Psychologie:Kreativität ist harte Arbeit

Schöpferkraft lässt sich nicht messen, erlernen oder trainieren. Sie hängt von Beharrlichkeit und vom Zufall ab. Selbst Gruppen-Brainstorming ist wenig effektiv.

Nikolas Westerhoff

Seit mehr als einem halben Jahrhundert erforschen Psychologen die menschliche Kreativität. Ihre bisherige Bilanz fällt ernüchternd aus:

Psychologie: Die Intelligenz eines Menschen lässt sich mit standardisierten Verfahren messen, nicht aber seine Kreativität. Ob ein Kunstwerk als kreativ gilt, entscheidet das Publikum.

Die Intelligenz eines Menschen lässt sich mit standardisierten Verfahren messen, nicht aber seine Kreativität. Ob ein Kunstwerk als kreativ gilt, entscheidet das Publikum.

(Foto: Foto: iStockphoto)

Kreativität lässt sich nicht zuverlässig messen und ist kaum trainierbar.

Ob ein Mensch kreativ ist oder nicht, hängt stark von Situationen und Zufällen ab. Kreative Menschen sind ziemlich normal - sie gelten als fleißig, verträglich, gesellig.

Die typische Kreativitätspersönlichkeit ist genauso ein Mythos wie fünf weitere Vorurteile zum Thema Kreativität.

Es ist dringend an der Zeit sie zu entzaubern.

Kreativitätstechniken wie Gruppen-Brainstorming sind wenig effektiv

Äußere jeden Einfall, der dir durch den Kopf schießt - auch wenn er unsinnig erscheint! Lass deinen Ideen freien Lauf! Das sind die Regeln beim berüchtigten Gruppen-Brainstorming.

Seit sich das der Werbefachmann Alex Osborn vor mehr als 50 Jahren ausgedacht hat, betreiben Unternehmen, PR-Agenturen und Think Tanks fleißig Brainstorming. Doch so populär die Methode auch ist, sie ist nicht sonderlich effektiv. "Die Menschen glauben zwar, dass sie in der Gruppe mehr Ideen produzieren, also kreativer und einfallsreicher sind, doch das stimmt nicht", sagt der Sozialpsychologe Wolfgang Stroebe von der Universität im niederländischen Utrecht.

In seinen Brainstorming-Experimenten forderte er Probanden auf, sich kreative Lösungen für ökologische oder soziale Probleme auszudenken. Die Versuchspersonen mussten Vorschläge machen, wie sich Energie einsparen lässt oder wie das Zusammenleben von Deutschen und Migranten verbessert werden kann.

Dabei zeigte sich: Gruppen erzeugten zwischen 20 und 50 Prozent weniger Ideen als einzeln nachdenkende Menschen. "Und dieser Produktivitätsverlust wird nicht durch eine höhere Qualität der Ideen ausgeglichen", sagt Stroebe.

Vor allem in Unternehmen mit strenger Hierarchie beäugen sich die "Brainstormer" skeptisch: Hat Kollege Meier bessere Ideen als ich? Hinzu kommt die Sorge, etwas Dummes zu sagen. "In Gegenwart des Chefs", sagt Stroebe, "trauen sich viele Menschen beim Brainstorming nicht, ihre Einfälle kundzutun."

Das Hauptproblem aber sind die Wartepausen, in denen der Einzelne nicht selbst reden kann. "Die Zeit des Zuhörens ist tote Zeit", so Stroebe. Die Teilnehmer seien damit beschäftigt, sich ihre Einfälle zu merken - das blockiere sie gedanklich. Nach Ansicht von Psychologen ist es deshalb am besten, Menschen erst einmal für sich alleine Ideen entwickeln zu lassen. Danach könnten sie sich mit anderen austauschen.

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Kreativität ist harte Arbeit

Kreativität ist nicht messbar

Intelligenztests gibt es viele. Mit einigen lassen sich berufliche und schulische Leistungen gut vorhersagen. Trotz aller Kritik haben sich diese Tests einigermaßen bewährt. Intelligenz, so scheint es, ist messbar; Kreativität dagegen nicht.

"Wir haben verschiedene Tests bei Kindern eingesetzt, aber die Ergebnisse waren jeweils sehr unterschiedlich", sagt Ernst Hany, Persönlichkeitspsychologe an der Universität Erfurt. "Ein und dasselbe Kind hatte mal sehr hohe und mal sehr niedrige Kreativitätswerte."

Jeder Test misst offenbar etwas andere Eigenschaften. Kreativität ist folglich kein sonderlich stabiles Merkmal. Wer heute viele Einfälle hat, dem fällt morgen gar nichts ein. "Deshalb bin ich skeptisch, was die Aussagekraft einzelner Kreativitätstests angeht", sagt der Sozialpsychologe Jens Förster von der Universität Amsterdam.

Auch die Intelligenz eines Menschen sagt wenig über sein kreatives Potential aus. Bei durchschnittlich begabten Menschen hängen Kreativität und Intelligenzwerte zwar relativ eng zusammen. "Bei hochintelligenten ist das aber nicht so. Sie können sehr kreativ sein oder eben nur durchschnittlich kreativ", sagt Hany. Ob jemand eines Tages ein großer Lyriker oder ein begnadeter Physiker wird, können Wissenschaftler nicht prognostizieren. Die Intelligenz eines Menschen ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für kreative Spitzenleistungen.

Den Kreativitätsforschern fehlt es bis heute an geeigneten Messinstrumenten. Das liegt daran, dass Kreativität ein schillerndes, schwer bestimmbares Phänomen ist. "Letztlich", sagt Hany, "lässt sich nicht eindeutig sagen, ob eine Leistung kreativ ist oder nicht." Im Grunde entscheidet der Konsument darüber, ob ein neues Buch oder ein neues Haushaltsgerät als originell oder innovativ gilt.

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Kreativität ist harte Arbeit

Kreativität ist kaum zu trainieren

Es gibt Dutzende Ratgeber, die behaupten, Kreativität lasse sich erlernen. Die Zahl angeblich kreativitätsfördernder Techniken ist hoch. Zunächst wurden Trainings entwickelt, die das divergente Denken schulen sollten, also die Fähigkeit, ungewöhnliche Schlüsse zu ziehen. Dann wurden Brainstorming-Methoden populär.

Dahinter stand der Gedanke: Wenn Menschen viele Ideen produzieren, dann ist darunter irgendwann auch eine gute. Schließlich wurde versucht, die Menschen zu systematischen Problemlösern zu machen. "All diese Methoden haben jedoch nicht den durchschlagenden Erfolg gebracht", sagt der Persönlichkeitspsychologe Ernst Hany. "Kreativität ist nur sehr bedingt trainierbar."

Ein Klassiker unter den Kreativitätsaufgaben ist der Ziegelstein-Test, bei dem es darum geht, so viele originelle Verwendungszwecke für einen Ziegelstein zu finden wie nur irgend möglich. Natürlich gelingt es, Menschen so zu trainieren, dass sie den Ziegelstein-Test mit Bravour meistern. Aber deshalb sind sie noch lange nicht kreativer geworden. Woran es hapert, ist der Transfer. "Das Erlernte lässt sich nur schwer auf andere Situationen übertragen", sagt Hany.

Es gibt kein Wundermittel, das einen Langweiler in ein kreatives Genie verwandelt. Soviel ist klar. Und doch ist es möglich, seine Kreativität zumindest ein wenig zu steigern. Nach Auffassung von Kreativitätsforschern sind all jene Techniken sinnvoll, mit denen wir neue Denkstrategien trainieren. Um das zu erreichen, müssen wir bereit sein, Dinge miteinander zu kombinieren, die eigentlich nicht zusammen passen.

Das Credo lautet: Denk zusammen, was nicht zusammen gehört. Geht es beispielsweise um die Frage, wie sich die Innenräume eines Supermarktes neu gestalten lassen, dann sollte man den Supermarkt gedanklich mit einer Behörde, einem Schwimmbad oder einem Museum vergleichen und sich fragen: Welche Elemente eines Museums oder einer Behörde lassen sich auf einen Supermarkt übertragen?

Ziel dieser Technik ist es, das Vertraute zu verfremden. Wer einen originellen Tisch entwerfen muss, der könnte an eine Schlange denken und sich fragen: Wie müsste ein Tisch aussehen, der sich häutet?

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Kreativität ist harte Arbeit

In psychischen Krisen sind Menschen nicht besonders kreativ

Die Lyrikerin Ingeborg Bachmann schrieb ihre schönsten Gedichte in Phasen seelischer Verzweiflung. Johann Wolfgang Goethe verfasste seinen "Werther", als er unter Liebeskummer litt. Der Gitarrist Eric Clapton widmete den Song "Tears in Heaven" seinem verstorbenen Sohn.

Prominente Beispiele erwecken den Eindruck, als wären Menschen in Lebenskrisen besonders kreativ. Doch das ist nicht der Fall. Der Psychologe Edward Hirt von der Indiana University Bloomington fand unlängst heraus, dass gut gelaunte Menschen kreativer denken als "Miesepeter".

Er versetzte seine Probanden wahlweise in eine positive, neutrale oder negative Stimmung, indem er ihnen lustige oder traurige Kurzfilme vorführte. Danach testete er ihren Einfallsreichtum. Dabei zeigte sich: Je besser die Laune, desto flexibler das Denken (Journal of Personality and Social Psychology, Bd.94, S.214, 2008).

Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte auch der Sozialpsychologe Jens Förster. In einem seiner Experimente mussten sich Probanden originelle Überschriften für Cartoons ausdenken. Waren sie positiv gestimmt, so gelang ihnen das besser als mit schlechter Laune.

Doch die einfache Losung, dass gute Laune kreativ macht, ist nach Försters Ansicht auch falsch. "Geht es darum, eine gute Lösung für ein analytisches Problem zu finden, etwa für eine mathematische Gleichung, dann ist eine positive Stimmung keineswegs hilfreich", sagt Förster. Je analytischer ein Problem ist, desto wichtiger ist es, den Fokus der Aufmerksamkeit eng zu halten und sich ganz auf die Sache zu konzentrieren. "Negative Stimmung begünstigt diese kognitive Engführung." Wer jedoch ein Bild malen will oder einen Song komponieren, der sollte seine Gedanken schweifen lassen. Und das gelingt bei guter Laune nun mal besser.

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Kreativität ist harte Arbeit

Kreative können nicht erklären, wie sie zu ihren Einfällen kommen

Neigen Genies zum Wahnsinn? Die These ist populär, aber Psychologen haben sie längst widerlegt. Kreative Menschen sind weder besonders neurotisch noch besonders unglücklich, wie unter anderem Mihaly Csikszentmihalyi von der Universität Chicago gezeigt hat. Vielmehr sind sie häufig optimistisch eingestellt, selbstsicher und in ihrem Denken flexibel. "Das Bild vom weltabgewandten Eigenbrötler, der seine Umwelt tyrannisieren muss, um erfolgreich zu sein, trifft nur ganz selten zu", sagt der Erfurter Persönlichkeitspsychologe Hany.

Die psychologische Forschung hat sich lange Zeit darauf konzentriert, die Persönlichkeit von Kreativen zu erforschen. "Dabei ist nicht so viel herausgekommen, wie man sich gewünscht hätte", sagt Förster. Seine Studien legen den Schluss nahe, dass es bei kreativen Leistungen weniger auf die Person ankommt als auf die Situation, in der jemand malt, schreibt oder philosophiert. "Manche Umgebungen stimulieren, andere nicht", sagt Förster.

Fragt man Kreative, wann und wie sie zu ihren Ideen gelangen, dann erhält man häufig die Antwort: Es war ein Geistesblitz. Damit lässt sich natürlich wenig anfangen. "Kreative können nicht zuverlässig darüber Auskunft geben, wie sie auf einen neuen oder innovativen Gedanken gekommen sind", sagt Hany. Häufig erwecken sie den Eindruck, als sei ihnen eine geniale Idee spontan gekommen. "Dass vor einem vermeintlich spontanen Einfall viele Jahre harter und konsequenter Arbeit lagen, wird dann gerne vergessen." Die Wahrheit ist: Kreative Köpfe sind echte Malocher, die beharrlich an ihrem Projekt festhalten; die über Jahre eine Vision verfolgen; die nicht aufgeben, obwohl andere sie belächeln oder verspotten. Ihr Geistesblitz ist das Ergebnis harter Arbeit. "Kreativität", sagt Ernst Hany, "ist mehr als nur ein Aha-Erlebnis".

Viele Kreative kommen auf ihre Einfälle nicht am Schreibtisch, sondern in den Bergen, in der Kneipe oder bei einem Spaziergang. So berichtet der Physiker Freeman Dyson, dass er sich über Wochen in ein mathematisches Problem verbissen habe. Er wollte die Lösung erzwingen. Doch erst als er sich entschieden habe, nicht mehr nach einer Lösung zu suchen, sei ihm eine eingefallen - und zwar mitten in der Nacht im Bus.

Ähnliche Äußerungen finden sich auch in den Biografien von Musikern oder Schriftstellern. Deshalb empfehlen Kreativitätstrainer, sich von dem gedanklichen Problem zu lösen und einer monotonen Tätigkeit nachzugehen wie Autofahren, Bügeln oder Gemüseschneiden. Dadurch werde das Gehirn abgelenkt und könne nebenbei nach einer kreativen Lösung suchen. Harte wissenschaftliche Belege für diesen Ratschlag fehlen aber bislang.

Fleiß, fachliche Expertise, Neugier und Offenheit - das sind die wichtigsten Voraussetzungen für kreatives Handeln. "Ob eine gute Idee entsteht, hängt aber auch vom Zufall ab", sagt Hany. Und den Zufall kann man nur bedingt steuern. Alles, was man machen kann, ist, sich ein kreatives Umfeld zu suchen. "Wer im Labor eines Nobelpreisträgers forscht", so der Persönlichkeitspsychologe, "der erhöht die Wahrscheinlichkeit, selbst einmal auf einen außergewöhnlichen Gedanken zu kommen und Nobelpreisträger zu werden."

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