinweise geben, welche Experimente es sich nicht lohnt anzugehen.

Der Chemie-Nobelpreisträger Martin Chalfie von der Columbia University in den USA favorisiert außerdem sogenannte "Journal Clubs". Alle zwei Wochen diskutiert er mit seinem Team unveröffentlichte Studien, die auf "Preprint-Servern" einsehbar sind. Die Vorteile: Die Klubteilnehmer haben Zugang zu brandaktuellem Material, können anderen Forschern helfen und lernen, Manuskripte zu verbessern. Die Autoren wiederum bekommen wertvolles Feedback. Chalfie hofft, dass Journal Clubs Schule machen. "Nicht nur für den persönlichen Vorteil, sondern damit es mehr Austausch in der Wissenschaftsgemeinschaft gibt", sagt er.

Für junge Forscher ist der Veröffentlichungsdruck immer noch sehr groß

"Auch an einigen Universitäten und bei manchen Geldgebern tut sich etwas", sagt Frömmel. Das Augenmerk werde mittlerweile stärker auf die wissenschaftliche Leistung als auf den "Impact-Faktor" der Magazine, also deren Einfluss in der Wissenschaftsszene, gerichtet. Dieser sei lediglich ein Maß dafür, wie häufig Artikel eines Journals in anderen Wissenschaftsmagazinen zitiert werden, nicht aber für die Qualität der darin veröffentlichten Studien.

Von einem Durchbruch kann allerdings noch nicht die Rede sein. Für junge Forscher ist der Druck, möglichst viel in möglichst hochrangigen Blättern zu veröffentlichen, nach wie vor groß. Einen Boykott à la Schekman können sie sich schlicht nicht leisten. "Mir wurden schon Fördergeldanträge abgelehnt, da ich nicht genügend Erstautor-Veröffentlichungen hatte, obwohl aus den Kommentaren herauszulesen war, dass die Anträge ansonsten exzellent waren", sagt etwa Adam Whisnant von der Julius-Maximilian-Universität Würzburg. Und Lukas Landegger von der Harvard Medical School berichtet: "Nach dem Studium habe ich mich mehrfach um Fördergelder beworben, aber praktisch alle Anträge wurden abgelehnt. Heute, nach 24 Publikationen in drei Jahren, auch in Top-Magazinen, hat sich die Situation komplett geändert. Zum Besseren."

"Der Druck geht von Geldgebern, Magazinen und von der Arbeitsgruppe selber aus" sagt Ina Huppertz, Post-Doktorandin am European Molecular Biology Laboratory Heidelberg. Besonders in den biologischen Wissenschaften scheine es eine Tendenz zu geben, miteinander zu konkurrieren und die Arbeit anderer Wissenschaftler abzuwerten. Zudem sei der Impact-Faktor für die Karriere noch immer ausschlaggebend. "Dabei ist es für bestimmte Positionen vielleicht besser, einen Wissenschaftler zu haben, der nicht besonders oft hochrangig veröffentlicht, aber ein guter Mentor ist und seinen Doktoranden und Postdocs zu mehr Exzellenz verhelfen kann", glaubt die Forscherin. Und im Magazin Nature klagte jüngst ein junger britischer Forscher, er fühle sich durch die Diskussionen eher verunsichert als gestärkt: "Uns wird gesagt, dass der Impact-Faktor nicht weiter benutzt werden soll, uns wird aber nicht gesagt, was wir stattdessen tun sollen."

Ulrich Dirnagl, Professor an der Berliner Charité, kennt das Dilemma der Jungwissenschaftler. "Das Verdonnern des Impact-Faktors und Werben für Open Access und Open Data, das ist alles schön und gut und richtig, aber im Grunde wird hier nur an Symptomen herumgedoktert", sagt er. Die eigentliche Krankheit liege in einem wettbewerbsgetriebenen System, das falsche Anreize setze und für zu viel Druck sorge. "Und das können natürlich nicht die jungen Wissenschaftler ändern, sondern nur die Kommissionen, Fakultätsleitungen und Fördergeber, die darüber entscheiden, wer Fördergelder oder eine Festanstellung bekommt."

Ein Beispiel dafür, wie es gehen kann, liefert Dirnagl zufolge die Charité. Auf dem Bewerberportal für Professorenstellen wird unter anderem gefragt, wie die Bewerber zu Open Science stehen, zur Transparenz in der Wissenschaft, zu Nullresultaten und so weiter, und was sie dazu schon vorzuweisen haben. "Außerdem sollen sie ihre nach eigener Einschätzung beste Publikation nennen, unabhängig von der Zeitschrift, in der sie erschienen ist, und erklären, warum es die beste ist und welchen Beitrag sie darin konkret geleistet haben", berichtet Dirnagl.

Der Forscher hat zudem das am Berliner Institut für Gesundheitsforschung angesiedelte Quest Center mitgegründet, das Preise für Veröffentlichungen von frei zugänglichen Daten und Nullresultaten aus und für Präregistrierungen verleiht. "Wir wollen damit auf das Thema aufmerksam machen, denn viele wissen ja gar nicht, was sich hinter diesen Begriffen verbirgt", erklärt Dirnagl. Das Angebot werde gut nachgefragt. Der Gewinn, Fördergelder in Höhe von je 1000 Euro, sei zwar eher bescheiden. "Aber einen Preis gewinnen und öffentlich mit Namen genannt werden, das schätzen viele Forscher sehr. Sie bekommen eben gerne Lob und Anerkennung, wie alle Menschen", sagt der Wissenschaftler.

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