Ozonloch:Wie der Himmel ein Loch bekam

Vor 25 Jahren entdeckten Forscher, dass die Ozonschicht schrumpft. Die Geschichte einer Rettungsaktion.

Alexander Stirn

Ozonloch? Blödsinn! Jonathan Shanklin, ein junger Physiker am britischen Polarforschungszentrum in Cambridge, glaubte nicht an die Horrorszenarien, die Englands Zeitungen Anfang der 1980er Jahre ausmalten.

Ozonloch KNMI/Esa

Im Oktober 2008 hatte das Ozonloch über dem Südpol eine Ausdehnung von 27 Millionen Quadratkilometern. Trotz der bisherigen Schutzmaßnahmen wird es sich wohl frühestens im Jahr 2050 geschlossen haben.

(Foto: Foto: KNMI/Esa)

Täglich hatte er mit Ozonmesswerten zu tun, und großartige Änderungen waren ihm nie aufgefallen. Deshalb druckte Shanklin, als er 1983 einen Tag der offenen Tür am Institut organisieren musste, einfach ein paar Messkurven aus. Sie sollten die Besucher davon überzeugen, dass mit der Ozonschicht alles in Ordnung ist.

Doch die Diagramme bewirkten das Gegenteil - und zwar bei Shanklin selbst: Ein gründlicher Blick auf die Daten und einige angeregte Diskussionen brachten den Forscher ins Grübeln. Zwei Jahre später, am 16. Mai 1985, veröffentlichte er zusammen mit Kollegen einen bahnbrechenden Aufsatz im Fachblatt Nature. Darin belegten die Forscher, dass es bei der Ozonschicht tatsächlich ein ernstes Problem gab.

Ohne es zu wollen hatte Shanklin das Ozonloch entdeckt. Angst und Schrecken in der Bevölkerung waren die Folge, aber auch ein Bewusstseinswandel: In kurzer Zeit wurden Shanklins Erkenntnisse zum Symbol für die Zerstörung der Erde durch den Menschen - und zum Ausgangspunkt der bislang größten und erfolgreichsten Rettungsaktion.

"Wie bei vielen wissenschaftlichen Entdeckungen hat Glück auch bei uns eine wichtige Rolle gespielt", sagt Shanklin heute. Zu Beginn der 1980er Jahre war er dafür verantwortlich, manuelle Ozonmessdaten des British Antarctic Survey von einem Computerprogramm auswerten zu lassen.

Doch alles dauerte länger als geplant; die historischen Daten, die eingegeben werden mussten, begannen sich zu stapeln. "Durch Zufall war darunter das entscheidende Jahrzehnt, in dem die Ozonwerte zu sinken begannen", erinnert sich Shanklin in der aktuellen Ausgabe von Nature.

Gedanken beim Rasieren

Dass die Ozonschicht in Gefahr sein könnte, hatten die - später mit dem Nobelpreis geehrten - Chemiker Mario Molina und Sherwood Rowland bereits zehn Jahre zuvor prognostiziert. Damals fragte sich Molina beim Rasieren, so die Legende, wie sich das Treibgas seiner Rasierschaumdose auf die Umwelt auswirken könnte.

Nach intensiven Untersuchungen kam das Duo zu einem besorgniserregenden Schluss: Industriell hergestellte Chlorverbindungen, die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), haben das Potential, die Ozonschicht empfindlich zu schädigen. Was Molina damals allerdings fehlte, waren verlässliche Daten aus der Atmosphäre.

Die lagen in Shanklins Stapel. Der Brite kramte mit seinen Kollegen Joseph Farman und Brian Gardiner die Ozonmesswerte 1957 bis 1984 hervor. Er bildete jeweils den Mittelwert für Oktober und presste die Daten zusammen mit der zugehörigen FCKW-Konzentration in ein Diagramm.

Die Achse der Ozonmesswerte ließ er (anstatt wie üblich bei null) bei 170 Einheiten beginnen, die Achse der FCKW-Daten drehte er und streckte sie so lange, bis Ozon- und Chlormessungen scheinbar perfekt übereinander lagen. "Ich war etwas überrascht, dass wir damit bei der Veröffentlichung durchgekommen sind", sagt Shanklin heute.

Das so produzierte Bild schockierte die Fachwelt. Es zeigte nicht nur einen scharfen Rückgang der Ozonkonzentration seit Mitte der 1970er Jahre, es machte auch den FCKW-Ausstoß dafür verantwortlich.

Eilig begann die US-Weltraumbehörde Nasa, ihre Satellitendaten der vergangenen Jahre, die keinerlei Änderung der Ozonschicht registriert hatten, erneut auszuwerten. Und sie musste eingestehen: Ein automatischer Algorithmus hatte die verräterischen Daten aussortiert - weil sie so niedrig waren, dass der Computer sie für Messfehler gehalten hatte. Nun zeigte sich: Die Ozonkonzentration über der Antarktis war von 1975 bis 1985 um 40 Prozent gesunken.

Lachgas als neue Gefahr

Geschockt reagierte auch die Öffentlichkeit. In einer Zeit steigenden Umweltbewusstseins, in der die Menschen gerade das Waldsterben verkraften mussten, schürte die Nachricht eines "Ozonlochs" neue Ängste - allen voran vor Hautkrebs. Im Normalfall wirkt Ozon wie ein natürlicher Sonnenschutz.

Seine Moleküle, die aus drei Sauerstoffatomen zusammengesetzt sind, absorbieren in 15 bis 25 Kilometern Höhe mehr als 90 Prozent der schädlichen UV-B-Strahlung. Schon ein geringer Rückgang hat verheerende Folgen: Nimmt die Ozonkonzentration in der Stratosphäre um zehn Prozent ab, steigt die UV-B-Belastung am Boden um die Hälfte. Mit weltweit 250.000 zusätzlichen Hautkrebsfällen pro Jahr müsse man rechnen, so damalige Prognosen.

"Ein Science-Fiction- Märchen"

Die Produzenten der Ozonkiller, die zu jener Zeit als Treibgase in Spraydosen, als Kühlmittel in Gefrierschränken, als Feuerlöschmittel oder im Schaum für Verpackungen eingesetzt wurden, interessierte das nicht sonderlich. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Chemiefirma DuPont wird sogar mit den Worten zitiert, die Theorie von der Zerstörung der Ozonschicht sei "ein Science-Fiction- Märchen, ein Haufen Unfug, kompletter Schwachsinn".

Politiker mochten der Propaganda der Lobbyisten jedoch nicht folgen. Am 16. September 1987, nur zwei Jahre nach Shanklins Veröffentlichung, unterzeichneten 47 Staaten das Protokoll von Montreal. Es legte fest, dass fünf besonders gefährliche Fluorchlorkohlenwasserstoffe spätestens 1996 nicht mehr produziert und eingesetzt werden durften.

Später wurden weitere chlor- und bromhaltige Chemikalien auf die Verbotsliste gesetzt. 196 Staaten haben den Vertrag mittlerweile ratifiziert. Kofi Annan, der frühere UN-Generalsekretär, bezeichnete ihn als das "vielleicht erfolgreichste internationale Abkommen aller Zeiten".

Es scheint zu wirken. Zwar öffnet sich das Ozonloch über der Antarktis noch jeden September - im vergangenen Jahr war es (abhängig vom Wetter über dem Südpol) 24 Millionen Quadratkilometer groß. Über Nordeuropa hat die Ozonkonzentration hingegen kontinuierlich zugelegt: Seit Mitte der 1990er Jahre ist sie um 0,2 Prozent pro Jahr gestiegen. Als größten Verdienst von Montreal sehen Forscher aber die sinkenden Chlor- und Bromwerte in der Stratosphäre. Ihre Konzentration hat vor zehn Jahren den Höhepunkt überschritten.

Bis sich die Ozonschicht komplett erholt, wird aber noch Zeit vergehen. Frühestens 2050 könnte es so weit sein. Shanklin nimmt an, es werde bis 2080 dauern. Grund für die lange Wartezeit: FCKW sind äußerst langlebig. Zudem erwächst der Ozonschicht gerade eine neue Gefahr. Während die Temperaturen auf der Erde in die Höhe schnellen, beschert der Klimawandel oberen Schichten der Atmosphäre kühlere Tage. Und Kälte, besonders eine Temperatur unter minus 78Grad Celsius, ist der Feind des Ozons.

Keine schnelle Lösung beim Klimaschutz

Beim Klimaschutz ist jedoch keine schnelle Lösung in Sicht - anders als damals beim Ozon: "Die Öffentlichkeit wollte, dass bald etwas passiert. Die Beweise waren stark und eindeutig, das Ozonloch klang bedrohlich, die Verbindung zum Hautkrebs war unübersehbar", sagt Shanklin. Gleichzeitig konnte die Industrie nach anfänglichem Widerstand einen Ersatz für ihre Ozonkiller auftreiben - und auch daran gut verdienen. Niemand musste sich einschränken, niemand fühlte sich in seinem Lebensstil bedroht.

"Beim Klimawandel sieht das heute anders aus", sagt Jonathan Shanklin. "Die Menschen haben das Gefühl, die Zivilisation geht zugrunde, wenn sie nicht auf Autos verzichten und ihr Leben radikal umstellen. Kein Wunder, dass Irritationen und Widerstände groß sind."

Doch auch aus einem anderen Grund ist die Ozonschicht - trotz Alternativen zum FCKW, trotz Montreal, trotz eindeutiger Beweise - noch nicht gerettet. In den vergangenen Jahren haben Atmosphärenforscher einen neuen Widersacher des irdischen Sonnenschutzes ausgemacht: Lachgas.

Der farblose Stoff setzt in der Stratosphäre unweigerlich eine Kettenreaktion in Gang, die zum raschen Abbau von Ozon führt. Und er tritt immer öfter in Aktion: Zum wichtigsten Erzeuger von Lachgas hat sich in jüngster Zeit die industrielle Landwirtschaft mit ihren Verbrennungs- und Kläranlagen, vor allem aber mit ihrem extrem hohen Einsatz von stickstoffhaltigen Düngern entwickelt.

Für die bislang einmalige Erfolgsgeschichte vom Schutz der Ozonschicht könnte das zum Problem werden: Verglichen mit Spraydosen und Kühlmitteln ist die Landwirtschaft ein ungleich härterer Brocken. Sie lässt sich nicht so kostengünstig umstellen oder einfach verbieten.

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