Physik der Haare:Locken im Labor

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Wie Haare sich locken und kräuseln, interessiert auch Physiker - 2012 gab es dafür den ironisch gemeinten "Ig-Nobelpreis" (Foto: dpa)

Warum ringeln sich manche Haare, und andere bleiben glatt und gerade? Ingenieure ergründen es mit komplexen Simulationen. Die Ergebnisse sind etwa wichtig für Animationsfilmer.

Von Christoper Schrader

Blond oder brünett, kurz oder lang, glatt oder gelockt - um die Eigenschaften ihres Haupthaars zu verbessern, betreiben Menschen viel Aufwand. Das ruft selbst Ingenieure auf den Plan: Ja, sie haben zu Frisuren durchaus etwas zu sagen. Jetzt ist zum Beispiel ein Team aus Boston und Paris den Entstehungsbedingungen von Locken auf den Grund gegangen. Das erscheine als "täuschend einfaches Problem", schreiben die Forscher um Pedro Reis vom Massachusetts Institute of Technology. Erst nach langen Rechnungen haben sie einige verblüffend einfache Erkenntnisse gewonnen.

Sich für Haare zu interessieren hat einige Tradition in den technisch orientierten Naturwissenschaften: 2012 erhielten zwei Forschergruppen den satirischen Ig-Nobelpreis für Physik, weil sie die Biegung von Pferdeschwänzen enträtselten und erklärten, warum Zöpfe nach links und rechts schwingen, obwohl sich der Kopf ihrer Besitzerin beim Gehen nach oben und unten bewegt. Reis verfügt wiederum über einige Erfahrung damit, sich mit vermeintlich abseitigen Themen zu befassen, etwa mit dem Aufrollen von Gummibändern, abfallenden Aufklebern, Buchseiten im Wind oder dem Trinkverhalten von Katzen.

Haar-Simulation am Computer

Sein Team hatte sich für seine Arbeit zunächst einen standardisierten Haarersatz gebastelt: Es füllte dünne Plastikschläuche mit Kunstharz. Noch bevor der Inhalt aushärtete, wanden die Ingenieure die Schläuche um Zylinder. Diese Lockenwickler hatten Durchmesser zwischen drei und 32 Zentimeter. Die Forscher erhielten so dünne Stäbe mit definierter Krümmung, die sie an einem Ende aufhängten. Das Eigengewicht zog die eingebaute Krümmung in die Länge, nur die Spitzen hoben sich, sodass die Kunsthaare die Form eines Hakens einnahmen. Locken bildeten sich erst, wenn die Spitze hoch genug aufragte und die Schwerkraft sie aus der Ebene dieser Haken zog, die Stäbe sich also in der dritten Dimension kringelten ( Physical Review Letters, im Druck).

Das Verhalten ließ sich per Computersimulation nachstellen. Dort haben die Ingenieure 11 000 Haare verschiedener Längen, Krümmungen und Dicken modelliert und den Phasenraum der Locken berechnet. Das ist ein übliches Verfahren: Der Phasenraum kennzeichnet das mögliche Verhalten eines Objekts bei Veränderung der Rahmenbedingungen. Für Wasser zum Beispiel ist der Phasenraum ein zweidimensionales Diagramm, das auf der einen Achse zunehmende Temperatur zeigt, auf der anderen wachsenden Druck. Daran ließe sich zum Beispiel ablesen, dass flüssiges Wasser bei Raumtemperatur verdunsten kann, wenn der Druck sinkt. Und dass Wasser in den Bergen bei niedrigeren Temperaturen kocht als im Flachland.

Berechnung in Animationsfilmen

Für die Haare ging es im Phasenraum um das Verhältnis von Gewicht und Krümmung. Schwere Haare, also auch nasse, werden dem Diagramm zufolge immer gerade herunterhängen. Bei geringerem Gewicht entscheidet die Krümmung über das Verhalten: Haben die Haare genügend Eigendrall, können sie sich entweder nur am Ende etwas kringeln oder auf ganzer Länge Locken bilden. Die Grenze ist ein Winkel: Wenn sich das Haar um 1,5 Grad oder mehr aus der Senkrechten biegt, wird es sich auf ganzer Länge locken.

Diese Ergebnisse sind nicht so nutzlos, wie sie scheinen. Zum einen könnten sich die Kosmetikfirmen und Entwickler von Dauerwellen-Chemikalien für die Studie interessieren. Zum anderen dürfte sie für die Hersteller von Kabeln oder Glasfasern interessant sein: Sie können ausrechnen, wie sie ihre Produkte für den Transport aufrollen können, ohne ihren späteren Einsatz in gestreckter Form zu gefährden. Außerdem ist die Physik der Haare für Animationsfilme enorm interessant. Die Pixar-Studios zum Beispiel hatten beim Film "Merida" lange herumexperimentiert, berichtet der Branchendienst Fxguide. Die junge Schottin besitzt laut Plot lange rote Locken. Die Computer berechnen bei solchen Filmen inzwischen Bewegungen von Figuren nach physikalischen Gesetzen; bisher hatten die Helden aber oft fest auf den Kopf zementierte Haare. Meridas Locken wurden als 1500 per Hand platzierte Spiralfedern angelegt, die sich gegenseitig berührten. Pro Bild des Films waren 20 bis 30 Sekunden Rechenzeit nötig. Dabei haben die Animatoren noch an der Schwerkraft gedreht, damit am Ende alles natürlich wirkte: Statt der irdischen haben sie eine Gravitation benutzt, die eher der des Mondes entsprach.

Für den Leiter des Wissenschaftlerteams, Pedro Reis, hat seine Lockenforschung übrigens keine persönlichen Folgen. Laut seiner Homepage hat der Ingenieur eine Glatze.

© SZ vom 11.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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