Ökologische Folgen der Wiedervereinigung:Blühende Landschaften

Ökologische Folgen der Wiedervereinigung: Blick auf das Elbtal in der Sächsischen Schweiz - die Region wurde wie große Teile der DDR kurz vor der Wiedervereinigung zu einem Nationalpark

Blick auf das Elbtal in der Sächsischen Schweiz - die Region wurde wie große Teile der DDR kurz vor der Wiedervereinigung zu einem Nationalpark

(Foto: Philipp Zieger/Flickr/CC-by-ND)

Handstreichartig erklärte die letzte DDR-Regierung große Teile des Staatsgebiets zu Naturschutzreservaten. Der Kopf hinter dem Coup war Vize-Umweltminister und Systemkritiker Michael Succow. Im Interview erklärt er, warum die Natur noch heute davon profitiert.

Von natur-Autor Markus Wanzeck

Kurz nachdem ein babyblauer Trabi an uns vorbeigezuckelt ist, endet der Asphalt und beginnt eine Kopfsteinpflaster-Allee, mehr Achterbahn als Straße. Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, nordöstlich von Berlin. Am Ostzipfel des Reservats fließt die Oder. Dahinter liegt Polen. Michael Succow hat vorgeschlagen, hier einen Spaziergang zu machen. In einem Landstrich, der ist, wie er ist, weil Naturschützer die politischen Turbulenzen der Wendezeit 1989/90 für ihr Anliegen zu nutzen wussten, möglichst große Flächen Ostdeutschlands zu Naturschutzgebieten zu erklären.

Der letzte Beschluss auf der letzten Sitzung der letzten DDR-Regierung lautete: 5000 Quadratkilometer - 4,5 Prozent des Staatsgebietes - werden unter Naturschutz gestellt. Das Nationalparkprogramm war ein Coup, weltweit beispiellos. Succow war die treibende Kraft dahinter. Er empfängt uns im urigen Häuschen seiner Tochter, schenkt Apfelsaft ein, selbstgepresst, aus Fallobst. Im Garten stehen gedeckte Tische, am Nachmittag wird hier der Vorstand seiner Stiftung tagen. Ein paar Stunden aber bleiben noch. Und wenn jemand versteht, Zeitfenster meisterhaft zu nutzen, dann Michael Succow. Er greift nach seinem Feldstecher, nach dem Hut. Ein letzter Schluck Saft, dann brechen wir auf zum "Faulen Ort".

Aus natur 10/2014

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  • natur 10/2014

    Der Text stammt aus der Oktober-Ausgabe von natur, dem Magazin für Natur, Umwelt und nachhaltiges Leben. Er erscheint hier in einer Kooperation. Mehr aktuelle Themen aus dem Heft 09/2014 auf natur.de...

natur: Herr Succow, warum haben Sie uns zum Spazierengehen an einen Ort mit einem so wenig einladenden Namen gebeten?

Michael Succow: Der Faule Ort ist ein Urwald, wie es ihn in Deutschland kein zweites Mal gibt. Seit in den 1860er Jahren die Eisenbahnlinie von Berlin nach Greifswald und Stettin ausgebaut wurde, hat man diesen Wald nicht mehr angetastet. Denn darin liegen mächtige Quellmoore, die ihn für die Nutzung untauglich machten. Ein Glücksfall! Uns steht ein spannender Fußmarsch bevor. Was man schon hier, von der Straße aus, sieht, ist Wald, der seit 25 Jahren befriedet, also aus der Nutzung entlassen ist. So, hier gehen wir rein. Diesem alten Weg folgen wir eine Weile. Das ist Teil des ehemaligen Staatsjagdgebietes des Genossen Mielke, der uns als Chef der DDR-Staatssicherheit alle "liebhatte". Dieses Gebiet wurde zum Ende der DDR Teil eines Biosphärenreservates von 125  000 Hektar - etwa der Größe Berlins.

Ökologische Folgen der Wiedervereinigung: Michael Succow in seinem Haus in Brandenburg

Michael Succow in seinem Haus in Brandenburg

(Foto: Sascha Montag / Zeitenspiegel)

Sie sprechen im Passiv. Dabei hatten Sie ja einen gewissen Anteil daran, dass es so gekommen ist.

Ja, also ... (er lacht kurz) Das lag mir sehr am Herzen. Ich bin in dieser Landschaft aufgewachsen. Die Höfe väterlicherseits lagen in der Uckermark. Das ist meine Heimat. Als die Wende kam, sahen wir zwei große Felder, die zu beackern waren: Teile der Natur völlig aus der Nutzung zu nehmen - das Konzept der Nationalparks; und andere Gebiete in Unesco-Biosphärenreservate umzuwandeln, in denen traditionelle Kulturlandschaft bewahrt und ökologische Landnutzung angestrebt wird. All das sahen wir durch den zurückkehrenden Kapitalismus mit seiner, ja, Logik des Verdrängungswettbewerbes gefährdet. Die Wendezeit hat uns da vieles, vieles ermöglicht. Dazu später mehr. Nun schaut euch erst einmal diesen wunderbaren Wald an! Werdende Wildnis!

Nach einigen Minuten verlassen wir den Weg, stapfen durchs Unterholz, jeder Schritt ein Knacken. Mit den Armen schieben wir, scheibenwischergleich, Äste aus dem Gesicht.

Seht mal! Holunder, viel, viel Holunder. Den dürfte es gar nicht geben! In einem Rotbuchenwald! Das liegt daran, dass hier in der Nähe die größte Schweinemastanlage der DDR war, aus der enorme Mengen Ammoniak entwichen. Die Anlage wurde 1990 stillgelegt, aber die Lehmböden halten die Nährstoffe noch immer. Das wird sich geben. Der Holunder wird weichen. Die Buche setzt sich durch. Ganz natürlich. Die deutschen Wälder sähen ganz anders aus, wenn man sie ließe.

Buchen würden alle anderen Bäume verdrängen?

Buchen würden dominieren - aber andere Baumarten nicht völlig verdrängen, wie viele annehmen. Das werden wir gleich sehen, wenn wir den werdenden Urwald erreichen. Dort gibt es Winter- und Sommerlinden, hoch gewachsen. Bergulmen und Flatterulmen. Feldahorn, Spitzahorn. Bergahorn. Auch die wunderbare Elsbeere. Wenn ein alter Baum wegbricht, ergreifen Vogelkirschen von der Lichtung Besitz. In diesem Wald gibt es mehr als 15 Baumarten. Und eine unglaubliche Tiervielfalt, vom Schwarzspecht über den Mittelspecht bis hin zum Weißrückenspecht. Dazu alle Eulenarten. Das kann sich ein deutscher Förster gar nicht mehr vorstellen.

Wenn man sich hier umsieht, kommt einem die Wende wie ein großer Glücksfall für die Natur vor.

Nicht nur hier. Fast überall in Ostdeutschland, und in vielfältiger Weise: Die großen Flächen relativ unberührter Natur in den Staatsjagdgebieten, die aus den Fängen privilegierter DDR-Funktionäre befreit wurden - und eben nicht direkt in andere Privathände übergingen. Die marode DDR-Industrie, die in großen Teilen stillgelegt wurde. Auch fast alle industriemäßigen Tierproduktionsanlagen wurden im Frühjahr 1990 abgewickelt, binnen Wochen. Meine Freude darüber war allerdings nur von kurzer Dauer. Auf der ersten Reise nach Nordwestdeutschland sah ich, dass dort eine ebenso abscheuliche Massentierhaltung entstanden war.

Wie fällt die Ökobilanz der Wende für Westdeutschland aus?

Im Osten waren die positiven Veränderungen viel unmittelbarer spürbar. Aber auch die Natur in den 'alten Bundesländern' hat von der Wiedervereinigung profitiert. Auf meinen Bahnfahrten nach München oder durchs Ruhrgebiet fiel mir damals auf, wie leer der Himmel war. Hier mal ein Mäusebussard, da mal zwei Turmfalken. Das lag an der intensiv genutzten Agrarlandschaft. Bei uns im Osten konnte man überall Milane sehen, auch Rohrweihen. Die Schluderwirtschaft des Sozialismus hatte ihnen Nischen gelassen. Heute gibt es solche Nischen auch in den westlichen Bundesländern wieder. Es entsteht ein Bewusstsein für den Wert von Wildnis.

Eine Folge der Wiedervereinigung?

Zum Teil sicherlich. Unzählige Natur- und Umweltschützer reisten in den Osten, erlebten die neu geschaffenen Großschutzgebiete mit ihrem Naturreichtum. Das hat etwas bewirkt. Und die Idee der Biosphärenreservate ist ganz direkt von Ost nach West übergesprungen. Das BRD-Umweltministerium fand an dieser Idee so großen Gefallen, dass neben dem Reservat Schorfheide-Chorin noch im Jahr der Wiedervereinigung auch Reservate auf westdeutschem Boden entstanden.

"Die Erderwärmung wird schneller kommen als viele denken. Das ist unsere Schicksalsfrage"

Ökologische Folgen der Wiedervereinigung: Michael Succow (rechts) war Vize-Umweltminister der DDR zur Wendezeit

Michael Succow (rechts) war Vize-Umweltminister der DDR zur Wendezeit

(Foto: Sascha Montag / Zeitenspiegel)

Das laute Knacken unter unseren Füßen wird von einem noch lauteren Zwitschern übertönt.

Ah, ein Rotkelchen! Irgendwo sitzt es da und singt vor sich hin, obgleich die Brutsaison zu Ende ist. Einfach aus Freude. So, und nun sind wir an der Grenze. Hinter diesem alten Graben beginnt der Urwald. Schaut nur: Hainbuchen. Selbst als Brennholz sind die kaum geeignet, deshalb werden sie als "Forstunkraut" angesehen und überall liquidiert. In Deutschland vielerorts ausgestorben. Und da, diese Rotbuche! So groß können die werden!

Der Fotograf greift nach seiner Kamera, bringt sich in Position.

Nicht fotografieren!

Der Fotograf lässt verdutzt die Kamera sinken.

Da kommen noch viel größere! Und schönere, ältere!

Noch größere? Diese Buchen sind ja schon riesig.

So etwas habt ihr noch nicht gesehen, was? Das liegt daran, dass es in Deutschland keinen wirklich naturbelassenen Rotbuchenwald mehr zu besichtigen gibt. Neben dem Faulen Ort kommen in Ostdeutschland im Grunde nur noch drei Gebiete einem Urwald recht nahe: der Elisenhain bei Greifswald, die Insel Vilm bei Rügen und die Heiligen Hallen in der Mecklenburgischen Seenplatte. Die heißen so, weil der Anblick des hoch aufragenden Buchenwaldes den Großherzog von Mecklenburg-Strelitz so beeindruckte, dass er ihn zum Heiligtum erklärte, aus religiöser Ergriffenheit. Das war in der Zeit der Romantik, Mitte des 19. Jahrhunderts.

Können Sie dieses Gefühl nachvollziehen? In der Öffentlichkeit sind Sie als "Naturschutzpapst" bekannt - ein durchaus religiös angehauchter Ehrentitel.

Ja und nein. Das mag an der Prägung durch mein Elternhaus liegen. Meine Mutter war tief religiös. Mein Vater dagegen hatte als aufgeklärter Mensch eher ein gestörtes Verhältnis zu den Pfarrern. Sie wollte, dass ich Theologie studiere. Er sagte, der Bengel muss etwas Vernünftiges lernen - Landwirtschaft! Ein Kompromiss war gefragt. Da ich als Kind Schafe hütete, naturverbunden war, hab' ich meine Mutter mit einem Freund bekannt gemacht: Lebrecht Jeschke, Doktor der Biologie ...

... mit dem zusammen Sie später, zur Wendezeit, das Nationalparkprogramm der DDR umsetzten.

Ob man mit einem Biologiestudium Geld verdienen könne, fragte meine Mutter. Freund Jeschke bejahte.

Der Kelch der Theologie ging an Ihnen vorüber.

An einen persönlichen Gott kann ich nicht glauben. Aber dieses Wunderwerk der Evolution ... das sich fortwährend weiter optimiert ... das kann man schon als göttliches Werk bezeichnen. Ich würde sagen, ich bin ein spiritueller Mensch. Das geht wohl allen so, die sich mit dem Wunder der Natur tiefer beschäftigen. Denen ist auch klar, dass wir uns nicht immer weiter von ihr entfernen können, ohne die Zukunft unserer Zivilisation zu riskieren. Würden die Menschen den Wert und die Spielregeln der Natur erkennen, sie würden alles daransetzen, sie zu bewahren. Stattdessen verbraucht die Menschheit in kürzester Zeit blindwütig den fossilisierten Kohlenstoff, den die Erde über Jahrmillionen dem Kreislauf entzogen hat, und pustet ihn in die Atmosphäre.

Glauben Sie, die Menschen werden ihr Verhalten angesichts der drohenden Klimaerwärmung ändern?

Das möchte ich gerne hoffen. Das ist unsere Schicksalsfrage. Die Erderwärmung wird viel schneller auf uns zukommen als viele denken, der Effekt sich selbst verstärken. Durch immer mehr CO₂ in der Atmosphäre versauern die Meere, Korallenriffe und Muscheln sterben - es wird weniger CO₂ im Kalk gebunden. Die Permafrostböden von Tundra und Taiga tauen immer tiefer auf - gigantische Mengen des Gases Methan, das vielfach so stark zum Treibhauseffekt beiträgt wie CO₂, werden freigesetzt. Und so fort. Was wir schnellstmöglich brauchen, ist eine radikale Energiewende. Und eine Wende der Landnutzung.

Was verstehen Sie darunter?

Wir müssen Wälder alt werden lassen. Denn dann speichern sie die größten Mengen CO₂, vor allem im Humus der Böden. Und auch die Landwirtschaft muss klimafreundlicher werden. Ökologischer Landbau ohne Chemie und Kunstdünger, der Humusbildung fördert, bindet Kohlenstoff und lagert ihn im Boden ein.

Wäre eine flächendeckende Biolandwirtschaft nicht sehr teuer?

Das kann nur so scheinen, wenn man vergisst, dass wir für die sogenannte ordnungsgemäße Landwirtschaft gleich dreifach bezahlen. Erstens mit direkten Agrarsubventionen. Die energieintensive industrielle Agrarproduktion hat zum Abbau von Arbeitsplätzen geführt, zur Verödung ganzer Regionen. Fünf Arbeiter reichen ja für 1000 Hektar. Übrig bleiben Sozialhilfeempfänger. Schauen Sie die ländlichen Gebiete im Osten an. Wer jung und strebsam ist, zieht weg. Die Neonazi-Ideologie greift um sich. Dafür tragen wir, zweitens, die gesellschaftlichen Folgekosten. Drittens bezahlen wir die immensen ökologischen Folgekosten, etwa die Reinigung des Grundwassers. Der Gewinn wird privatisiert, die Schäden sozialisiert. Wie absurd! Wir sollten die ökologischen und sozialen Leistungen einer vernünftigen Landnutzung endlich in Wert setzen. Nur das fände beim Steuerzahler letztlich Akzeptanz. Landschaftliche Schönheit und Artenvielfalt wären willkommene Nebeneffekte.

Kein Knacken mehr. Stattdessen ein Schmatzen unter den Schuhen, der Boden gibt nach.

Überall Quellen. Darum sacken wir ein. Nun sind wir im Herzen des Faulen Ortes. Das ist ein "Kopfmoor", ein faszinierendes Naturphänomen. Grundwasser tritt oben auf dem Hügel aus und fließt über den gesamten Hang hinunter, der nach und nach zum Moor wird. Wenn man hier ein Stück weitergeht, versinkt man im Schlamm. Deshalb: Nicht weitergehen!

"Die Zeit war hoffnungslos knapp. Aber wir arbeiteten Tag und Nacht"

Der Warnung folgt ein entspanntes Lächeln. Wenn der feste Grund schwindet, wenn die Dinge ins Fließen geraten, ist Michael Succow in seinem Element. Das hat er auch 1989/90 unter Beweis gestellt.

Lassen Sie uns noch einmal über die Wendezeit sprechen. Erstaunt es Sie manchmal selbst, wie effektiv Sie und Ihre Mitstreiter diese Umbruchsituation genutzt haben?

Das war eine unvergleichliche Zeit. Eine kurze Phase, in der auf einmal sehr, sehr viel möglich war. Weil die Menschen beseelt waren von der ungewohnten Freiheit, dem Offenstehen der Welt, der Wiedervereinigung. Wir hatten Glück, aber auch ein gutes Netzwerk, die richtige Vorbereitung.

Der Nationalpark-Coup war von langer Hand vorbereitet?

Wie alles ablief, das war natürlich nicht planbar. Aber viele Umweltschützer waren im Kulturbund organisiert, gerade auch Fachwissenschaftler wie ich, die sich der SED verweigerten und denen die üblichen Karrierewege verwehrt waren. Wir machten uns Gedanken über nachhaltige Landschaftsnutzung und welche Gebiete der DDR schützenswert wären. Diese Überlegungen bildeten später die Grundlage für das Nationalparkprogramm.

Waren Sie '89 auf den Umbruch gefasst?

Man spürte eine Aufweichung, erste Verweigerungen. Der Apparat, die Stasi, funktionierten nicht mehr so reibungslos. Das für mich entscheidende Erlebnis war eine Äthiopienreise im Februar 1989.

Wie bitte, Äthiopien?

Ich war zwar kein SED-Mitglied, aber ein ausgewiesener Bodenkundler. In der Entwicklungshilfe für befreundete sozialistische Staaten hatte es zunehmend Probleme gegeben. Nach mehreren Fehlschlägen mit parteitreuen Leuten verlangte Äthiopiens Regierung nach Fachleuten. So entschieden die deutschen Genossen zähneknirschend, mich zu entsenden. So kam ich ab 1987 zu Äthiopieneinsätzen. Nach einer Weile fragte die dortige DDR-Botschaft an, ob ich einen Betriebsausflug organisieren könne. Ich wählte eine Vulkanlandschaft. Neben dem Botschaftspersonal nahmen auch Stasi-Leute teil - die im Land waren, um auf dem Feld der Überwachung Entwicklungshilfe zu leisten. Und dann passierte etwas Unvergessliches. Oh - jetzt müssen wir aber gehen, damit wir rechtzeitig aus dem Wald zurück sind.

Er geht mit strammem Tempo voran, lässt den Blick durch die Wipfel wandern. Er lobt die vielfältige Vegetation des "befreiten Waldes", erzählt von der Ergriffenheit der Menschen, die er zum Faulen Ort führte, beschreibt den Frühlingszauber, wenn die Hänge des Quellwaldes ganz in Gelb getaucht sind, übersät mit Sumpfdotterblumen.

Und dieser Bergahorn da! Schaut euch den an! Diesen Baum wird kein Mensch mehr fällen, höchstens ein Sturm. Ich blicke träumend hinauf und habe nicht darüber nachzudenken, wie viel Rendite dieser Riese bringen könnte. Ich freu' mich einfach, dass es ihn gibt. Mit diesem Gefühl durch den Wald zu gehen, das ist Glück.

Aus dem Schmatzen wird wieder ein Knacken.

Herr Succow, was passierte denn nun in Äthiopien?

Richtig, da waren wir stehengeblieben. Der leitende Stasi-Offizier in der Botschaft bat mich um ein persönliches Gespräch. Wir ließen uns zurückfallen. Erst dann öffnete sich der Genosse: 'Wir haben Sie zu beschatten, ich weiß vieles über Sie. Bitte wagen Sie sich nicht zu weit vor! Es wäre schade, denn unser Land braucht Sie für danach.' Er sagte: danach! Und dann: 'Die DDR ist wirtschaftlich am Ende. Wir vertrauen nicht mehr unserer Führung. Sie hat jegliches Problembewusstsein verloren.' Es war alles so einleuchtend, was er sagte. Seit dem Tag war mir klar: Es geht zu Ende. Die DDR haucht aus.

Nach dem 9. November 1989 machten Sie dann eine politische Blitzkarriere. Schon Mitte Januar 1990 wurden Sie stellvertretender Umweltminister der DDR.

Das kam folgendermaßen. Ende November fragte mich ein mutiger Journalist, ob ich an einer Umwelt-Gesprächsrunde im DDR-Fernsehen teilnehmen würde. Unzensiert. Live. Zuschauer sollten per Telefon Fragen stellen können. Umweltverschmutzung - das war bis dahin Staatsgeheimnis gewesen. Es war unfassbar. Auch etwas unheimlich. Anfangs der Sendung sieht man mir, auch den anderen Teilnehmern, das Unbehagen an: gesenkte Häupter. Aber nach und nach wurden wir mutiger, redeten immer freier. Ein Video der Sendung wurde offenbar Klaus Töpfer zugespielt...

... dem damaligen BRD-Umweltminister...

...und wenige Tage später lud er mich nach Bonn ein. Er bat mich, zehn weitere DDR-Umweltschützer mitzubringen. Also stellte ich eine Gruppe zusammen, zu der mein Jugendfreund Lebrecht Jeschke zählte, Hans Dieter Knapp, der jetzige Leiter der Internationalen Naturschutzakademie Insel Vilm, und der spätere Ministerpräsident von Brandenburg Matthias Platzeck. Auch ein paar Genossen hatte ich einbezogen. Töpfer seinerseits hatte die Spitzen der westdeutschen Umweltschutzverbände zusammengetrommelt. Dieses Treffen war der Durchbruch. Anfang Dezember rief mich DDR-Umweltminister Hans Reichelt an und bat mich, sein Stellvertreter für den Bereich Naturschutz und Landnutzungsplanung zu werden.

Der treue Staatsdiener kürte einen Systemkritiker zum Stellvertreter?

Es gab Druck von vielen Seiten. Vom Volk, aus dem Politbüro, wohl auch aus dem Töpfer-Ministerium. Aber das Erstaunlichste war, was Reichelt mir zum Amtsantritt im Januar 1990 sagte: 'Ich habe an das System geglaubt, wurde missbraucht. Sie sind glaubwürdig. Sie müssen es besser machen. Sie haben alle Freiheiten.'

Sie hatten sturmfrei. In diesem Staat hatte es nur eine einzige Macht gegeben - und die war kollabiert.

So war es. Ich bekam eine Sekretärin gestellt. Einen Kraftfahrer mit Auto. Alles andere war aufzubauen. Ich setzte mich ans Telefon, rief bei Weggefährten an. Binnen kurzer Frist war ein Team beisammen und wir machten uns, neben vielem anderen, an das Nationalparkprogramm.

Dafür stempelten Sie viele, gerade im Westen, als Fantasten ab.

In der Tat war die verbleibende Zeit bis zur Wiedervereinigung hoffnungslos knapp. Aber wir arbeiteten Tag und Nacht, bekamen viel Unterstützung - Klaus Töpfer etwa entsandte mit Arnulf Müller-Helmbrecht einen Juristen seines Ministeriums, ohne den die Gesetzesvorlagen nie rechtzeitig fertig geworden wären. Unser größter Trumpf aber war: Wir hatten in den Jahren zuvor so viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Wir konnten sofort loslegen.

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