Pflanzliches Medikament:Gegen Depressionen ist ein Kraut gewachsen

Bisher verwendete Anti-Depressiva rufen oft Bauchschmerzen oder Schwindelgefühle hervor. Studien zeigen: Mittel aus Johanniskraut haben weniger Nebenwirkungen - und helfen genau so gut.

Von Felicitas Witte

Grauer Himmel, kurze Tage, wenig Sonnenlicht: Gerade in den Wintermonaten leiden viele Menschen unter Depressionen.

Pflanzliches Medikament: Das Johanniskraut mit seinen leuchtend gelben Blüten hilft Patienten mit Depressionen.

Das Johanniskraut mit seinen leuchtend gelben Blüten hilft Patienten mit Depressionen.

(Foto: Foto: ddp)

Einige kommen ohne Medikamente nicht aus. Doch die sind nicht ohne Nebenwirkungen.

So werden immer neue Studien öffentlich, die belegen, dass ein Medikament aus der Gruppe der SSRI (der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer) bei jungen Patienten zu einem erhöhten Suizidrisiko führt.

Besser verträglich

Offenbar gibt es aber eine Alternative: Das pflanzliche Johanniskraut scheint selbst bei mittelschweren bis schweren Depressionen mindestens genauso gut zu helfen wie herkömmliche Medikamente.

Das berichten Wissenschaftler von der Berliner Charité jetzt in einer Online-Vorabveröffentlichung des British Medical Journal (1). Noch dazu sei das pflanzliche Mittel besser verträglich gewesen, so das Team um Armin Szegedi.

Der Psychiater hatte 251 Patienten mit akuten mittelschweren bis schweren Depressionen untersucht. 125 Kranke erhielten ein Johanniskrautpräparat und 126 das Standard-Antidepressivum Paroxetin, ein SSRI. Dabei wussten die Patienten nicht, welches Präparat sie schluckten.

Ob die Mittel halfen, ermittelten die Forscher mit einem Fragebogen. Nach sechs Wochen Therapie zeigte sich, dass sowohl Johanniskraut als auch Paroxetin wirkten: Die Werte auf einer Depressions-Skala sanken in der Johanniskraut-Gruppe im Mittel um 14 Punkte und in der Paroxetin-Gruppe um 11 Punkte.

Johanniskraut hilft gleich gut oder besser

Das Pflanzenpräparat wirkte dabei genauso gut, wenn nicht sogar besser als das chemische Mittel: 71 Prozent der Patienten, die Johanniskraut eingenommen, und 60 Prozent derer, die Paroxetin bekommen hatten, sprachen deutlich auf die Therapie an.

Dabei litten die Paroxetin-Patienten fast doppelt so häufig unter Bauchschmerzen und Störungen des Zentralnervensystems wie Müdigkeit, Schwindelgefühl und Kopfschmerz.

Gegen Depressionen ist ein Kraut gewachsen

Ob Johanniskraut auch bei schweren Depressionen wirkt, war bislang umstritten. Hinweise darauf hat es aber bereits gegeben: So hat Klaus Linde von der Technischen Universität München kürzlich 37 klinische Studien zum Thema neu ausgewertet (2) und festgestellt: Johanniskraut hilft zwar gegen schwere Depressionen weniger gut als gegen leichtere, steht den herkömmlichen Antidepressiva dabei aber in nichts nach.

Linde machte allerdings auch noch eine überraschende Entdeckung: In den älteren Studien schloss die Pflanzenarznei besser ab als in den jüngeren, die aber auch einen deutlichen positiven Effekt zeigten.

Wünsche der Ärzte beeinflussen Therapieerfolg

"Vielleicht wollten die Ärzte in den früheren Studien gerne positive Effekte nachweisen", meint Linde. Johanniskraut sei damals ein innovatives Mittel gewesen und man setzte große Hoffnungen in das Medikament.

Die Wünsche der Ärzte sind aber gerade in der Therapie von Depressionen von großer Bedeutung. "Depression ist eine der typischen Indikationen, bei der der Anteil der Wirkstoffe am Erfolg der Therapie jahrelang überschätzt wurde", meint Volker Schulz, Internist in Berlin.

"Anders als etwa bei einer Antibiotikabehandlung spielt der Arzt eine wichtige Rolle als Therapeut. Der eigentliche Effekt des Arzneimittels könnte dabei gering sein."

Die Auswertung der Doppelblind-Studien, bei denen Arzt und Patient nicht wissen, wer welches Medikament bekommt, wird zusätzlich erschwert, weil ein erfahrener Arzt schnell nicht mehr blind ist: "Manche synthetischen Antidepressiva verursachen bei fast jedem zweiten Patienten nach zwei bis drei Tagen so typische Nebenwirkungen, dass der Arzt schnell weiß, welcher Patient welches Medikament bekommt", sagt Volker Schulz.

Wechselwirkungen

Gerade bei Pflanzenpräparaten wie Johanniskraut hat darüber hinaus auch die Aufbereitung einen starken Einfluss. Zum Beispiel beeinflusst das Lösungsmittel, mit dem der Wirkstoff aus der Pflanze extrahiert wird, dessen Potenzial. In der aktuellen Berliner Studie wurde deshalb speziell darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse nur für Johanneiskrautpräparate mit dem Kürzel "WS5570" gelten.

Auch wenn Johanniskraut deutlich weniger Nebenwirkungen hat als die chemischen Arzneien: Nicht für jeden Patienten ist die pflanzliche Therapie geeignet. "Manche Patienten etwa werden empfindlich für Sonnenlicht, wenn sie Johanniskraut nehmen", so Schulz.

"Und wirklich gefährlich ist die Wechselwirkung mit anderen Arzneien." Johanniskraut kann die Wirkung mancher Blutgerinnungshemmer, Herzmedikamente, das Immunsystem unterdrückender Arzneien oder Aids-Präparate abschwächen. Patienten, die solche Mittel einnehmen, dürfen kein Johanniskraut bekommen.

Auch bei schweren Depressionen rät Schulz trotz der neuen Studie aus dem British Medical Journal zunächst noch zur Vorsicht. "Ob Johanniskraut hier wirklich besser als herkömmliche Präparate ist, müssen erst weitere Studien zeigen. Bislang ist es nun einmal nur für leichte bis mittelschwere depressive Episoden zugelassen."

(1)British Medical Journal, doi:10.1136/ bmj.38356.655266.82 (2)British Journal of Psychiatry, Bd.186, S.99, 2005

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