Psychologie:"Stress fördert Aberglauben"

Warum Kosmonauten auf Busreifen pinkeln: Psychologe Bruce Hood über Kontrollillusionen und übernatürliche Überzeugungen.

Sebastian Herrmann

Jeder Mensch ist empfänglich für Aberglauben - sagt der Psychologe Bruce Hood. Jene, die ihm widersprechen, bringt der Forscher von der Universität Bristol auf Vorträgen leicht aus dem Konzept: Wer würde diese Strickjacke tragen, fragt er dann ins Publikum, und fügt nach einer Pause hinzu, dass das Kleidungsstück einst dem britischen Serienmörder Fred West gehört habe. Die Vorstellung, die Jacke eines Mörders anzuziehen, ertragen auch rationale Menschen nicht, erklärt Hood in seinem Buch "Übernatürlich? Natürlich. Warum wir an das Unglaubliche glauben" (Spektrum Akademischer Verlag). Woran liegt das, die Jacke ist doch nicht giftig?

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"Kleine Rituale auf, um den Ausgang einer gefährlichen Situation zu beeinflussen": Auch russische Kosmonauten haben ihr sehr spezielles Ritual vor jedem Raketenstart.

(Foto: dpa)

SZ: Tragen wirklich alle Menschen einen Hang zum Aberglauben in sich?

Bruce Hood: Ja, unsere Gehirne haben sich im Laufe der Evolution so entwickelt, dass sie Sinn in der Welt entdecken, indem sie ständig nach Kausalitäten fahnden. Wir neigen dazu, alles so zu interpretieren, als sei es vorherbestimmt. Dinge müssen stets aus einem Grund passieren - so denken wir, jeder von uns.

SZ: Erklären Sie das mal einem überzeugten Skeptiker.

Hood: Sicher, die eigentlich spannende Frage ist, warum manche an übernatürliche Phänomene glauben und andere nicht. Als Kinder betrachten wir die Welt, als existiere eine ordnende Kraft, als sei alles in der Natur für einen Zweck geschaffen worden. Wenn Menschen älter werden, lernen sie, diese Sicht zu unterdrücken. Die Neigung zum Aberglauben verschwindet aber nicht, und bei manchen ist sie stärker ausgeprägt.

SZ: Wie viel kindliche Weltsicht steckt noch in den meisten Erwachsenen?

Hood: Recht viel. Das merkt man bei wissenschaftlichen Aussagen, die der Intuition widersprechen. Die meisten Erwachsenen vermuten zum Beispiel noch, dass schwere Objekt schneller zu Boden fallen als leichte. Und wenn sie einmal gelernt haben, dass die Masse für die Fallgeschwindigkeit nicht entscheidend ist, müssen sie ihre intuitiven Erwartungen immer noch unterdrücken.

SZ: Gibt es dafür Belege?

Hood: Wenn man Probanden eine Videosequenz zeigt, die entweder der intuitiven Erwartung entspricht oder den Gravitationsgesetzen, dann werden unterschiedliche Bereiche des Hirns aktiviert. Die Bereiche des Gehirns, die das schnelle intuitive Denken im Zaum halten, müssen bei einem Gravitations-Novizen mehr arbeiten als bei einem Experten. Unter Stress und Zeitdruck funktioniert diese Kontrolle nicht so gut. Unter harten Bedingungen akzeptieren selbst rationale Probanden übernatürliche Erklärungen.

SZ: Deshalb glauben Menschen in Zeiten der Unsicherheit eher an übernatürliche Heilsversprechen?

Hood: Wahrscheinlich. In unsicheren Zeiten sehnen sich die Leute nach Struktur in ihrem Leben. Wenn wir unter Stress sind, dann suchen wir nach Ordnung, und einen Teil davon beziehen wir, indem wir Rituale aufführen oder an übernatürliche Dinge glauben.

SZ: Gibt es andere Auslöser als Stress und Unsicherheit?

Hood: Auch bei älteren Menschen nimmt die Neigung zu übernatürlichem Denken zu. Offenbar schwächt sich die Unterdrückungsfunktion im Gehirn im Alter ab und lässt die kindlich-intuitive Sicht auf die Welt wieder zu.

SZ: Profitieren Menschen von eigenen übernatürlichen Überzeugungen?

Hood: Auf einer individuellen Ebene ist ein positiver Effekt leicht feststellbar. Viele Menschen glauben an die Kraft von kleinen Objekten oder Ritualen. Das vermittelt ihnen das Gefühl, Kontrolle über ihr Leben oder über Situationen zu haben, die sich an sich nicht beeinflussen lassen. Psychologen nennen das Kontrollillusion. Wenn man an die Kraft eines Glücksbringers glaubt, dann hilft einem das in der Regel tatsächlich. Wenn man Sportlern ihre Glücksbringer wegnimmt, leidet ihre Leistung.

SZ: Sie argumentieren, dass auch Gesellschaften vom Glauben an übernatürliche Phänomene profitieren.

Hood: Jede soziale Gruppe braucht eine Reihe sogenannter heiliger Werte. Das sind Überzeugungen, die alle Mitglieder einer Gruppe teilen sollten. Diese Werte müssen Bestand haben. Dabei ist es sehr vorteilhaft, wenn diese Überzeugungen nicht direkt überprüfbar sind. Je eher die Mitglieder einer Gruppe auch bei fehlenden Belegen an gemeinsame heilige Werte glauben, desto stabiler ist der Zusammenhalt dieser Gruppe.

SZ: Das mag in alten Gesellschaften funktioniert haben. Welche Rolle spielen heilige Werte in der Gegenwart?

Hood: Dieser Mechanismus ist universell. Sogar wenn man sich selbst für einen rationalen Menschen hält, empfindet man manchen Gegenständen gegenüber zumindest eine Ehrfurcht, als enthielten sie eine besondere innere Kraft. Die Erstausgaben von zum Beispiel Charles Darwins Büchern sind für uns von besonderem Wert, genauso andere Memorabilia. Das ist eine emotionale Komponente, die der Logik widerspricht. Schließlich ist auch eine Erstausgabe nur ein Buch oder die Strickjacke eines Mörders nur ein Kleidungsstück.

SZ: Warum sind wissenschaftliche Erklärungen für die Menschen so schwer zu akzeptieren?

Hood: Wissenschaft basiert auf Wahrscheinlichkeiten und statistischen Analysen. Viele Erklärungen der Wissenschaft widersprechen dem intuitiven Empfinden, und es fällt den meisten Menschen schwer, einen Zufall als Zufall zu akzeptieren und zu behandeln. Wenn man von einem Bekannten träumt, von dem man lange nichts gehört hat, und am nächsten Tag erfährt, dass derjenige in genau dieser Nacht im Schlaf gestorben ist, dann wird einen auch die beste wissenschaftliche Erklärung über Wahrscheinlichkeiten und Statistik nicht vom Glauben abbringen, dass der Traum Bedeutung hatte. Und wenn sie einmal davon überzeugt sind, nehmen sie nur noch Indizien wahr, die für ihre Annahme sprechen.

SZ: Menschen werden ihren Hang zum Übernatürlichen also behalten?

Hood: Bestimmt. Das erinnert mich an Charles Simonyi, einer der Microsoft-Mitbegründer, der mehrmals als Tourist mit einer russischen Rakete ins All geflogen ist. Er hat erzählt, dass die Astronauten ein Ritual haben: Sie pinkeln immer auf die hinteren Räder des Busses, der sie zur Startrampe bringt. Computertechnologie und Raumfahrt - in dieser Szene vereinen sich die Symbole des größten Fortschrittes der Menschheit, trotzdem führen diese Menschen kleine Rituale auf, um den Ausgang einer gefährlichen Situation zu beeinflussen.

SZ: Müssen wir den Glauben an Übernatürliches einfach hinnehmen?

Hood: Als Gesellschaft sollte man nicht jedes irrationale Glaubenssystem unkommentiert lassen. Vor allem wenn der Glaube als Rechtfertigung für eine Handlung dient. Aber wir müssen das auch als Teil der menschlichen Natur akzeptieren.

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