Parasiten:Körperfresser vor dem Aus

Der Guineawurm ist weltweit fast ausgerottet - es wäre der zweite große Sieg über eine Krankheit nach den Pocken.

Birgit Herden

Die ganze Familie versammelt sich um die zehnjährige Akouma. Die Krankenschwester beginnt, den geschwollenen Fuß mit der großen eiternden Blase zu massieren. Nach kurzer Zeit durchdringt ein Schmerzensschrei des Mädchens das kleine Dorf Agbande im nördlichen Togo. Akoumas Mutter wendet sich ab und weint in lautloser Qual. Eine halbe Stunde später gelingt es der Krankenschwester, einen kleinen Wurm aus der Wunde zu ziehen - nur um direkt dahinter einen noch viel größeren zu entdecken, der sich im Fuß aufgerollt hat.

Sehr vorsichtig beginnt die Krankenschwester, das lange dünne Tier herauszuziehen und um einen Stock zu wickeln - Zentimeter für Zentimeter. Noch drei weitere Würmer zieht die Krankenschwester an diesem Tag aus dem gepeinigten Mädchen. Auch die übrigen Familienmitglieder sind von dem Parasiten befallen. ¸¸Jeden Tag bete ich. Was habe ich nur getan, um diese Krankheit über meine Familie zu bringen?", sagt Akoumas Mutter.

Solche Szenen, die noch vor kurzem in Asien und Afrika zum Alltag gehörten, sind vielleicht bald Geschichte: Nach den Pocken könnte der Guineawurm (Dracunculus medinensis) der zweite Krankheitserreger sein, den die Menschheit erfolgreich ausrottet.

Weg durchs Unterhautbindegewebe

Nur noch 11.500 Fälle weltweit registrierte das von Jimmy Carter gegründete Carter Center im vergangenen Jahr - vor 20 Jahren waren es geschätzte drei Millionen. Zwar ist der Guineawurm selten tödlich, doch der Parasit bereitet seinen Opfern meist über Monate hinweg heftige Schmerzen. Die Kinder können in dieser Zeit nicht zur Schule, die Erwachsenen nicht aufs Feld, und manche bleiben für immer verkrüppelt.

In den Menschen gelangen die Wurmlarven über das Trinkwasser. Innerhalb eines Jahres entwickeln sich die weiblichen Larven zu den bis zu einen Meter langen dünnen weißen Würmern. Sie bahnen sich ihren Weg durchs Unterhautbindegewebe und suchen meist in Beinen und Füßen einen Weg ins Freie. Mit Säure lösen die Würmer das vor ihnen liegende Gewebe auf, was den Opfern brennende Schmerzen bereitet.

Die gequälten Menschen versuchen ihre eiternden Wunden oft im Wasser zu kühlen - daraufhin entlässt der Wurm Millionen neuer Larven, die von winzigen Flohkrebsen gefressen werden. Trinken Menschen Wasser, in dem sich diese Zwischenwirte befinden, beginnt der Kreislauf aufs Neue.

Gegen den Guineawurm hilft kein Medikament und es entwickelt sich keine Immunität. Doch vermeiden lässt sich die Erkrankung auf einfache Weise: Durch Aufklärung der Bevölkerung, einfaches Filtern von Trinkwasser, oder ein mildes Pestizid, das die Larven abtötet. Der Wurm kann sich ohne den Menschen nicht entwickeln - durchbricht man den Kreislauf an dieser Stelle, dann würde der Parasit nach aller Voraussicht für immer aussterben.

Seit 20 Jahren verteilt das Carter Center in Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen Wasserfilter und hat ein Netz aus Freiwilligen aufgebaut, die Aufklärungsarbeit leisten. Die Helfer kämpfen dabei nicht nur gegen Unwissenheit und alte Gewohnheiten.

Manchmal stehen dem Erfolg auch Misstrauen und Aberglaube entgegen - etwa wenn wie in manchen Dörfern Nigerias besondere Wasserquellen als heilig gelten. Wollen die Entwicklungshelfer in diese Gewässer das Pestizid Abate geben, dann treffen sie mitunter auf erbitterten Widerstand.

Viel Ausdauer und Geld

Doch immerhin elf der 20 Länder, in denen der Guineawurm lange Zeit ein gravierendes Problem darstellte, haben im vergangenen Jahr keinen Fall mehr erlebt. 2005 wurde die Hälfte aller Fälle im Sudan registriert, wo der Bürgerkrieg die Hilfe enorm erschwert.

Um nun auch noch die letzten Rückzugsgebiete des Wurms zu erreichen, wird viel Ausdauer und Geld nötig sein. Doch bis 2009, so die Hoffnung der Experten des Carter Centers, könnte die Menschheit von einer Jahrtausende alten Geißel befreit sein. "Das Projekt zeigt, dass medizinische Aufklärung genauso wirksam sein kann wie ein Impfstoff", sagt Donald Hopkins, Leiter der medizinischen Projekte des Carter Centers. "Es hat uns die Macht gelehrt, die im Engagement von Freiwilligen liegt - so sind Veränderungen möglich."

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