Ökologie:Forscher warnen vor weltweiter Lichtverschmutzung

Berlin aus dem All

Berlin strahlt: In Großstädten ist die Nacht durch die allgegenwärtige Straßenbeleuchtung praktisch abgeschafft.

(Foto: dpa)
  • Eine Studie kommt zu dem Schluss, dass sowohl die Intensität des künstlichen Lichts als auch die beleuchtete Fläche weltweit zugenommen hat.
  • Tiere leiden darunter, aber auch Pflanzen und Mikroorganismen.
  • Unklar ist, wie genau nächtliches Licht die menschliche Gesundheit beeinträchtigt.

Von Alexander Stirn

München leuchtet. Und Berlin. Und Bielefeld. Und ganz Deutschland. Hell, immer heller. Allen Spar-Appellen und allen Innovationen zum Trotz. Lichtverschmutzung nennen Wissenschaftler das globale Phänomen, von dem sie eigentlich glaubten, es im Griff zu haben. Leuchtdioden - klein, energiesparend, einfach zu fokussieren - sollten der überbordenden Außenbeleuchtung, die sich in den vergangenen Jahrzehnten auf Straßen und in Städten breitgemacht hat, ein Ende bereiten.

Doch offensichtlich ist genau das Gegenteil passiert: Eine neue Studie, veröffentlicht im Fachblatt Science Advances, kommt zu dem Schluss, dass sowohl die Intensität des künstlichen Lichts als auch die beleuchtete Fläche weltweit um zuletzt 2,2 Prozent pro Jahr zugenommen hat. Der fortschreitende Verlust der Nacht stört dabei nicht nur Astronomen. Auch Tiere leiden darunter, genauso wie Pflanzen und Mikroorganismen. Sogar die menschliche Gesundheit könnte beeinträchtigt werden.

"Es gibt viel zu viel Licht, das nicht gebraucht wird", sagt Christopher Kyba, Physiker am Geoforschungszentrum Potsdam und Hauptautor der Studie. "Fällt solch ein Licht durchs Schlafzimmerfenster oder direkt in einen See, ist das nicht nur eine Verschwendung von Geld und Energie, es bereitet auch große Probleme."

"Der ganze Effekt der LEDs besteht darin, noch mehr Licht zu erzeugen"

Um zu untersuchen, wie es um die weltweite Lichtverschmutzung bestellt ist, haben Kyba und Kollegen Aufnahmen des amerikanischen Umweltsatelliten Suomi NPP aus den Jahren 2012 bis 2016 ausgewertet. Der Späher detektiert Lichtquellen mit einer Auflösung von 750 Metern. Ein Pixel seiner Kamera entspricht daher einem guten halben Quadratkilometer - genug, um Städte und Staaten zu analysieren.

Vor allem Entwicklungsländer haben demnach bei der Lichtverschmutzung zugelegt. Aber auch Deutschland verzeichnet einen leichten Anstieg - dabei hätte eigentlich das Gegenteil zu beobachten sein müssen: Städte steigen bei der Straßenbeleuchtung zunehmend von den althergebrachten gelblichen Natriumdampflampen auf energiesparende Leuchtdioden mit kühlem, eher bläulichem Licht um. Bei gleicher Helligkeit verbrauchen diese sogenannten LEDs bis zu 80 Prozent weniger Energie, halten aber mehr als zehnmal so lange durch.

Ihr kurzwelliges Licht wird von Suomi NPP allerdings kaum erfasst. "Städte, die auf LEDs gewechselt haben, sollten in unsere Daten daher dunkler erscheinen", sagt Kyba. Tun sie aber nicht. Anscheinend, so die Interpretation der Forscher, stecken Städte das Geld, das sie mit den billigeren, nicht so energiehungrigen Leuchtdioden sparen, direkt in neue oder hellere Beleuchtung, in Reklametafeln und angestrahlte Gebäude. "Der ganze Effekt der LEDs besteht offenbar darin, nur noch mehr Licht zu erzeugen", sagt Kyba.

Vor allem die Natur leidet unter dem Verlust der Dunkelheit: Etwa 30 Prozent aller Wirbeltiere und mehr als 60 Prozent der wirbellosen Lebewesen sind nachtaktiv. Sie haben Sensoren für extrem schwaches Licht entwickelt und sind oftmals in der Lage, sich mithilfe der Sterne oder des Mondes zu orientieren. Eine helle Straßenlaterne kann all das durcheinanderbringen.

"Wie von einem Staubsauger werden den Lebensräumen dadurch Insekten entzogen", sagt Franz Hölker vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, einer der Co-Autoren der neuen Studie. Andere Tiere freuen sich: Kreuzspinnen brauchen zum Überleben eigentlich stark verästelte Bäume oder Sträucher, um ihre kunstvollen Radnetze ausbreiten zu können. Doch auch an kahlen Straßenlaternen gedeihen sie - zu verlockend ist das Buffet all der herbeischwirrenden Insekten.

Wie wirkt sich der Verlust der Nacht auf die Menschen aus?

Straßen und andere Lichtkorridore können aber auch Barrieren bilden und so den Austausch zwischen verschiedenen Lebensräumen behindern. Eine aktuelle Studie in der Fachzeitschrift Nature kommt zudem zum Schluss, dass aufgrund der künstlichen Beleuchtung sogenannte Nachtbestäuber seltener auftreten und dass sie ihrer Arbeit weniger effizient nachgehen - mit womöglich gravierenden Folgen für Pflanzen, die auf die Bestäubung durch solche Insekten angewiesen sind. Bäume neben Straßenlaternen behalten ihr Laub hingegen länger als normal und bereiten sich - angesichts der vermeintlich kürzeren Nächte - später auf den Winter vor. Mitunter zu spät.

Sogar Mikroorganismen bleiben vom nächtlichen Licht nicht unbeeindruckt: Gemeinsam mit Kollegen hat Hölker Sedimente aus Gewässern, die unter anderem Kieselalgen, Cyanobakterien und andere Ein- sowie Mehrzeller enthalten, im Labor heller Straßenbeleuchtung ausgesetzt. Nach einem Jahr begannen die Mikroorganismen, Photosynthese zu betreiben - die Energieversorgung lichtliebender Pflanzen. "So etwas hat es in der ganzen Evolutionsgeschichte noch nicht gegeben", sagt Hölker.

Weit weniger klar ist, wie sich der Verlust der Nacht auf die Menschen auswirkt. Zwar gibt es Studien, die einen Zusammenhang zwischen beleuchteten Gebieten und vermehrten Fällen von Prostata- und Brustkrebs zeigen, ein kausaler Zusammenhang lässt sich damit aber nicht beweisen. Womöglich ist das Licht auch nur eine Begleiterscheinung des Stadtlebens mit all seinen negativen Auswirkungen auf den menschlichen Körper.

Gesichert scheint hingegen zu sein, dass das kalte, bläulich-weiße Licht der LEDs die innere Uhr des Körpers verstärkt durcheinanderbringt, da es von empfindlichen Zellen auf der Netzhaut als Tagessignal wahrgenommen wird. Schätzungen des US-Ärzteverbands American Medical Association zufolge, fällt der störende Effekt bei LEDs fünfmal so stark aus als bei gelblichen Leuchten.

Bisher werden Straßen vor allem beleuchtet, damit die Straßen beleuchtet sind - wie unsinnig

Verteufeln wollen Hölker und Kyba die Leuchtdioden dennoch nicht. "LEDs bieten unglaublich viele Möglichkeiten, um neue Ideen mit Licht zu entwickeln", sagt Christopher Kyba. Bislang diene Straßenbeleuchtung aber vor allem einem Zweck: Straßen zu beleuchten.

"Straßen brauchen allerdings kein Licht, es sind Fußgänger und Radfahrer, die auf Beleuchtung angewiesen sind", meint Kyba. Daher reiche es, Parkplätze, Kreuzungen und ähnliche Gefahrenstellen auszuleuchten, sich ansonsten aber auf Fuß- und Radwege zu konzentrieren. Und auch das nur bei Bedarf, vor allem aber nicht so hell wie bisher.

Genau hierfür scheinen LEDs die ideale Lösung zu sein: Die neuen Leuchtmittel lassen sich exakt ausrichten, sie lassen sich dimmen, sie können jederzeit eingeschaltet werden, ohne sich lange aufwärmen zu müssen - ganz anders als die alten Natriumdampflampen. "Leuchtdioden sind durchaus eine Technologie mit hohem Potenzial", sagt Franz Hölker. "Man muss sie nur richtig anwenden."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: