Psychologie:Menschen bewerten Taten nach dem Aufwand

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Taschendieb auf einem Weihnachtsmärkt: Wie böse ist diese Tat? (Foto: dpa)

Ob gute oder böse: Wer innere Konflikte auszukämpfen hat, wird von anderen besser bewertet als jemand, der etwas ohne großen Zweifel tut.

Von Sebastian Herrmann

Der Richter im Menschen fällt seine Urteile rasch und gnadenlos. Ein erster Eindruck reicht, um Bekannte zu bewerten, Kollegen in Schubladen zu stecken oder sich eine Meinung über den Charakter eines Gesprächspartners zu bilden. Handelt es sich um einen vertrauenswürdigen Menschen, oder sollte der Kerl lieber mit Vorsicht genossen werden?

Dahinter steckt - grob vereinfacht - die Frage: Hat man es mit einem guten oder einem schlechten Menschen zu tun? Wer Moralpsychologen fragt, auf welcher Basis solche Urteile gefällt werden, dem kommt angesichts ihrer Antworten das Seufzen. Denn oft rücken nicht so sehr die objektiv guten oder schlechten Taten den Menschen in gutes oder schlechtes Licht. Das moralische Urteil ist auch davon abhängig, auf welche Weise einer Gutes oder Böses tut.

"Die moralische Bewertung handelnder Personen hängt nicht nur von der Konsequenz einer Tat ab"

Psychologen um Yochanan Bigman von der Hebräischen Universität Jerusalem zeigen dies in einer aktuellen Studie. Wie sehr ein Mensch demnach als moralisch gut oder verwerflich bewertet wird, hängt davon ab, wie sehr er sich bei seinen Taten anstrengt. Ein Beispiel aus dem Reich des Bösen: Eine alte Frau steht im Gedränge an der U-Bahn und wartet. Sie merkt nicht, dass ein Mann in ihre Handtasche greift und Geld stiehlt. Das ist moralisch schlecht, keine Frage. Die Teilnehmer der Studie verurteilten den Mann jedoch als besonders verderbt, wenn er einige Mühe darauf verwenden musste, die Handtasche der Frau zu öffnen. Stand die Tasche hingegen offen, sodass der Mann einfach hineingreifen konnte, fiel das Urteil milder aus.

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"Die moralische Bewertung handelnder Personen hängt nicht nur von der Konsequenz einer Tat ab", schreiben die Psychologen, "sondern auch von der Tugend des Handelnden." Für die Beobachter verweist der Aufwand, den der Täter treibt, auf seinen Charakter. Große Mühen auf sich zu nehmen, signalisiert, dass ein Ziel unter allen Umständen erreicht werden soll. Wer eine verschlossene Handtasche mühsam auffummelt, will also unbedingt das Geld stehlen; der Griff in eine offene Tasche demonstriert geringere Entschlossenheit. Selbst wenn beide Taten geplant und mit Absicht ausgeführt wurden, färbt der Aufwand das Urteil über den Dieb.

Rational ist das nicht unbedingt - sehr menschlich aber auf jeden Fall

Das gleiche Muster beobachteten die Psychologen auch bei guten Taten. Wer einen Fahrgast in der U-Bahn auf die vergessene Geldbörse hinweist und sie ihm gibt, ist ein guter Mensch. Wer dem vergesslichen Zeitgenossen sogar hinterherläuft, um ihm den Geldbeutel zu bringen, gilt als noch besserer Mensch. In beiden Varianten wird ein Schussel vor einem Verlust bewahrt; die Bewertung des Wohltäters hingegen unterscheidet sich.

Ähnliche Befunde hat jüngst Christina Starmans von der Yale-Universität publiziert. Egal, ob gute oder schlechte Tat: Wer dabei innere Konflikte auszukämpfen hat, wird von anderen besser bewertet als jemand, der etwas ohne großen Zweifel tut. Gewissensbisse und Grübeleien erhöhen in den Augen des Publikums also den moralischen Wert einer Tat. Schließlich kosten auch sie Kraft und lassen sich als Aufwand deuten. Menschen messen andere nicht nur daran , was diese machen, sondern auch daran, wie sie etwas machen. Rational ist das nicht unbedingt - sehr menschlich aber auf jeden Fall.

© SZ vom 06.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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