Psychologie:Wie Kinder Beharrlichkeit lernen

Fasaneriesee, 2006

Viele Fähigkeiten erreichen Kinder nur durch beharrliches Üben.

(Foto: CATH)

Durchhaltevermögen ist nicht angeboren. Kinder können es erlernen - wenn die Eltern die Weichen dafür stellen.

Von Tina Baier

Intelligenz ist hilfreich, damit Kinder in der Schule, später im Beruf und überhaupt im Leben erfolgreich sind. Sie ist aber keineswegs eine Garantie. Mindestens genauso wichtig sind Eigenschaften wie Selbstdisziplin und Durchhaltevermögen. Beispiele dafür gibt es genug: Den 18-Jährigen etwa, dem seit dem Kindergarten gesagt wurde, wie schlau er ist - und der dann doch nur ein mittelmäßiges Abitur macht, weil er überzeugt ist, dass Lernen bei so viel Intelligenz überflüssig ist. Oder die 13-Jährige, die nach einem kurzen Blick auf die Matheaufgabe das Blatt von sich schiebt mit der Begründung: "Ich kann halt kein Mathe."

Ob Kinder den "Biss" haben, sich auch an schwierige Aufgaben heranzuwagen und nicht gleich beim ersten Misserfolg aufzugeben, hat mit dem Temperament, aber auch mit kognitiven Faktoren zu tun. Eine aktuelle Studie in der Fachzeitschrift Science zeigt jetzt jedoch, dass Kinder Durchhaltevermögen und Beharrlichkeit auch lernen können. Wie so oft spielt dabei die Vorbildfunktion der Eltern eine wichtige Rolle, und zwar schon bei sehr kleinen Kindern.

Die Wissenschaftler um Julia Leonard vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge wollten wissen, ob 15 Monate alte Kleinkinder sich mehr Mühe geben, ein für sie neues Problem zu lösen, wenn sie zuvor einen Erwachsenen beobachtet hatten, der sich schwer anstrengen musste, um sein Ziel zu erreichen.

Insgesamt nahmen 126 Kinder an dem Experiment teil, die in drei Gruppen aufgeteilt wurden. Der ersten Gruppe zeigte eine Wissenschaftlerin eine durchsichtige Box mit einem Gummifrosch darin. 30 Sekunden lang versuchte die Frau vor den Augen der Kinder, den Deckel zu öffnen, rüttelte und schüttelte und entdeckte schließlich, dass sie einen Aufkleber abziehen musste, unter dem sich die Öffnung verbarg. In der zweiten Gruppe lief das Experiment ähnlich ab, mit dem Unterschied, dass das erwachsene Vorbild ohne große Mühe nach zehn Sekunden das Spielzeug in der Hand hielt. Eine dritte Gruppe diente als Kontrolle. Die Kinder bekamen kein erwachsenes Vorbild zu sehen, sondern nahmen gleich am zweiten Teil des Experiments teil.

Der Rat der Forscher: "Zeigt euren Kindern, wie ihr schwitzt."

Dabei wurde jedem Kind eine Box gezeigt, die Musik machen konnte und einen großen roten Knopf hatte. Der Knopf ließ sich zwar leicht drücken, war aber funktionslos. Die Musik machte das erwachsene Vorbild bei seiner Demo-Vorstellung an, indem es einen geheimen, gut versteckten Schalter drückte. Nach dieser Vorführung gaben die Forscher dem Kind die Box, verließen den Raum. Was in den nächsten zwei Minuten geschah und vor allem, wie oft die Kleinkinder den funktionslosen Knopf drückten, wurde auf Video aufgenommen.

Einige der Kinder schmissen das frustrierende Teil mehrmals auf den Boden und bekamen es dann von ihrer Mutter oder ihrem Vater, die dabeisaßen, zurückgereicht; andere gaben die Box schon nach kurzer Zeit hilfesuchend an ihre Eltern weiter. Und einige ganz Schlaue ließen sich nicht von der Attrappe täuschen und schalteten die Musik mit dem geheimen Knopf ein, von dem die Wissenschaftler geglaubt hatten, ihn kindersicher installiert zu haben. Diese Superschlauen mussten vom Experiment ausgeschlossen werden, genauso wie Kinder, die während der kompletten zwei Minuten den Knopf kein einziges Mal drückten, oder solche, bei denen die Eltern entgegen den Instruktionen eingegriffen und den Kindern den versteckten Knopf gezeigt hatten.

Übrig blieben 102 Kinder. Das Ergebnis war eindeutig: Diejenigen, die zuvor beobachtet hatten, wie ein Erwachsener sich abmühte, um schließlich erfolgreich ans Ziel zu kommen, waren deutlich hartnäckiger und drückten den großen roten Knopf viel öfter als Gleichaltrige aus den anderen beiden Gruppen. "Zeigt euren Kindern, wie ihr schwitzt", schreiben die Wissenschaftler in Science. Gerade in Industrieländern gebe es dazu gar nicht so viele Gelegenheiten. Kinder lernen dort nämlich in der Regel nicht, indem sie am Leben der Erwachsenen teilnehmen und beobachten können, vor welchen Herausforderungen diese stehen. Stattdessen bekommen sie in Kindergarten und Schule von Erwachsenen Dinge beigebracht, die diese bereits perfekt beherrschen. Kinder ziehen daraus möglicherweise den falschen Schluss, dass Erwachsenen grundsätzlich alles leicht fällt.

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