Physik:Forscher finden den Wunderkristall

Wissenschaftler sind von einer neuen Metall-Legierung begeistert, die auf Knopfdruck ihr Volumen vergrößert. Sie soll bessere Sensoren ermöglichen. Noch gibt der Stoff aber Rätsel auf.

Von Robert Gast

Eigentlich müssten Transformatoren schweigen. Durch die Geräte, wie sie in Netzteilen von Elektrogeräten verbaut sind, fließt ja bloß Strom. Und der erzeugt keine Geräusche. Warum also brummt manches Netzteil? Verantwortlich dafür sind Magnetfelder, die entstehen, wenn Strom fließt. Sie lassen Metallteile im Transformator um einige Tausendstel Millimeter anschwellen - und, wenn das Magnetfeld seine Richtung ändert, wieder schrumpfen. Wegen des Wechselstroms in der Stromleitung passiert das etliche Male pro Sekunde. Und das brummt.

Experten bezeichnen das Phänomen als "Magnetostriktion". In der Mikrosystemtechnik basieren unter anderem Sensoren darauf. Herkömmliche Legierungen werden von Magnetfeldern nur in eine Richtung lang gezogen, an anderer Stelle werden sie schmaler. Das Volumen bleibt gleich.

Für eine neue Klasse von Speziallegierungen, die in der aktuellen Ausgabe von Nature vorgestellt wird, gilt das nicht mehr: Sie wachsen im Magnetfeld in alle Richtungen zugleich, schreiben Harsh Deep Chopra von der Temple-Universität in Philadelphia und Manfred Wuttig von der Universität Maryland. Die Forscher erhitzten ein fünf Millimeter großes Plättchen aus einer Eisen-Gallium-Legierung auf 760 Grad und ließen es anschließend rasch abkühlen. Dann erzeugten sie ein Magnetfeld - und das Plättchen blähte sich um etwa ein Tausendstel Millimeter auf.

Eine theoretische Erklärung der Autoren fehlt noch

Damit eigne sich die Wunderlegierung für verbesserte Sensoren, sagen die Autoren, auch weil die Legierung weniger Wärme abgibt und nicht aus den teuren Seltenen Erden besteht. Die Arbeit könnte Physikern auch dabei helfen, die letzten Geheimnisse des Magnetismus zu lüften. Mitunter reagieren Legierungen überraschend auf Magnetfelder. Manche Metallmischungen bleiben magnetisiert, nachdem sie einem Magnetfeld ausgesetzt waren.

Was genau die Stärke dieses als "Hysterese" bekannten Phänomens bestimmt, sei aber noch nicht bei allen Legierungen verstanden, schreibt Richard James von der Universität Minnesota in Nature. Die neue Legierung sei eine "dramatische" Entdeckung, weil sie wundersamerweise fast keine Hysterese zeige.

"Ich habe so etwas noch nie gesehen", sagt auch Sergio Valencia vom Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie in Berlin. Er hält das Ergebnis für solide, erwartet aber noch eine theoretische Erklärung für das Verhalten der neuen Wunderlegierung.

Die können die Autoren bisher nicht liefern. Offenbar hat es etwas mit der Art und Weise zu tun, wie sich die Elektronen in dem Festkörper ausrichten. Aufnahmen mit einer Spezialkamera zeigen Blöcke mit unterschiedlicher Orientierung, die auseinanderwandern, wenn sie von einem Magnetfeld erfasst werden. Wieso sie entstehen, ist noch rätselhaft.

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