Ölkatastrophe im Golf von Mexiko:Tödliche Schwaden

Im Golf von Mexiko verteilt sich das ausströmende Öl auf eine neue Weise. Während es sonst auf der Wasseroberfläche schwimmt, haben sich hier Ölschwaden unter Wasser gebildet. Das gesamte Leben im Meer ist bedroht.

Christopher Schrader

Es ist, als ob die Physik im Golf von Mexiko gerade Pause macht. Viele Millionen Liter Erdöl sind dort in 1,5 Kilometern Tiefe ins Wasser geflossen, seit der Ölkonzern BP die Kontrolle über seine Bohrung im Macondo-Feld verloren hat.

Gulf Coast Struggles With Oil Spill And Its Economic Costs

"Chocolate mousse", also Schokoladenpudding, nennen Experten die braune Creme, in die sich ausgetretenes Rohöl im Meerwasser nach einiger Zeit verwandelt. Sie schwappt seit Tagen zwischen den Wurzeln der Pflanzen an der ökologisch sensiblen Golfküste von Louisiana.

(Foto: afp)

"Nach allen Gesetzen der Physik muss das Öl nach oben steigen", sagt Edward Overton, Umweltchemiker von der Louisiana State University im Magazin Science. Das hat es im Meer vor Louisiana zwar getan, Satelliten zeigen schließlich Bilder von dem Ölteppich.

Aber es ist viel zu wenig oben angekommen, darum fragen sich viele amerikanische Forscher und Medien, wo der Großteil des Öls bleibt, warum sein Aufstieg verzögert wurde.

Beim Kampf gegen die Verschmutzung habe sich "eine neue und alarmierende Front" aufgetan, sagt Jeffrey Short von der Umweltorganisation Oceana, der als Chemiker bei der amerikanischen Meeres- und Wetterbehörde NOAA 1989 schon die Folgen des Exxon-Valdez-Unglücks in Alaska untersucht hatte.

Damals und bei allen bisherigen Fällen von Ölverschmutzung hatten darunter vor allem die Oberfläche und die Küste zu leiden. Diesmal sei aber auch die wissenschaftliche Gemeinde überrascht worden, sagt Short: Offenbar haben sich gewaltige Schwaden von Öl unter der Oberfläche gebildet.

"Es könnte also große Folgen für die Lebensgemeinschaften mitten im Wasser und auf dem Meeresgrund geben", warnt Short.

Noch wissen die Forscher nicht genau, wie die schwebenden Ölwolken entstanden sind. Dazu könnten die Bindemittel beigetragen haben, die BP und Küstenwache über und unter Wasser versprüht haben. Die Chemikalien sollten das Öl umschließen und versinken lassen.

Offenbar haben aber natürliche Prozesse dazu beigetragen, dass sich in der Tiefsee winzige Öltröpfchen bildeten, die aufgrund ihrer Oberflächenbeschaffenheit dem Auftrieb widerstehen. Edward Overton hat das unter großem Druck ausströmende Erdgas in Verdacht: "Es könnte das Öl in kleine Partikel zerstäubt haben."

Auf der Suche nach den Ölwolken unter Wasser fährt Samantha Joye von der University of Georgia seit Tagen auf dem Golf herum. Von Bord des Motorschiffs Walton Smith nimmt sie Proben, um die Eigenschaften des schwebenden Ölfilms zu bestimmen.

Die Schwaden verändern ihre Form ständig, berichtet sie in ihrem Blog. Bisher war das Öl meist so stark verdünnt, dass man mehrere Gallonen (zu jeweils etwa vier Litern) Meerwasser durch einen Filter gießen musste, um ein paar Tröpfchen davon zu sehen.

Am vergangenen Sonntag aber schrieb Joye: "Das hat sich heute geändert, wir haben das Öl im tiefen Wasser gesehen." Auch ihre Messgeräte zeigten extrem hohe Werte.

"Wir vermuten, dass es sich hier um einen jungen Schwaden handelt. Die Mikroorganismen hatten noch keine Zeit, das Öl zu verdauen." Darum war auch der Sauerstoffgehalt des Wassers dort nicht stark reduziert.

"Wir wissen noch nicht, ob das zu einem großen Problem wird"

Das nämlich ist die größte Sorge der Meeresforscher: Wenn Bakterien das in kleine Tröpfchen zerschlagene Öl als Futterquelle entdecken, verzehren sie es unter Verbrauch von Sauerstoff. Für die anderen Bewohner des Meeres ist das gefährlich, sie könnten ersticken.

"Wir wissen noch nicht, ob das zu einem großen Problem wird", so Joye. "Der Sauerstoffgehalt ist erniedrigt, aber noch nicht auf gefährlich niedrigem Niveau. Wenn er unter zwei Milligramm pro Liter fällt, fliehen die Tiere, die es noch können."

Kommen dabei aber viele Meeresbewohner um, fürchtet Jeffrey Short, verstärkt sich der Effekt. "Ihre Körper sinken zu Boden, wo der Abbau durch Bakterien den Sauerstoffverlust noch verstärkt."

"Wir haben keine Ahnung, was da passiert"

Eine weitere Unbekannte ist die sogenannte tote Zone vor der Mississippi-Mündung. Dort schwemmt der Fluss so viele Nährstoffe ins Meer, dass es regelmäßig im Frühjahr zu einer Algenblüte kommt. Wenn die Einzeller absterben und zu Boden sinken, stürzen sich Bakterien darauf und verbrauchen den Sauerstoff.

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Arbeiter von BP versuchen, das Marschland an der Küste Louisianas vom Öl zu befreien.

(Foto: AFP)

Da Öl und Algen also den gleichen Effekt auslösen, könnte sich ihre Wirkung in der toten Zone gegenseitig verstärken - aber auch abschwächen, falls der Ölfilm auf dem Wasser die Blüte der Einzeller behindert.

"Im Augenblick haben wir keine Ahnung, was da passiert", räumt Nancy Rabalais vom Marine Consortium der Hochschulen in Louisiana ein. Ihr Geständnis bedeutet um so mehr, weil sie die tote Zone im Golf seit 25 Jahren untersucht.

Eine ähnliche Unsicherheit hat Forscher in Bezug auf soeben beginnende Hurrikansaison befallen. Die Wetterbehörde NOAA hat gerade vor intensiven Stürmen in diesem Jahr gewarnt, und Meteorologen von der Colorado State University schätzen die Wahrscheinlichkeit auf 44 Prozent, dass in den kommenden sechs Monaten ein schwerer Wirbelsturm die Golfküste trifft.

Je nachdem, wo genau er über das Wasser zieht, könnte er das Öl von der Meeresoberfläche weit über das Land peitschen.

All diese Unwägbarkeiten machen es sehr schwierig, die Reaktion der Natur vorherzusagen. Ohnehin hängt das Verhalten von Öl im Meerwasser und an den Küsten von vielen Faktoren und Details ab. "Vieles davon ist abbaubar", sagt Norbert Theobald vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg.

"Die leichtesten Bestandteile von Rohöl verdampfen auch schnell." Aus dem Rest bildet sich unter dem Einfluss der Wellen bald ein brauner Brei, den Experten chocolate mousse nennen, also Schokoladenpudding. Bilder von der Golfküste zeigen die cremige Substanz, die zwischen den Luftwurzeln der Mangroven schwappt. Dieses Ökosystem gilt als das am meisten gefährdete aller Küstenhabitate.

Die zähe braune Creme hat sich im Golf weit verbreitet. Taucher wie der Reporter Frank Pope der Londoner Zeitung The Times haben die Masse auch in zwölf Metern Tiefe schweben gesehen, wo Tiere sie leicht mit Futter verwechseln können. Die Mousse verhärte sich im Lauf der Zeit, sagt Theobald.

Zurück blieben Teerklumpen, die von Meeresströmungen weit transportiert werden. Forscher fragen sich darum, was mit dem Öl in der Ringströmung des Golfs von Mexiko passiert. Vorhersagen des Ozeanographen Robert Weisberg von der University of South Florida in St. Petersburg stimmen die Helfer zwar optimistisch, dass die Rückstände die Ferienstrände Floridas und die Keys verschonen. Dafür könnten die Klumpen hinaus in den Atlantik und mit dem Golfstrom nach Europa getragen werden.

Dort wäre das Öl in guter Gesellschaft: Unfälle wie das Ölleck im Golf oder Tankerhavarien tragen nur wenig zur Verschmutzung der Meere bei. Nach einer Schätzung der Smithsonian Institution aus dem Jahr 1995, die noch oft zitiert wird, machen beide zusammen nur acht Prozent der etwa drei Milliarden Liter Öl aus, die jährlich in Gewässer gelangen.

Wartung von Schiffen, wie das Auspumpen der Bilge, setzt mehr als doppelt so viel Öl frei, und gut die Hälfte der Verschmutzung stammt von an Land weggekipptem Motoröl. Kein Wunder also, dass Reinigungstücher der US-Marke Tar-Off, mit denen sich Füße nach Strandspaziergängen reinigen lassen, inzwischen in Europa bei E-Bay angeboten werden.

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