Philosoph Voland im Interview:Die Evolution der Ehrenamtlichkeit

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Philosoph Eckart Voland erklärt in SZ Wissen, warum auch Selbstlosigkeit eigentlich eine Sache von Egoisten ist.

Philip Wolff

SZ Wissen: Eine sehr alte Bekannte von mir muss ins Pflegeheim und bemerkte neulich: Was wird dann bloß aus meinen Leutchen? Gemeint waren bettlägerige Gleichaltrige, die sie betreut. So eine Selbstlosigkeit macht mich baff.

Welche Vor- und Nachteile entstehen aus dem fürsorglichen Verhalten? Eine Suppenküche der Frankfurter Bahnhofsmission. (Foto: N/A)

Eckart Voland: Mich auch, aber trotzdem: Ein wenig Skepsis wäre angebracht. Was steckt tatsächlich hinter so einer Selbstauskunft? Sie kann absolut ehrlich gemeint sein, und man darf das Engagement der Frau nicht abwerten, aber Menschen halten sich erwiesenermaßen immer für etwas moralischer, als sie von anderen wahrgenommen werden.

Man müsste einmal fragen: Welche Vor- und Nachteile sind der Frau aus ihrem fürsorglichen Verhalten entstanden? Der psychische Gewinn, die innere Befriedigung kann weit größer sein als die Kosten, die sie auf sich genommen hat.

SZ Wissen: Sie meinen, es könnte auch Egoismus dahinterstecken? Dann gäbe es womöglich keinen wahren Altruismus.

Voland: Doch, den gibt es natürlich, aber man muss verstehen, welche Wurzeln er in der menschlichen Evolution hat. Die lange gängige Theorie, nach der Gruppen konkurrenzfähiger wurden, je selbstloser sich ihre Mitglieder verhielten, kann Altruismus nicht gut erklären. Denn jeder Eigenbrötler, der sich konsequent egoistisch verhält, würde zum größten Gewinner in so einer Gruppe.

Man braucht also andere Modelle. Die Verwandtenunterstützung zum Beispiel, denn sie sichert den Fortbestand eigener Gene. Oder die ökonomische Annahme, dass selbstloses Verhalten auf Dauer Kooperationsgewinne erzielt nach dem Motto: Wer gibt, dem wird gegeben. Oder es gilt das Pfauenrad-Prinzip: Dadurch, dass ich mir einen Luxus wie Generosität leiste, demonstriere ich meine Vorzüge und ernte Anerkennung.

SZ Wissen: Welcher evolutionäre Gewinn sollte der Frau noch winken?

Voland: Vermutlich keiner mehr, aber darauf kommt es auch gar nicht an. Entscheidend für den evolutionären Erfolg von Verhaltensweisen ist, dass sie im Mittel über die Lebensspanne insgesamt vorteilhaft waren.

Je älter Menschen werden, desto mehr treten sie gleichsam in den Schatten der Selektion, was erklärt, dass persönliche Verhaltensweisen biografisch sehr stabil sein können, obwohl sie eigentlich keinen Zweck mehr haben. Hochbetagte haben nicht selten noch einen Sparvertrag. Das ist ökonomisch irrational, aber über das Leben betrachtet, ist Selbstvorsorge sicherlich eine nützliche Strategie.

SZ Wissen: Dann sollten vor allem junge Menschen ehrenamtlich tätig sein. Senioren sind dies aber häufiger.

Voland: Die Kosten-Nutzen-Bilanz von Altruismus ist altersabhängig. Die Älteren haben mehr Zeit. Ökonomisch gesprochen, ist für sie der Zeiteinsatz billiger als für jüngere, berufstätige Menschen. Eine Tante von mir hat jahrelang in Supermärkten und Restaurants Essensreste eingesammelt und Bedürftige bekocht. Alle fanden es toll, aber die Kosten, die meine Tante hatte, tendierten gegen null. Es war für sie eine erfüllende Freizeitgestaltung.

SZ Wissen: Sie hätte auch auf den Golfplatz gehen können.

Voland: Aber in ihrem sozialen Umfeld hätte sie durch sportive Leistungen weniger Anerkennung gefunden als durch ihr soziales Engagement.

SZ Wissen: Also ist das Helfen doch egoistisch?

Voland: Nein, wir müssen klar unterscheiden zwischen einer psychologischen und einer evolutionären Definition von Altruismus. Aus psychologischer Sicht gibt es aufrichtig empfundene Selbstlosigkeit. Soziobiologen würden aber ergänzen: Es gibt auch egoistische Erklärungen dafür. Dadurch muss sich niemand zurückgesetzt fühlen. Selbstloses Verhalten ist und bleibt ehrenwert.

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