Psychologie:Schluss mit der Apokalypse im Kopf!

Psychologie: Der Brexit war nur eines der niederschmetternden Ereignisse des Jahres 2016.

Der Brexit war nur eines der niederschmetternden Ereignisse des Jahres 2016.

(Foto: Justin Tallis/AFP)

Der kollektive Trauerchor singt das Lied vom Untergang: 2016 war der Tiefpunkt. Doch die langfristigen Daten zeigen, wir erleben schier unglaubliche Entwicklungen zum Besseren.

Kommentar von Sebastian Herrmann

Der kollektive Trauerchor singt das Lied vom Untergang. 2016, was für ein beschissenes Jahr! Terroranschläge. Die Brexit-Briten haben sich als des Wahnsinns Beute erboten, und die US-Amerikaner einen Twitter-Troll zum Präsidenten gewählt. In Syrien und anderen Kriegsschauplätzen ertrinken die Menschen im Blut. Geliebte Künstler sind für immer von der Bühne abgetreten. Dennoch ist es angebracht, den Klagegesang zu stören und laut zu rufen: Bei allem Leid - es geht mehr Menschen auf diesem Planeten so gut wie nie zuvor. Nur weil die Psyche so sensible Antennen für negative Nachrichten besitzt, rutschen die guten Botschaften durch - auch weil positive Entwicklungen sich oft schleichend ausbreiten, sich über Jahrzehnte aufbauen und so unter dem Radar menschlicher Emotionen fliegen.

Seit jeher zeigen sich Menschen überzeugt, dass sich die Dinge zum Schlechten entwickeln. So gaben 2015 nur sechs Prozent der US-Amerikaner an, dass sich die Umstände zum Guten wenden. 2010, 2005 und 2000 zeigten sich ebenso wenige Befragte optimistisch. Doch das Gefühl trügt, wie Zahlen zeigen, die der Ökonom Max Roser von der Oxford University veröffentlicht hat.

Demnach ist zum Beispiel der Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen an der Weltbevölkerung dramatisch zurück gegangen. 1981 kümmerten noch 44 Prozent der Erdenbewohner in lebensbedrohlich prekären Verhältnissen; bis 2015 waren es weniger als zehn Prozent - und das bei zugleich wachsender Bevölkerung. Eine schier unglaubliche Entwicklung zum Besseren! Zugleich müssen sich immer weniger Menschen als Analphabeten durch das Leben schlagen, die Kindersterblichkeit sinkt quer durch alle Gesellschaften; die Lebenserwartung weltweit steigt und trotz akuter Konflikte wie in Syrien, sterben im historischen Vergleich heute weniger Menschen durch Gewalt.

Lässt das einen Chor der Optimisten laute Freudenarien schmettern? Nein, solche Nachrichten erreichen das Publikum nicht. In Umfragen zeigen sich Menschen überzeugt, dass extreme Armut zunimmt, dass es mehr Kriminalität gibt und nichts Gutes von der Zukunft zu erwarten sei. Wahrnehmung ist auf Schlechtes geeicht, und negative Ereignisse gehen meist mit einem großen Knall einher: Ein Erdbeben, eine humanitäre Katastrophe wie in Aleppo - Begebenheiten wie diese stellen stets akute, singuläre Ereignisse dar, die emotionale Wucht entfalten. Langfristige Trends zum Besseren erzeugen hingegen keine dramatischen Bilder, sie liefern kein überzeugendes Narrativ, sie entwickeln sich im Stillen und verfehlen die Wahrnehmung der Menschen.

Das ist tragisch, denn in einem unrealistisch negativen Bild der Welt gefangen zu sein, erzeugt nichts als Angst. Und Angst verleitet die Menschen meistens zu schlechten Entscheidungen. Das haben 2016 und sehr viele miese Jahre davor hinreichend deutlich bewiesen.

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