Parasiten in der Medizin:Heilung mit dem Hakenwurm?

Wer Würmer hat, leidet nicht an Asthma. Mediziner wollen diese Erkenntnis nutzen und verordnen Studienteilnehmern eine Dosis Parasiten.

Franziska Draeger

Es klingt wie eine Spielerei für Masochisten: Im Internet kann man Parasiten bestellen und sich absichtlich damit infizieren. 800 Peitschenwurmeier oder eine Dosis mit 35 Hakenwurmlarven kosten 2900 Dollar. Letztere klebt man auf den Arm und wartet, bis sich die mikroskopisch kleinen Tierchen durch die Haut in den Körper bohren. Die Larven gelangen über das Blut in die Lunge, werden hochgehustet und dabei verschluckt - bald füllt sich der Darm mit neuem Leben.

Der Wurmexporteur Jasper Lawrence hat bisher 140 Menschen beliefert. Seine Kunden sind keine Masochisten, sondern Menschen, die an Multipler Sklerose (MS), Asthma, Psoriasis oder Morbus Crohn erkrankt sind. Sie hoffen, dass die Würmer ihr Leiden lindern. Erste Forschungsergebnisse deuten tatsächlich auf eine heilende Wirkung von Parasiten hin. Noch fehlen aber wichtige Beweise. Deshalb hat die Food and Drug Administration, die amerikanische Medikamenten-Behörde, Lawrence' Unternehmen in den USA geschlossen und seinen Verkauf verboten. Er lässt sich davon nicht beirren und agiert im Ausland weiter.

"Das außerhalb von sicheren klinischen Studien anzubieten, ist hanebüchen", sagt Heinz Wiendl, Sprecher des Kompetenznetzes Multiple Sklerose. "Immunologisch ist der Ansatz aber nachvollziehbar." Er erwartet, dass die Gabe harmloser Parasiten in Studien einen positiven Effekt für MS-Patienten zeige. "Die Idee ist sinnvoll. Sie genauer zu untersuchen, ist ein Schritt in die richtige Richtung", sagt Erika von Mutius, Expertin für Allergien und Asthma am Haunerschen Kinderspital München.

Weltweit testen Forscher zurzeit, ob harmlose Darmparasiten Autoimmunerkrankungen und Allergien lindern können. Es wäre nicht das erste Mal, dass Parasiten helfen, Menschen zu heilen. Der Wirkstoff der Hirudoid-Salbe, die bei Blutergüssen hilft, stammt ursprünglich aus Blutegeln. Wenn offene Wunden nicht heilen wollen, setzen Ärzte Fliegenlarven auf die Verletzung. Diese fressen das tote Gewebe und stimulieren Selbstheilungsprozesse des Körpers.

Eine Wurmtherapie würde einen Schritt weiter gehen. Nicht äußerlich werden Parasiten eingesetzt, sondern im Darm der Patienten. Die Idee dahinter beruht auf der Beobachtung, dass Autoimmunkrankheiten und Allergien fast nur in reichen Gesellschaften vorkommen, in Entwicklungsländern kaum. Das könnte daran liegen, dass dort parasitäre Würmer - im Fachjargon Helminthen - weit verbreitet sind. Die Zahl der Menschen mit solchen Darmbewohnern wird von der Weltgesundheitsorganisation auf zwei Milliarden geschätzt.

"Das Vorkommen von Hakenwürmern und das Auftreten allergischen Asthmas scheinen sich weltweit gegenseitig auszuschließen", sagt David Pritchard von der Universität Nottingham. Er untersucht, wie Hakenwürmer das Immunsystem beeinflussen. Der Mechanismus, der Allergien zu Grunde liegt, entwickelte sich wohl ursprünglich, um Parasiten loszuwerden. Diese haben sich Tricks angeeignet, um diese Reaktionen zu dämpfen.

Im Abwehrsystem des Menschen bekämpfen manche Zellen Bakterien, andere Viren oder Tumoren. Finden sie einen Feind, rufen sie Verstärkung herbei - Fieber, Entzündung, Juckreiz entstehen im Eifer des Gefechts. Bei Allergien sind Immunzellen falsch geprägt. Sie reagieren auf harmlose Reize wie Pollen, als wären es gefährliche Gegner und lösen Fehlalarm aus. Manchmal wenden sich Immunzellen gar gegen den eigenen Körper, Autoimmunleiden sind die Folge.

"Die Vorstellung, Parasiten zu nehmen, bereitete mir Albträume"

Doch es gibt auch Gegenspieler der aggressiven Immunzellen, sogenannte regulatorische T-Zellen (Tregs). Sie steuern und dämpfen Immunantworten. Parasiten programmieren die Abwehr des Wirtes um. Dabei scheinen sie gezielt die Bildung regulatorischer Zellen zu stimulieren. Die friedensstiftenden Zellen des Wirtes halten aggressive in Schach - das Immunsystem ist gefangen in einem Bürgerkrieg. So können die Parasiten unbehelligt im Wirt überleben. "Parasiten haben die Sprache des Immunsystems gelernt und überleben im Wirt, indem sie Gespräche zwischen Immunzellen manipulieren", sagt Matthew Taylor, Immunologe an der University of Edinburgh.

"Bei Autoimmunpatienten scheint die Produktion der Tregs oft nicht richtig zu funktionieren. Parasiten könnten das wieder ausgleichen", sagt Detlev Goj vom Forschungsunternehmen Ovamed, das Wurmtherapien testet. "Parasiten balancieren das Immunsystem intelligent aus. Sie wollen, dass ihr Wirt lange lebt, damit sie selbst überleben."

Pioniere der Forschung sind weit gereist, um diese Theorie am eigenen Leib zu prüfen. Der britische Forscher David Pritchard flog 2004 mit Kollegen nach Neuguinea. Dort infizierten sie sich mit je 50 Hakenwurmlarven, um zu ermitteln, wie viele Würmer ein Mensch gut verträgt. Diarrhö, Übelkeit, Bauchschmerzen waren die Folge, die Forscher hatten sich eine Überdosis Würmer zugemutet. Pritchard entledigte sich seiner Darmbewohner mit Wurmkuren.

Jasper Lawrence, der heute die strittigen Therapien anbietet, machte es nach. Er litt seit seiner Kindheit an Heuschnupfen und Asthma. Mit Ende 30 war er regelmäßig Gast in der Notaufnahme. "Ich konnte nicht mehr Fangen spielen mit meinen Kindern", sagt er. "Ich hatte mich aufgegeben." Dann stieß er auf eine Dokumentation über heilsame Würmer und schöpfte Hoffnung. "Die Vorstellung, Parasiten zu nehmen, bereitete mir Albträume", sagt er. Dennoch wollte er einen Selbstversuch mit Hakenwürmern wagen. Doch woher nehmen? Er suchte im Internet, rief Forscher an. Vergeblich. Schließlich flog er nach Kamerun und lief barfuß über Erde, in der Hakenwürmer leben. Heute ist er Wirt von 100 Würmern und schwärmt davon, durch sie sein Asthma überwunden zu haben.

Erste Studien am Menschen zeigten positive Ergebnisse. Forscher verabreichten Probanden Haken- und Peitschenwürmer. Beide können sich im Menschen nicht vermehren. Außerdem sind sie nicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Forscher um Joel Weinstock von der Universität Iowa zeigten im Fachblatt Gut, dass Schweinepeitschenwürmer Beschwerden bei Morbus Crohn linderten.

Detlev Goj von Ovamed versucht, eine solche Therapie zu entwickeln. Schweinepeitschenwürmer kommen von Natur aus beim Menschen nicht vor und sterben daher etwa zwei Wochen nach der Einnahme von alleine ab. Der Nachteil daran: Man muss immer wieder Eier schlucken. Dafür lassen sich die Parasiten kontrolliert im Schwein züchten. "Menschenparasiten kann man nur aus Menschen gewinnen", sagt Goj. Lawrence züchtet die Hakenwürmer, die er verkauft im eigenen Darm. Negative Symptome, die Schweinepeitschenwürmer verursachen können, halten sich offenbar in Grenzen. "Das Schlimmste, was passieren kann, sind Magengrummeln und leichter Durchfall", sagt Goj.

In Sicherheitsstudien haben sich die Schweineparasiten bereits als unbedenklich erwiesen. Nun müssen sie in großangelegten Studien ihre Wirksamkeit unter Beweis stellen. Goj organisiert Studien, in denen geprüft werden soll, ob die Parasiten Morbus Crohn tatsächlich lindern. In Thailand ist die Therapie mit Schweinepeitschenwürmern schon zugelassen, als Naturheilmittel. Für solch eine Zulassung muss allerdings nur die Sicherheit einer Behandlung nachgewiesen werden, nicht ihre Wirksamkeit.

Außerdem wurden Studien zur Linderung von MS und Erdnussallergie begonnen. In New York werden Patienten mit Autismus rekrutiert. Zufällig hatten Forscher Hinweise gefunden, dass die Aggression von Autisten womöglich mit einem gestörten Immunsystems zusammenhängt. Sollte es tatsächlich gelingen, eine Heilwirkung der umstrittenen Würmer zu belegen, wird der Parasiten-Tourismus, wie ihn Pritchard und Lawrence betrieben haben, vielleicht abgelöst von sicheren Therapien. Dann hätten die Mitesser allerdings einen deutlichen Imagewandel nötig. "Erzähle ich Freunden von meinen Würmern, werden manche blass und weichen einen Schritt zurück", sagt Lawrence.

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