Papst Benedikt XVI.:Botschaften aus einer anderen Welt

Die Aufregung um den Besuch des Papstes in Deutschland hat sich gelegt. Zeit für eine sachliche Betrachtung der Botschaft, die er während seiner Reise verkündet hat. Denn was er zum Beispiel im Bundestag zu sagen hatte, war missverständlich.

Markus C. Schulte von Drach

Der Papstbesuch in Deutschland liegt einige Tage zurück, die Aufregung um seine Rede im Bundestag, das Treffen mit den Vertretern der evangelischen Kirche, den Muslimen und den Missbrauchsopfern katholischer Priester hat sich gelegt.

Papst Benedikt XVI. besucht Deutschland

Benedikt XVI. in Deutschland. Die Rede des Papstes im Bundestag war unter anderem ein Appell an die Politiker, sich Gerechtigkeit zum Ziel zu setzen. Natürlich muss man dazu wissen, was gerecht ist.

(Foto: dpa)

Enttäuscht haben sich viele gezeigt von der Reise - enttäuscht über all das, was der Papst alles nicht gesagt hat zu Ökumene, Gleichberechtigung, Sexualmoral und Erneuerung der Kirche. Viele Menschen waren allerdings begeistert von seinem Vortrag im Deutschen Bundestag, den manche zu einer großen rechtsphilosophischen Rede erklärt haben.

Eine tiefere Auseinandersetzung mit den Inhalten der Rede musste man in der politischen Berichterstattung und den Feuilletons jedoch suchen. Dabei hat der Papst erneut für ein Weltbild geworben, das auf überholten Vorstellungen beruht, die allerdings von den meisten Abgeordneten des Deutschen Bundestags offenbar genauso wenig in Frage gestellt werden wie von den meisten anderen Zuhörern. Aber für eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Weltbild ist es nie zu spät.

Auf den ersten Blick war Benedikts Rede ein Appell an die Politiker, sich Gerechtigkeit zum Ziel zu setzen - Gerechtigkeit, die der Papst mit dem Recht gleichsetzt, welches ein Staat braucht, um nicht nur "eine große Räuberbande" zu sein, wie Kirchenvater Augustinus gewarnt hat. Wer würde diese Forderung nicht unterschreiben?

Dann aber stellte der Papst die wichtige Frage: Wie erkennen wir, was recht ist? Wie können wir zwischen Gut und Böse unterscheiden? Da geht es ans Eingemachte. Denn um Gut und Böse zu erkennen, muss man eine Vorstellung davon haben, was gut und was böse ist. Und wie wir wissen, kann das, was Menschen unter bestimmten Bedingungen als böse betrachten, unter anderen Umständen und zu anderen Zeiten als gut gelten.

So halten auch katholische Geistliche die Verbrennung von Ketzern heute nicht mehr für gerechtfertigt. Das Beispiel, das der Papst wählt, ist allerdings der Machtmissbrauch der Nazis, unter denen "der Staat zum Instrument der Rechtszerstörung wurde". Der Hinweis ist im Rahmen einer Rede im Deutschen Bundestag natürlich naheliegend.

Es geht Benedikt zufolge in den Grundfragen des Rechts um die Würde des Menschen und der Menschheit. Für die katholische Kirche ist das eine relativ junge Erkenntnis, wie ihre Geschichte belegt. Aber dass es diese Erkenntnis inzwischen gibt, ist ein Grund zur Freude. Und der Papst dürfte manchen Kritiker überrascht haben mit der Erklärung: "Für die Entwicklung des Rechts und für die Entwicklung der Humanität war es entscheidend, dass sich die christlichen Theologen gegen das vom Götterglauben geforderte religiöse Recht auf die Seite der Philosophen gestellt, Vernunft und Natur in ihrem Zueinander als die für alle gültige Rechtsquelle anerkannt haben."

Vernunft und Natur als Rechtsquelle

Vernunft und Natur als Rechtsquelle? Das klingt äußerst aufgeklärt. Aber um Benedikts Feststellung richtig zu verstehen, muss man seine Vorstellung von Vernunft und Natur berücksichtigen. Und dann wird klar, dass der Eindruck trügt. Denn wie Benedikt den Bundestagsabgeordneten ebenfalls sagte, setzt die "objektive Vernunft, die sich in der Natur zeigt", eine "schöpferische Vernunft voraus". (Mehr dazu findet man zum Beispiel in Benedikts Predikt am Ostersamstag 2011)

Vernunft kommt demnach letztlich von Gott. Und überhaupt ist "die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln" laut Benedikt "von der Überzeugung eines Schöpfergottes her entwickelt worden".

Die Aufklärung und die Menschenrechte verdankt die Welt also dem Christentum. Viele Menschen sind allerdings davon überzeugt, dass sich die moderne, aufgeklärte Welt zwar auch mit Hilfe vieler christlicher Menschen, vor allem aber gegen den Widerstand der Kirche entwickelt hat.

Besonders fragwürdig ist, wie der Papst im Bundestag zu belegen versuchte, dass die Normen unserer Gesellschaft letztlich ebenfalls auf den Schöpfergott zurückgehen. Er wies dazu auf die Erkenntnis des Apostels Paulus hin, dass auch Heiden, die das jüdische Gesetz nicht kennen, manchmal von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist. Nach Paulus zeigen sie so, dass ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist. Von wem? Wie der Papst diese Frage beantworten würde, ist klar.

Naturwissenschaftlicher, die das Sozialverhalten des Menschen untersuchen, kommen zwar auch zu dem Schluss, dass Verhaltensweisen, die über verschiedene Kulturkreise hinweg zu beobachten sind, mit der menschlichen Natur selbst zu tun haben dürften. Diese allerdings gilt als Produkt der Evolution, als Folge einer Reihe von Anpassungen an die Umwelt inklusive des sozialen Umfelds.

Auch Verhaltensweisen, die "moralische" Fragen betreffen, gehören offenbar dazu. Das Gebot "Du sollst nicht töten" zum Beispiel hat sich während des Entwicklungsprozesses des Menschen als vorteilhafte Strategie bewährt. Es handelt sich um eine Strategie, die je nach den Umständen eingesetzt werden kann, wie nicht zuletzt gerade die Geschichte der katholischen Kirche belegt. Man denke nur an die Religionskriege in Europa.

Der Papst hat sich die Erkenntnisse der Naturwissenschaftler allerdings nicht zu eigen gemacht. Im Deutschen Bundestag trat er stattdessen erneut als Kritiker eines sogenannten positivistischen Verständnisses von Vernunft auf. "Wenn man die Natur als ein 'Aggregat von als Ursache und Wirkung miteinander verbundenen Seinstatsachen' ansieht, dann kann aus ihr [...] keine irgendwie geartete ethische Weisung hervorgehen", zitiert er den Rechtswissenschaftler Hans Kelsen. Normen, so fährt er fort, könnten nur aus dem Willen kommen. "Die Natur könnte folglich Normen nur enthalten, wenn ein Wille diese Normen in sie hineingelegt hat. Dies wiederum würde einen Schöpfergott voraussetzen, dessen Wille in die Natur miteingegangen ist."

Was der Papst hier beschreibt, ist die vatikanische Variante des Intelligent Design, derzufolge die Entstehung der Welt und die Entwicklung der Natur letztlich nur dazu gedient haben, den Menschen als Ebenbild Gottes hervorzubringen.

Man mag sich ja daran stören, dass der Begriff Ethik und Moral auch im Zusammenhang mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen verwendet wird. Vertreter von Religion, Philosophie und Rechtswissenschaften sollten jedoch zur Kenntnis nehmen, dass Verhaltensweisen, die dort als ethisch oder moralisch beurteilt werden, sich der naturwissenschaftlichen Forschung durchaus nicht entziehen.

Und sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass die Existenz "ethischen" Verhaltens eben nicht zwingend einen Schöpfergott voraussetzt, genauso wenig wie die die Fähigkeit, rational zu denken oder die Existenz des Menschen und der Erde und des Kosmos überhaupt.

Letztlich bedeutet diese Erkenntnis auch: Wir brauchen keinen Glauben an Gott, um Menschenwürde und Gleichberechtigung für ein höchstes Gut zu halten. Und selbst wenn die positivistische Vernunft über das Funktionieren hinaus nichts wahrnehmen könnte, wie der Papst behauptet, bliebe sein eigener Glaube eben nur ein Glaube daran, dass "wir in dieser selbstgemachten Welt im stillen doch aus den Vorräten Gottes schöpfen, die wir zu unseren Produkten umgestalten".

Der Papst als Grüner?

Schließlich, so berichteten verschiedene Medien, trat Benedikt im Bundestag auch noch als Grüner auf: "Wir müssen auf die Sprache der Natur hören und entsprechend antworten", erklärte er zur Freude vieler Umweltschützer. Damit empfahl Benedikt allerdings nicht nur die Vermeidung von Umweltzerstörung.

Vielmehr kam er von hier aus schnell auf die Natur des Menschen zu sprechen. Redet ein Papst allerdings von der Natur des Menschen, steht dahinter das Menschenbild der katholischen Kirche und die Vorstellung des christlichen Naturrechts. Und der Angriff des Papstes auf den Positivismus diente ihm während seiner Rede schließlich eindeutig zur Verteidigung dieses Naturrechts, was den meisten Zuhörern möglicherweise allerdings nicht aufgefallen ist.

Mit anderen Worten: Der Papst hat den Abgeordneten erklärt, dass Recht, Gerechtigkeit und das Gute überhaupt sich über Gottes Normen erklären lassen, die dieser der Natur hineingelegt hat. Und dem Naturrecht im Sinne des Vatikans zufolge gehört zu diesen Normen zum Beispiel auch, dass homosexuelle Handlungen als widernatürlich abgelehnt werden. Auch die Ehe als Verbindung eines Mannes und einer Frau sind ein Teil des Naturrechts.

Den Abgeordneten im Deutschen Bundestag ist dies offenbar entgangen. So würdigte Volker Beck von den Grünen, dass der Papst Hinweise auf die Sexualität unterlassen hätte. Die Hinweise waren da - Beck hat sie nur nicht bemerkt.

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