Psychologie:Ansteckende Erinnerungen

Wir vergessen nicht nur viele Dinge - unsere Erinnerungen verändern sich auch, wenn wir sie mit anderen teilen. Wie Mitmenschen das eigene Gedächtnis beeinflussen.

Christina Berndt

Erinnerungen erscheinen dem Menschen mitunter so unverrückbar, als wären sie in Stein gemeißelt. Doch Erinnerungen leben. Sie verändern sich, wenn Menschen sie mit anderen teilen. Und manchmal sterben sie, weil jemand stirbt, der sie mit einem Lebenden teilt. Zu dieser Erkenntnis kam die Psychologin Suparna Rajaram vor einigen Jahren.

Damals entdeckte sie den Mechanismus der ansteckenden Erinnerung an einem Pärchen: Einer der Partner litt an einer schweren Demenz - und mit dem Gedächtnisverlust des einen verlor auch der andere Partner seine Erinnerungen. "Wenn das Gegenüber gemeinsame Erinnerungen nicht bestätigen kann", sagt Rajaram, "werden beide der Vergangenheit beraubt."

So begann sich Suparna Rajaram für die soziale Seite der Erinnerung zu interessieren. An der Stony Brook University in New York spezialisierte sie sich auf das "gemeinschaftliche Gedächtnis" - darauf also, wie Menschen in Gruppen lernen und sich erinnern. "Viele glauben, dass Zusammenarbeit dem Gedächtnis hilft", sagt Rajaram, "aber das ist nicht immer so."

Sie kann auch schaden, wie die Psychologin nun resümiert (Current Directions in Psychological Science, Bd.20, S.76, 2011). Zwar können sich Arbeitsgruppen insgesamt mehr merken als jede Einzelperson für sich. Doch zugleich werden die Erinnerungen der Einzelnen gestört, unter anderem weil Menschen verschiedene Merkstrategien nutzen.

Auch würden andere mitunter die eigenen Erinnerungen mit Fehlern infizieren, die sich dann ins kollektive Gedächtnis einnisten. Dies gilt - egal, ob es um Wortpaare oder um emotionale Ereignisse geht; egal auch, ob Fremde oder Ehepartner, Alte oder Junge zusammenarbeiten.

Doch zugleich frischen andere Menschen die eigenen Reminiszenzen auf: Sie korrigieren Fehler, sie fügen Details hinzu, die man selbst nie abgespeichert hat und sie erwecken Ereignisse zum Leben, die schon vom Nebel des Vergessens umhüllt waren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: