Ornithologie:Nest in bester Lage

Ornithologie: Vögel vergleichen oft monatelang, bis sie eine Nisthöhle wählen.

Vögel vergleichen oft monatelang, bis sie eine Nisthöhle wählen.

(Foto: imago stock&people)

Wenn sich Vögel auf die Suche nach einem Nistplatz machen, verhalten sie sich wie Menschen auf der Jagd nach einer Immobilie. Die Lage des Nestes muss stimmen, und vor allem die Nachbarschaft muss den Tieren gefallen. Schließlich will man keine Chaoten nebenan haben.

Von Katrin Blawat

Vögel stehen bei der Wohnungssuche vor der gleichen Herausforderung wie Menschen - vor allem, wenn wegen des erwarteten Nachwuchses ein neues Zuhause her muss: Sie müssen rechtzeitig ein familientaugliches Heim in einer passenden Nachbarschaft finden, die den Kleinen gute Startmöglichkeiten bietet. Doch weil für Meisen und Co. Mietspiegel und Makler-Exposé als Informationsquelle nicht infrage kommen, müssen Vögel auf anderen Wegen Erkundigungen einholen - zum Beispiel bei ihren künftigen Nachbarn. Für Meisen, Trauerschnäpper und viele andere Vogelarten bedeutet Wohnungssuche vor allem, die übrigen Bewohner des anvisierten Sprengels genau unter die Lupe zu nehmen: Ticken sie ähnlich wie man selbst? Oder gehören die potenziellen Nachbarn zum zurückhaltenden Typ, während man selbst als Krachmacher gilt? In diesem Fall würde ein Kohlmeisen-Männchen weitersuchen, denn die passende Nachbarschaft geht ihm über alles (Animal Behaviour, online).

Laute und aggressive Tiere bevorzugen es, wenn weitere Krawallmacher in der Nähe sind

Über sechs Jahre beobachteten Biologen um Katerina Johnson von der University of Oxford wild lebende Kohlmeisen in der Grafschaft Oxfordshire. Schnell zeigte sich dabei das wichtigste Kriterium der Männchen für ihre Reviersuche: ähnliche Persönlichkeiten in der Umgebung. Unerschrockene, eher aggressive und erkundungsfreudige Männchen suchten die Nähe zu ihresgleichen, sodass sich Nachbarschaften mit Krawall-Potenzial bildeten. In anderen Sprengeln ließen sich überwiegend zurückhaltende Männchen nieder.

Wie erfolgreich die Nachbarn ihren Nachwuchs aufziehen, ist ein weiteres wichtiges Kriterium für die Wohnungssuche. Schließlich lässt es auch für die eigenen Jungen hoffen, wenn viele Küken der umliegenden Bewohner die ersten kritischen Wochen überstehen. Aus der Ferne kann man das allerdings nicht beurteilen. Also gucken die Vögel auf Nistplatzsuche immer wieder bei ihren potenziellen Nachbarn vorbei, um sich über das Schicksal der fremden Jungen auf dem Laufenden zu halten. Nach dem Motto "Von den Besten lernen" erhalten Nester mit vielen Jungtieren besondere Aufmerksamkeit, wie Wiebke Schütt von der Uni Hamburg mit Kollegen in einer kürzlich veröffentlichten Studie gezeigt hat (Oecologia, online).

Im finnischen Turku beobachteten die Biologen das Geschehen rund um 87 Nistboxen, die von Trauerschnäppern genutzt wurden. Das sind kleine, ziehende Singvögel, denen im Norden nicht viel Zeit zum Brüten und Aufziehen der Jungen bleibt. Wer im Frühjahr erst noch lange nach einem passenden Zuhause suchen muss, vergeudet wertvolle Zeit. Daher lohnt es sich für die Trauerschnäpper, sich bereits im Voraus nach einem geeigneten Nistplatz für die kommende Saison umzusehen. Das ist wörtlich zu verstehen: Immer wieder unternahmen die Vögel Erkundungstouren zu Nestern mit bereits geschlüpften Jungtieren. Vor allem interessierten sich die Kundschafter für Nistboxen mit zahlreichem Nachwuchs, wie Schütt und ihre Kollegen belegten. Kurz nachdem die Küken geschlüpft waren, setzten die Biologen einige Jungtiere in andere Nester um, sodass es Nistboxen mit nur wenigen, andere mit besonders vielen Nachkommen gab. Letztere zogen auch mehr Kundschafter an. Offenbar messen Trauerschnäpper die Güte eines Nistplatzes an dem dort beobachteten Reproduktionserfolg, so die Autoren.

Dabei gingen die Trauerschnäpper sorgfältig vor und besuchten die Nester mehrfach. "Vielleicht um zu überprüfen, ob die zuvor gesammelten Informationen noch stimmen", sagt Schütt. Ein Nistplatz, an dem viele Jungtiere schlüpfen, erscheint vielversprechend. Wenn es dann aber nur wenige Küken bis zur Flugfähigkeit schaffen, dürfte dieser Nistplatz auf dem Ranking um einige Punkte absteigen.

Dieses Prospektieren - die Wohnungssuche mittels Auskundschaften des nachbarlichen Familienlebens - ist im Tierreich weit verbreitet. Auch Eidechsen, manche Fische und Säugetiere zeigen dieses Verhalten, am besten untersucht ist es jedoch bei Vögeln. Sie nutzen manchmal sogar Informationen aus dem Familienleben anderer Arten als Entscheidungshilfe. So haben Studien gezeigt, dass Fliegenschnäpper auch die Nester von Meisen besuchen. Weniger gut belegt ist, wann die Vögel die Informationen nutzen. "Wir vermuten, dass sie im nächsten Jahr darauf zurückgreifen", sagt Schütt. Das legt erstaunliche kognitive Fähigkeiten der Vögel nahe. Schließlich müssten sie sich die Güte eines Nistplatzes über ein Jahr merken und ein Mengenverständnis haben, um Nester mit wenigen Nachkommen von solchen mit vielen unterscheiden zu können.

Doch sind die kognitiven Ressourcen dafür gut investiert, denn die sozialen Informationen bieten große Vorteile. "Um sie zu erhalten, muss man selbst nichts machen außer beobachten", sagt Schütt. Aufwand und Risiken sind gering, der mögliche Nutzen dagegen fällt groß aus - vor allem für junge Tiere. Noch unveröffentlichten Daten der Hamburger Biologin zufolge stecken bei Dohlen vor allem die unerfahrenen Tiere viel Zeit ins Auskundschaften fremder Nester - vermutlich, weil sie die dort gewonnenen Informationen nötiger brauchen als Artgenossen mit eigener Brut-Erfahrung.

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