Ölkatastrophe im Golf von Mexiko:"Am besten nichts tun"

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Britische Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Maßnahmen gegen den Ölteppich im Golf von Mexiko der Natur eher schaden als nutzen. Ihr Rat: Das Bohrloch stopfen, das Öl eingrenzen - und abwarten.

Vielleicht wäre es besser gewesen, das aus dem Bohrloch von BP ausgetretene Öl auf hoher See einzugrenzen, ansonsten jedoch die Hände in den Schoß zu legen. Denn das Verbrennen des Öls an der Meeresoberfläche oder der Einsatz von Chemikalien könnte der Natur stärker geschadet haben als das Öl selbst.

Verschmutzte Vögel in Cat Bay nahe Grand Isle, Louisiana. Einige Experten gehen davon aus, dass viele Maßnahmen gegen die Ölverschmutzung der Natur mehr schaden als das Öl selbst. (Foto: AFP)

Sogar dort, wo das Öl die US-Küste erreicht und die sensiblen, wertvollen Ökosysteme der Salzmarschen kontaminiert hat, sollte man besser weder die verschmutzte Erde entfernen, noch auf Öl-fressende Bakterien setzen.

Das zumindest ist die Einschätzung britischer und US-Wissenschaftler. Die Experten berufen sich auf frühere Erfahrungen mit Ölkatastrophen.

"Nichtstun ist manchmal die beste Lösung ", sagte Martin Preston, Experte für maritime Verschmutzung sowie Ozeanwissenschaften an der britischen Liverpool University auf einer Konferenz in London.

Seit den 1960er Jahren hat es etwa 20 größere Unfälle gegeben, bei denen massiv Öl austrat. Die größte Ölkatastrophe, die mit dem aktuellen Fall vergleichbar ist, ereignete sich 1979 vor der mexikanischen Golfküste nach einer Explosion: Damals floss das Öl ein Dreivierteljahr lang, vermutlich traten mehr als 540 Millionen Liter aus.

Beim Exxon-Valdez-Unfall in Alaska im Jahr 1989 liefen rund 38 Millionen Liter aus. Seit Exxon Valdez seien viele Experimente gemacht worden, sagte Simon Boxall, Experte beim britischen National Oceanography Centre. Dabei hätte man sich angesehen, wie sich das Öl entwickelt, wenn man es behandelt oder wenn man es in Ruhe lässt.

"Chemisch behandelte Regionen haben am längsten gebraucht, bis sie sich erholten und weisen noch heute Schäden auf", sagte Boxall. "Die Bereiche, die einfach in Ruhe gelassen wurden, regenerierten sich deutlich schneller."

Um das Exxon-Valdez-Unglück zu managen, seien 10.000 Menschen vor Ort eingeflogen worden. Wissenschaftler fragten sich, ob die rundum entstandene "Aufräum-Stadt" nicht mehr Umweltschäden verursachte als das Öl.

Christoph Gertler von der britischen Bangor University verwies zudem auf US-Studien, die darauf hindeuteten, dass Chemikalien die Beschaffenheit von Öl derart veränderten, dass natürlich vorkommende Meeresbakterien damit nicht mehr umgehen könnten. Das Leichtöl, das im aktuellen Fall austritt, sei so beschaffen, dass es bei Erreichen der Wasseroberfläche schnell verdunste, so Simon Boxall.

US-Wissenschaftler warnten darüber hinaus, dass es für die Salzmarschen an der Küste des US-Bundesstaates Louisiana besser sein könnte, das Öl, wo es geht, abzusaugen, aber die Erde selbst nicht abzutragen. Nachdem der Tanker Amoco Cadiz 1978 vor der französischen Küste auf Grund gelaufen war, hatte man versucht, die Salzwiesen der Île Grande, einer Insel in der Bretagne, auf diese Weise vom Öl zu säubern. Fachleute vermuten, dass ausgerechnet diese Maßnahme der Grund für die langsame Erholung der Vegetation war, berichtet das Magazin New Scientist. Die nicht gereinigte Marsch von Cantel hatte sich erheblich schneller regeneriert.

Auch das Ausbringen von Nährstoffen, um das Wachstum ölfressender Bakterien zu fördern, ist nicht immer eine gute Idee. So hatte Eugene Turner von der Louisiana State University in Baton Rouge festgestellt, dass diese Maßnahme die Salzmarschen ernsthaft schädigt, wie das Fachjournal berichtet.

Und selbst die Dämme vor der Küste Louisianas, die Governor Bobby Jindal für hunderte Millionen Dollar errichten lassen will, sind unter Wissenschaftlern heftig umstritten.

Drei goldene Regeln

Es gebe drei goldene Regeln im Umgang mit Öl, erklärte Boxall in London: "Erstens: Das Öl nicht austreten lassen. Zweitens: Wenn es austritt, fang es so schnell und einfach wie möglich auf. Drittens: Auf dem offenen Meer ist es das Beste, das Öl einfach in Ruhe zu lassen. Leider sieht dies politisch immer wie eine Ausrede aus."

"Eines der Probleme mit dem Ölleck ist, dass es sich vom reinen Umweltthema zum Politikum entwickelt hat", sagte Martin Preston. "Politiker können nicht einfach nichts tun. Wenn man nun fragt, wie schlimm es ist, kommt es darauf an, aus welcher Perspektive man es betrachtet." Selbstverständlich sei der wirtschaftliche Schaden groß. Die Bewertung des Umweltschadens stehe aber noch aus.

Wie Simon Rickaby vom britischen Institute of Marine Engineering, Science and Technology laut Financial Times erklärte, ist das Öl, das derzeit im Golf von Mexiko ausstritt, "erheblich weniger problematisch als andere, schwerere Formen". Weit schlimmere Folgen hätte vermutlich ein Ölaustritt in kühlen Regionen wie der Arktis, warnen die britischen Fachleute. Dort könne es, anders als im warmen Golf, nicht verdunsten und bliebe dickflüssig.

"Die Vorstellung von Öl unter dem Eis ist furchtbar", sagte Preston der Zeitung. "Das verschafft mir Albträume." Ausgerechnet in solchen Regionen wie der Arktis wollen Länder wie die USA, Russland, Island und Dänemark jedoch nach Öl bohren.

Im Weißen Haus betrachtet man das Unglück im Golf von Mexiko im Gegensatz zu den britischen Wissenschaftlern bereits jetzt als die schlimmste Umweltkatastrophe, die die USA bislang getroffen habe. Die US-Regierung schätzt, dass täglich bis zu 60.000 Barrel (etwa 9,5 Millionen Liter) austreten. Insbesondere die eindrucksvollen Bilder von ölverschmierten Vögeln und anderen Tieren haben die Öffentlichkeit aufgeschreckt und den Handlungsdruck auf Politik und den britischen Ölkonzern BP verstärkt.

© sueddeutsche.de/Reuters/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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