Polarmeer:Vom Eis geholt

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Bis zum Herbst wollten russische Polarforscher auf einer Eisscholle durch das Polarmeer driften. Jetzt mussten sie ihr Camp aufgeben, da das Eis schmilzt.

Christopher Schrader

20 russische Wissenschaftler sind im Polarmeer von einer Eisscholle geborgen und samt ihrer Ausrüstung von russischen Schiffen an Bord genommen worden.

Mit Ballons hatte Jürgen Graeser Luftproben genommen. (Foto: Foto: Graeser/AWI)

Ihre Expedition namens NP-35, während der sie auf einer großen Eisscholle durch das Polarmeer drifteten, hatte im vergangenen September begonnen und sollte noch bis Herbst 2008 andauern; bis zum April gehörte auch der deutsche Techniker Jürgen Graeser vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven zu dem Team.

Nach Angaben des Instituts für Polarforschung (AARI) im russischen St. Petersburg ist die Eisscholle evakuiert worden, weil sie sich der Insel Spitzbergen nähert. Dort würde sie in eine wärmere Meeresströmung geraten und wäre akut gefährdet. Das AARI hatte darum das Versorgungsschiff Michael Somow und einen Eisbrecher ausgeschickt, die Polarforscher zu bergen.

Seit 1937 haben die Russen 35 Expeditionen ausgesandt, die auf Eisschollen durch das Polarmeer drifteten. Die Männer der NP-35 hatten Ende September 2007 nördlich von Sewernaja Semlja in der Karasee erst nach dreiwöchiger Suche eine geeignete Scholle gefunden.

Die ausgewählte Eisfläche war zwar mit drei mal fünf Kilometern groß genug, aber nur ein bis zwei Meter dick; normalerweise errichten die Expeditionen ihr Camp auf drei Meter dickem Eis.

Jürgen Graeser war der erste Ausländer, den die Russen mitgenommen haben. Er berichtete bei seiner Rückkehr von Eisbären, die in der Polarnacht um seine Hütte geschlichen waren, und Rissen im Eis in der Nähe des Vorrats-Containers.

Inzwischen ist die Scholle stark geschrumpft und misst nur noch 300 mal 500 Meter. Nach Angaben eines AARI-Sprechers ist das einjährige Eis am Rand der Scholle weggeschmolzen, übrig ist nur das mehrjährige, auf dem das Camp errichtet wurde.

Bereits seit Wochen warnen Polarforscher davor, dass die Eisdecke am Nordpol immer schneller abnehme. Zunehmend entstehe im Winter nicht mehr mehrjähriges Eis, das aus mehreren Lagen verdichtet ist, sondern nur mehr einjähriges Eis, das im Sommer schneller schmilzt.

In diesem Sommer könne der Nordpol darum eisfrei sein. Zudem haben die kanadischen und US-amerikanischen Eisbeobachtungsdienste Anfang Juni vorhergesagt, dass der Sommer in fast allen Teilen der Arktis wärmer sein werde als normalerweise. Offenbar mussten die russischen Forscher auch darum ihre Scholle früher als erwartet verlassen.

© SZ vom 15.07.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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