Psychologie zum Heulen:Die Chemie des Weinens

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Warum der Mensch weint, kann die Forschung noch immer nicht überzeugend erklären. Nun gibt es Hinweise darauf, dass sich in den Tränen trauriger Frauen eine chemische Botschaft versteckt: No Sex.

Claudia Füssler

In den Tränen trauriger Frauen versteckt sich womöglich auch eine chemische Botschaft: Sie signalisiert dem Partner, dass die weibliche Lust auf Sex gerade gen Null tendiert. Der Mann nimmt diese Information auf und fährt seine sexuellen Energien herunter.

Eine junge Frau trauert um den getöteten Bruder.  Die chemische Zusammensetzung der Tränenflüssigkeit des Menschen ändert sich beim emotionalen Weinen. (Foto: picture-alliance/dpa)

Das zumindest vermutet eine Gruppe um den Neurowissenschaftler Noam Sobel am israelischen Weizmann Institute of Science ( Science, online). Dieses Signal könnte der Grund sein, wieso sich die chemische Zusammensetzung der Tränenflüssigkeit des Menschen beim emotionalen Weinen ändert.

Normalerweise nämlich besteht sie lediglich aus Wasser, verschiedenen Proteinen, anorganischen Substanzen und Kohlenhydraten und hat die Aufgabe, die Hornhaut zu reinigen und mit Nährstoffen zu versorgen.

Wie der Mensch weint, kann die Forschung daher physiologisch gut erklären, für die Gründe allerdings konnte bisher kein Wissenschaftler überzeugende Daten vorlegen. Dabei herrscht an Tränenthesen kein Mangel. Da wäre etwa der Katharsiseffekt, demzufolge es innerlich reinigt und erleichtert, wenn man sich mal ordentlich ausheult. Der empirische Beweis fehlt allerdings.

Weinende fühlen sich nachweislich nur dann besser, wenn auch der Anlass für die Tränen vorüber ist. Der amerikanische Biochemiker William Frey wähnte statt dem psychologischen einen rein physiologischen Zweck hinter den Tränen: Sie sollen giftige Substanzen ausschwemmen. Er fand in gefühlsbedingten Tränen jedoch keine toxischen Stoffe in ausreichend großer Menge, um diese Theorie stützen zu können.

Charles Darwin, der als einer der ersten das Weinen wissenschaftlich untersuchte, sah in den Tränen genau zwei Funktionen: eine entspannende und eine kommunikative. Dass Weinen körperlich entspannen soll, ist inzwischen widerlegt. Der Körper eines weinenden Menschen ist während der gesamten Heulattacke hindurch gestresst und erregt.

Logischer erscheint da die kommunikative Variante. Wer weint, signalisiert seinem Umfeld, dass er Trost und Hilfe braucht. Es wäre also sinnvoll, dort zu weinen, wo viele potentielle Tröster und Helfer sind - in der Öffentlichkeit. Einer Studie des niederländischen Psychologen Ad Vingerhoets zufolge weinen Menschen jedoch eher zu Hause, wenn sie alleine sind, als in der Gruppe.

Die soziale Dimension ist trotzdem der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Tränenforscher einigen können. Vingerhoets konnte in einer seiner Studien zeigen, dass weinende Gesichter zu größerer Zuwendung führen als nicht weinende. Doch das erklärt nicht, weshalb sich die Zusammensetzung von Tränen beim emotionalen Weinen ändert.

Japanische Forscher um Hiroko Kimoto an der Universität Tokio entdeckten bereits vor einigen Jahren in der Tränenflüssigkeit von männlichen Mäusen ein Pheromon. Beim gegenseitigen Beschnuppern gelangt dieser Sexualduftstoff - ein Peptid namens ESP1 - in die Nase des Weibchens und macht es deutlich paarungswilliger. Wenn Mäuse mittels Tränen unbewusst kommunizieren, warum sollten sich nicht auch in menschlichen Tränen Botschaften verbergen?

In der Tat konnte das Team um Sobel in der neuen Science-Studie belegen, dass Tränen, die Frauen aus Traurigkeit vergießen, die sexuelle Erregung bei Männern sinken lassen. Männliche Versuchspersonen, die an entsprechenden Tränen schnüffelten, stuften Bilder von Frauen als sexuell weniger attraktiv ein als wenn sie an künstlich hergestellter Salzlösung rochen. Ihr Testosteronspiegel sank nachweislich und die dem sexuellen Verlangen zugehörigen Areale im Gehirn waren weniger aktiv.

Emotionale Tränen haben also offensichtlich doch einen biologischen Sinn - traurige Frauen signalisieren damit ihr sexuelles Desinteresse. Unklar ist noch, welcher Stoff genau dafür verantwortlich ist und ob das chemische Signal je nach dem Anlass des Weinens variiert.

© SZ vom 07.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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