Ökologie:Wettrüsten im Blumenbeet

Auch Pflanzen verteidigen sich mit einem Immunsystem gegen Krankheitserreger und Schädlinge. Und das ist der menschlichen Körperabwehr überraschend ähnlich.

Katrin Blawat

In jedem Garten, jedem Acker, jedem Grünstreifen entlang der Autobahn herrscht Krieg. Pilze, Würmer, Bakterien und Viren kämpfen dort gegen Blumen, Gräser, Getreide, Büsche und Bäume. Für die Pflanze steht viel auf dem Spiel: ihr Wachstum, ihre Fortpflanzungsfähigkeit, ihr Leben. Fliehen kann sie nicht, also muss sie sich an Ort und Stelle verteidigen. Zu erkennen, mit welchen Tricks Pflanzen wie Angreifer dabei arbeiten, ist ein noch junges, aber derzeit sehr bewegtes Forschungsfeld, wie zahlreiche Veröffentlichungen in den vergangenen Wochen gezeigt haben.

Themendienst Wohnen: Farbenfrohe Stinker

Sie können ja nicht weglaufen. Um sich dennoch zu verteidigen, haben Pflanzen - hier Tagetes - Abwehrmechanismen entwickelt, die sie vor feindlichen Insekten, Erregern und anderen Bedrohungen schützen. Für den Gegner ist es hilfreich, die richtige Tageszeit für den Angriff zu wählen, denn nachmittags und abends leisten Pflanzen weniger Widerstand.

(Foto: ddp)

Die überraschendste Aussage in diesen Arbeiten ist dabei nicht einmal, dass Pflanzen eine Reihe biochemischer Abwehrmechanismen besitzen - ein Immunsystem. Viel erstaunlicher noch: Die Abwehr der Pflanzen ist der des Menschen sehr ähnlich, manchmal sogar in Details wie dem Aufbau einzelner Moleküle. "Bis vor etwa 15 Jahren wussten wir lediglich, dass Pflanzen ungeheuer reich an Giftstoffen sind, die sie gegen mikrobielle Erreger freisetzen", sagt der Biochemiker Paul Schulze-Lefert vom Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln. Zu diesen Giften gehört zum Beispiel die Acetylsalicylsäure, der Wirkstoff des Aspirin.

Inzwischen entwerfen Forscher ein deutlich differenzierteres Bild vom ständigen Wettstreit zwischen Krankheitserregern und Pflanzen. Ausgedrückt in der martialischen Sprache der Immunologie, geht es um Wettrüsten, Notfallpläne, die Verhältnismäßigkeit der Mittel - und um die Schwierigkeit, statt den Feind nicht aus Versehen das eigene Lager anzugreifen.

All dies muss auch im menschlichen Körper funktionieren. Seit sich Pflanzen- und Tierreich vor etwa einer Milliarde Jahren getrennt haben, stehen die Immunsysteme aller Organismen, egal ob von Mensch, Maus, Motte oder Mohnblume, vor zwei grundsätzlichen Aufgaben. Sie müssen unterscheiden können, welche Moleküle zum eigenen Organismus gehören und welche zu einem potentiell schädlichen Eindringling, der vernichtet gehört. Zum Zweiten muss das Immunsystem die Kontrolle über sich selbst behalten, es muss im Notfall schnell, in Zeiten ohne Bedrohung hingegen überhaupt nicht reagieren.

Gerät diese Selbstregulierung außer Kontrolle, leidet der Mensch unter Autoimmunkrankheiten wie Multipler Sklerose, Typ-1-Diabetes oder Rheuma. Bei Pflanzen fehlen zwar derart geläufige Krankheitsnamen, doch Autoimmun-Störungen können auch die Ackerschmalwand dahinraffen. Das schon im gesunden Zustand unscheinbare Gewächs bleibt dann extrem zwergwüchsig und armselig. Das Gleiche gilt für Pflanzen mit zu schwachem Immunsystem.

Gegenstrategien der Erreger

Fast alle vom Menschen domestizierten Weinsorten werden seit Jahrzehnten, manche, wie der Riesling, seit Jahrhunderten, asexuell vermehrt. Sie sind daher genetisch identisch. Das gilt auch für ihr Immunsystem, das starr und unbeweglich geworden ist. Dies nutzen Krankheitserreger aus, die gelernt haben, sich der Erkennung zu entziehen. "Immunologische Leichen" nennt Schulze-Lefert die alten Weinsorten. Helfen kann ihnen nur noch der Mensch: mit großen Mengen chemischer Pflanzenschutzmittel.

In den meisten anderen Fällen jedoch verhindert eine mehrstufige Qualitätskontrolle im pflanzlichen Immunsystem die schlimmsten Fehltritte. Komponenten der Erreger-Abwehr, die nicht exakt den Vorgaben entsprechen, werden vernichtet oder zurück in die Produktion geschickt, auf Wiedervorlage sozusagen. Auch dieser Vorgang ähnelt dem im menschlichen Körper.

Einen besonders eleganten Kompromiss zwischen ungehindertem Wachstum und einer funktionierenden Immunabwehr beschrieben kürzlich Forscher der Duke University im Fachmagazin Nature.

Wie das Team um Xinnian Dong entdeckte, kann sich die Ackerschmalwand morgens gut, abends hingegen kaum gegen Angriffe eines Mehltau-Pilzes behaupten. In den Morgenstunden sind 22 Gene der Pflanze besonders aktiv, die die Produktion von Abwehrproteinen steuern. Das ist deshalb bemerkenswert, weil zur gleichen Tageszeit auch besonders viele Pilzsporen durch die Gegend fliegen. "Es sieht so aus, als wäre die Pflanze darauf programmiert, Infektionen zu einem bestimmten Tageszeitpunkt vorherzusehen", sagt Dong. Ob andere Gewächse einen ähnlichen Immun-Rhythmus haben, ist allerdings noch unklar.

Erst seit zehn Jahren beginnen Forscher zu verstehen, wie das pflanzliche Immunsystem im Detail funktioniert. Dass es in Balkonkästen und auf Weizenfeldern überhaupt farbenprächtige Blüten und pralle Ähren gibt, liegt vor allem an dem zweistufigen Schutzmechanismus der Pflanzen. Der erste dient sozusagen als schnelle Eingreiftruppe: Nicht lange prüfen, sondern rasch und kraftvoll handeln, ist die Devise dieser Abwehrproteine. Sie reagieren auf Molekülfragmente, die charakteristisch für Krankheitserreger sind und die sich im Lauf der Evolution kaum verändert haben.

Bei Pilzen ist dies das Chitin, ein Bestandteil ihrer Zellwand. Als Warnsignal vor einem bakteriellen Angriff dient das Protein Flagellin. Es kommt in fadenförmigen Gebilden vor, mit deren Hilfe sich Bakterien fortbewegen. Chitin und Flagellin erkennt die Pflanze mit Hilfe von Rezeptoren, die sich auf der Oberfläche der Pflanzenzellen befinden. Sobald diese Rezeptoren einen Schädling entdeckt haben, bringen sie die Pflanze zum Beispiel dazu, ihre eigene Zellwand zu stärken. Die Pilze können dann schwerer eindringen - zumindest in der Theorie.

Denn die Erreger wissen um die Taktiken der Pflanze und haben Gegenstrategien entwickelt. So setzt der Pilz Cladosporium fulvan in den Blättern von Tomatenpflanzen Proteine frei, die ihn vor den Zerstörtrupps schützen - seine Zellwand bleibt intakt und er selbst am Leben. Zusätzlich räumt er alle Moleküle aus dem Weg, die die Pflanzenzelle ebenfalls zu einem Angriff anstacheln könnten.

Zum Glück für die Pflanze muss sie sich nicht allein auf ihre schnelle Eingreiftruppe auf den Zelloberflächen verlassen. Entdeckt diese einen Erreger, wird ein Protein im Innern der Zelle als eine Art Krisenmanager aktiv. Vermutlich bereitet das Protein alles dafür vor, dass die zuständigen Gene im Zellkern für weitere Abwehrreaktionen aktiviert werden.

Die Immunkomponenten im Inneren der Zelle reagieren, anders als die äußeren Rezeptoren, nicht nur auf evolutionär alte Charakteristika von Erregern. Stattdessen achten die zellinneren Immunsensoren auf alles, was nicht zur Pflanze selbst gehört, egal um welche Strukturen es sich handelt. Diese zweite Ebene der pflanzlichen Immunabwehr arbeitet daher sehr flexibel.

Wie aber schafft es eine begrenzte Zahl an Sensoren, eine schier unbegrenzte Zahl an Krankheitserregern zu erkennen? Auf der Suche nach einer Antwort stießen die Forscher auf eine Entdeckung, die den Biochemiker Schulze-Lefert noch immer in Begeisterung ausbrechen lässt. Die Moleküle der Schädlinge verändern nämlich pflanzliche Proteine in einer festgelegten Art und Weise.

Von Pflanzen und Menschen

Vermutlich achten die inneren Sensoren genau auf diese Varianten in den pflanzlichen Strukturen. "Die Möglichkeiten, wie sich pflanzliche Proteine verändern lassen, sind biochemisch begrenzt", sagt Schulze-Lefert. Die Sensoren müssen also nur eine überschaubare Anzahl Varianten erkennen anstelle der unvorstellbaren Vielfalt schädlicher Erreger-Proteine. "Wenn es sich wirklich so verhält, wäre das absolut genial", sagt Schulze-Lefert. Inzwischen gebe es immer mehr Hinweise darauf, dass auch das angeborene Immunsystem des Menschen auf dieses Prinzip der indirekten Erkennung zurückgreift.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Entdeckungen an Pflanzen dabei helfen, das menschliche Immunsystem zu verstehen. Nachdem die Struktur der äußeren und inneren Immunrezeptoren der Pflanzen bekannt war, dauerte es nicht lange, bis klar wurde: Die Sensoren im menschlichen Körper sind nahezu baugleich mit denen der Pflanzen. Rein zahlenmäßig liegen Letztere sogar vorn. Während Forscher auf 150 bis 460 Rezeptoren eines bestimmten Typs bei Pflanzen kommen - die Anzahl schwankt je nach Art -, besitzt der Mensch nur etwa 20.

Der Grund dafür könnte in dem einzigen großen Unterschied im Immunsystem zwischen Pflanze und Wirbeltieren liegen. Der Mensch besitzt neben den erwähnten Immunsensoren auch Antikörper und eine Vielzahl spezialisierter Immunzellen, etwa die Fresszellen. Sie verändern sich ein Leben lang, je nachdem, auf welche Erreger sie treffen. Als sich dieses sogenannte erworbene Immunsystem während der Evolution entwickelte, verloren die Sensoren der angeborenen Abwehr vermutlich an Bedeutung. Pflanzen jedoch verlassen sich nach wie vor ausschließlich auf das angeborene Immunsystem.

In beschränktem Maß ist allerdings auch die Abwehr einer Petunie oder einer Maispflanze lernfähig - wenn auch mit Hilfe einer anderen biochemischen Strategie als beim Menschen. Attackiert der gleiche Erreger eine Pflanze innerhalb von 14 Tagen erneut, ist ihr Immunsystem bereits vorgewarnt und schneller einsatzfähig. Die Vorteile eines derartigen Immungedächtnisses kennt jeder, der sich zu Winterbeginn in der vollen S-Bahn bei seinen Mitfahrern angesteckt hat und Wochen später die Gesellschaft kranker Mitpassagiere unbeschadet übersteht.

Was aber bleibt der Pflanze übrig, wenn all ihre Abwehrmechanismen und Gifte versagen? Dann hilft nur noch, Opfer zu bringen. Die Pflanze führt gezielt den Tod stark geschädigter Zellen herbei in der Hoffnung, den Schaden auf einen kleinen Teil ihres Organismus zu begrenzen und sich so das Leben zu retten. Dieser Kompromiss kommt auch den meisten Krankheitserregern zugute: Nur von einer lebenden Pflanze können sie sich ernähren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: