Psychologie:Altersweisheit gibt es wirklich

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Geht es um soziale Konflikte, dann fällen ältere Menschen tatsächlich ausgewogenere Urteile als jüngere.

Katrin Blawat

Ältere Menschen urteilen in sozialen Konflikten ausgewogener als jüngere. Dies folgern Psychologen um Igor Grossmann von der University of Michigan aus Befragungen von Menschen verschiedener Altersgruppen ( PNAS, online).

Darf ein Land seine Traditionen aufgeben, um die wirtschaftliche Lage zu verbessern? Wie stark müssen sich Migranten an die Gepflogenheiten im neuen Land anpassen? Zu diesen Themen bekamen die Probanden zunächst fiktive Zeitungsartikel zu lesen. Dann sollten sie einschätzen, wie sich die in den Berichten erwähnten Konflikte entwickeln würden.

"Ich weiß zu wenig über die ethnischen Gruppen und welche Werte ihnen wichtig sind" - Aussagen dieser Art machten die über 60-Jährigen deutlich häufiger als jüngere Probanden. Diese tendierten eher zu definitiven Kommentaren wie "Jede Gruppe wird ihre eigene Kultur beibehalten."

Auch als die Probanden auf Fragen zu Beziehungs- und Familienproblemen antworten sollten, die auf Ratgeberseiten in Zeitschriften erschienen waren, schlugen die älteren Studienteilnehmer häufiger einen Kompromiss vor und berücksichtigten öfter die Meinungen aller Beteiligten.

Für die Forscher ist es ein Zeichen von Weisheit, wenn man Kompromisse zu finden versucht, ein Problem aus mehreren Perspektiven betrachtet oder sich eingesteht, dass man nicht genug über die Situation der Streitenden weiß. "Unsere Studie zeigt, dass das Sprichwort, ,mit dem Alter kommt die Weisheit, zumindest in einigen Aspekten zutrifft", schreiben die Autoren.

Die größere Lebenserfahrung erleichtere es älteren Menschen, ausgewogener zu urteilen. Bei den meisten anderen kognitiven Leistungen, zum Beispiel der Merkfähigkeit, schnitten hingegen erwartungsgemäß die jüngeren Probanden besser ab.

Weisheit und ihre Zunahme experimentell zu belegen, wie es Grossmann und seine Kollegen versucht haben, ist schwierig. Mit einer umfassenden, allgemeingültigen Definition von Weisheit tun sich Psychologen schwer.

Die Entwicklungspsychologin Ute Kunzmann von der Universität Leipzig hält die aktuelle Studie dennoch für aussagekräftig, weil die Aufgaben alltagsnah formuliert seien. Kunzmann gibt aber auch zu bedenken, dass sich Menschen im normalen Leben oft ganz anders und möglicherweise auch starrköpfiger verhielten als im Labor.

© SZ vom 07.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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