Politiker wollen mehr Organspenden:Konfrontation, aber kein Zwang zur Entscheidung

Jeden Tag sterben drei Menschen in Deutschland, weil zu wenig Organe gespendet werden. Politiker aller Parteien wollen das ändern und inzwischen ist man sich schon fast einig, wie. Welche Lösungen diskutiert werden und welche Strategie die besten Aussichten auf Erfolg hat.

Markus C. Schulte von Drach

Wer würde nicht dankbar sein für ein gespendetes Organ, wenn es um Leben und Tod geht? Wer würde eine Niere ablehnen, wenn die Alternative regelmäßige Blutwäsche und ein kürzeres Leben sind? Doch offenbar müssen die meisten Menschen erst selbst zu Betroffenen werden, bevor sie sich ernsthaft mit dem Thema Organspende auseinandersetzen.

Oezkan wirbt fuer Organspenderausweise

Die meisten Deutschen erklären sich in Umfragen bereit, nach dem Tode Organe zu spenden. Doch die wenigsten dokumentieren dies mit dem entsprechenden Ausweis.

(Foto: dapd)

Anders lässt es sich wohl nicht erklären, dass bei Umfragen nahezu alle Menschen erklären, sie würden im Notfall auf Organe eines Toten zurückgreifen und 70 Prozent signalisieren die Bereitschaft, nach dem Tode selbst zu spenden - aber nicht einmal jeder Vierte füllt tatsächlich einen Organspendeausweis aus.

Es war bisher auch niemand gezwungen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, da in Deutschland seit 1997 die "erweiterte Zustimmungslösung" gilt. Es sind die Angehörigen, die in den meisten Fällen entscheiden müssen, ob einem Verstorbenen Organe entnommen werden dürfen. Und häufig sind sie mit dieser Entscheidung überfordert, die gerade dann getroffen werden muss, wenn man gerade einen Partner, ein Kind, Vater oder Mutter verloren hat.

Viele Experten betrachten diese Regelung deshalb als Ursache dafür, dass trotz der theoretisch hohen Spendebereitschaft in Deutschland noch immer nur wenige Menschen tatsächlich Organe spenden und täglich drei Patienten sterben, die gerettet werden könnten. Wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation berichtet, wurden 2010 knapp 1300 Toten Organe entnommen.

Auf der Warteliste für ein neues Körperteil stehen jährlich jedoch 12.000 bis 13.000 Menschen. Verpflanzt wurden im Jahre 2010 lediglich 5000 Organe - und das waren mehr als je zuvor. Die meisten der Patienten warten auf eine Niere - und im Schnitt warten sie fast sechs Jahre. Und von den 8000 Betroffenen haben im vergangenen Jahr deutlich weniger als die Hälfte tatsächlich eine gespendete Niere erhalten.

Fraktionsübergreifender Lösungsvorschlag

Die Zahlen sind seit Jahren mehr oder weniger gleich, die Aufregung darüber jedoch nur gering. Erst nachdem der Politiker Frank-Walter Steinmeier 2010 seiner Frau eine Niere gespendet hatte, wurde das Thema in der Öffentlichkeit wieder wahrgenommen und von der Politik auf die Tagesordnung gestellt.

Seit seiner Lebendspende tritt SPD-Fraktionschef Steinmeier gemeinsam mit seinem Amtskollegen von der CDU, Volker Kauder, für eine Änderung des Transplantationsgesetzes ein. Bis Ende 2011 wollen sie einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf im Bundestag einbringen.

Steinmeier und Kauder fordern die sogenannte Erklärungslösung. Diese wurde ursprünglich vom Deutschen Ethikrat vorgeschlagen. Jeder Bürger soll sich demnach einmal im Leben entscheiden, ob sie oder er zu einer Organspende nach dem Tode bereit ist. Zuvor müssen die Menschen allerdings umfassend informiert werden.

Danach könnte der Wille der Bürger in einem Dokument wie der Gesundheitskarte oder dem Führerschein vermerkt werden. Wer sich allerdings nicht entscheiden will, dem soll genau dies ebenfalls freigestellt sein. Und jederzeit, so der Vorschlag der Politiker, müsste man die Entscheidung auch rückgängig machen können. Die Erklärungslösung konfrontiert die Menschen demnach mit dem Thema - zwingt sie aber nicht, sich zu entscheiden.

Der Vorstoß der beiden Fraktionschefs hat eine überwiegend positive Reaktion ausgelöst. Zwar betonten insbesondere FDP-Politiker wie Wirtschaftsminister Philipp Rösler und Gesundheitsminister Daniel Bahr, dass man niemanden dazu zwingen dürfte, sich dieser Entscheidung überhaupt zu stellen. Kritiker befürchten darüber hinaus, dass insbesondere junge Menschen mit der Entscheidung überfordert sein könnten.

Daniel Bahr hat sich allerdings nun die Erklärungslösung zu Eigen gemacht. Er will der Frankfurter Rundschau zufolge einen Änderung des Transplantationsgesetzes vorschlagen, derzufolge jeder Bürger bei der Ausgabe der neuen elektronischen Gesundheitskarte nicht nur über das Thema Transplantation informiert werden soll. Jeder Mensch soll darüber hinaus in einem Organspendeausweis festhalten, ob er zur Spende bereit ist oder nicht - oder ob er sich jetzt noch nicht festlegen will.

Widerspruchslösung ohne Chance

Es gab allerdings auch Forderungen, die über die Erklärungslösung hinausgingen. So wollten die Gesundheitsminister von Bayern, Hessen, Sachsen-Anhalt und dem Saarland die Widerspruchslösung einführen.

Diese sollte festlegen, dass jeder Deutsche als Organspender gilt, solange er zu Lebzeiten oder Angehörige der Entnahme nicht explizit widersprochen haben. Ähnliche Vorschriften gibt es in etlichen europäischen Ländern in Europa, etwa in Portugal, Österreich oder Spanien. Und möglicherweise ist die Zahl der zur Verfügung stehenden Organe deshalb dort auch größer als in Deutschland. So werden in Spanien pro Jahr 34 Organe je eine Million Einwohner gespendet. In Deutschland sind es gerade mal 16.

Die deutsche Ärzteschaft hatte dagegen eine Erklärungspflicht gefordert, die - ähnlich wie die Erklärungslösung - jeden Bürger einmal vor die Wahl stellen sollte, allerdings ohne die Möglichkeit, keine Entscheidung zu fällen. Vor einigen Tagen ist man allerdings zu dem Schluss gekommen, dass dies nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Dies dürfte dann auch für die Widerspruchslösung gelten, die in der Konferenz der Gesundheitsminister - im Gegensatz zur Erklärungslösung - auch keine Mehrheit gefunden hat. Der Bundesrat hat sich inzwischen ebenfalls hinter die Erklärungslösung gestellt.

Die Bundesregierung hat bereits die Anpassung des Transplantationsgesetzes an eine EU-Richtlinie zu Qualitäts- und Sicherheitsstandards beschlossen. Demnach soll zum Beispiel in jeder Klinik, in der Organe entnommen werden, ein Transplantationsbeauftragter eingesetzt werden. Nachdem nun offenbar auch die FDP die Erklärungslösung akzeptiert, ist zu erwarten, dass auch diese in der Gesetzesänderung berücksichtigen wird.

Damit dürfte die Debatte um die Organspende beendet sein - auch wenn in manchen Kreisen sicher weiterhin über die weltanschaulichen und religiösen Aspekte der Transplantation und der Integrität des Leibes nach dem Tode diskutiert wird. Auch der Hinweis der Deutschen Stiftung Organspende, dass es wichtiger wäre, die Rahmenbedingungen für die Organspenden und Transplantationen zu verbessern, spricht nicht gegen die Änderung. Es sollte aber darüber hinaus unbedingt die Pflicht der Krankenhäuser, den Hirntod aller potentiellen Organspender zu melden, endlich bundesweit durchgesetzt werden.

Manche Kritiker betrachten allerdings schon die Freigabe des hirntoten Körpers mit noch funktionierenden Organen als grundsätzlich falsch. Für sie ist der Hirntod ein Teil des Sterbeprozesses, aber nicht gleichzusetzen mit dem Tod. Für das neue Gesetz wird diese Diskussion aber wohl keine Rolle spielen.

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