Nuklearer Abfall in Japan:Atommüll ohne Plan

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Der experimentelle Schnelle Brüter in Tsuruga ist seit einem Unfall im Jahr 2005 lahmgelegt. (Foto: JAEA/dpa)

Kernkraft ja, Abfall egal: Japan belebt seine Nuklearindustrie neu, hat aber kein Konzept für die Entsorgung radioaktiven Materials. Wo sich in dem seismisch aktiven Land ein Endlager finden soll, bleibt ein Rätsel. Jetzt hoffen manche auf den "schnellen Brüter".

Von Dennis Normile

Japans gebeutelte Nuklearindustrie kommt wieder auf die Beine, doch das macht auch eine vertrackte Frage wieder aktuell: Wohin mit dem radioaktiven Müll? Fast vier Jahre nach dem schweren Erdbeben von Fukushima, das zur Abschaltung aller 48 Reaktoren des Landes geführt hatte, wird erwartet, dass die Regierung noch in diesem Frühjahr den Neustart von zwei Reaktoren in der Provinz Kagoshima gestatten wird. Kritiker wenden ein, das Problem des strahlenden Abfalls werde dabei übergangen.

"Japan ist völlig ratlos, wie das Entsorgungsproblem von hoch radioaktivem Abfall zu lösen ist", sagt der Kernkraftgegner Hideyuki Ban. Er fordert, die Abfallfrage vor dem Neustart der Reaktoren zu klären. Die Regierung von Ministerpräsident Shinzō Abe hat die Herausforderung offenbar erkannt. Als im April 2014 die Atomkraft wieder Teil der Energiepolitik wurde, erklärte die Regierung zugleich, der Umgang mit radioaktivem Abfall erzeuge "Misstrauen in der Bevölkerung".

Als Japan im Jahr 1966 sein erstes Atomkraftwerk in Betrieb nahm, war vorgesehen, abgebrannte Brennelemente wiederaufzubereiten, um die Menge radioaktiver Abfälle zu reduzieren. Aber ein halbes Jahrhundert später gibt es noch keine Technik dafür. 17 000 Tonnen abgebrannter Brennelemente lagern derzeit in Kühlbecken von Reaktoren des ganzen Landes, und der Bau einer geplanten Wiederaufbereitungsanlage verzögert sich seit vielen Jahren.

Auch nach 50 Jahren Atomkraft hat Japan keine Technik für die geplante Wiederaufbereitung

Japan Nuclear Fuel (JNFL), eine Tochterfirma von zehn Energieversorgern, begann 1993 mit dem Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage in Rokkasho, einem Dorf an der Nordspitze der Insel Honshu, die vier Jahre später fertig sein sollte. Zwei Jahrzehnte später ist sie noch immer in Arbeit. Die Anlage soll mit einem Verfahren arbeiten, dass einst beim Manhattan-Projekt angewendet wurde, um Plutonium und Uran aus abgebrannten Brennelementen zu trennen. Das Verfahren reduziert zwar das gesamte Abfallvolumen auf rund drei Prozent. Dieser Rest ist jedoch hoch radioaktiv.

Der experimentelle Schnelle Brüter in Tsuruga ist seit einem Unfall im Jahr 2005 lahmgelegt. (Foto: JAEA/dpa)

JNFL plante, diese Überreste mit einem eigenen Verfahren in Glas einzuschmelzen. Das gewählte Verfahren versprach zwar schneller und stabiler zu sein als der bereits kommerziell verfügbare Prozess. Aber im großen Maßstab ist die Technik, bei der eine saure Lösung, welche die strahlenden Elemente enthält, mit geschmolzenem Glas vermischt wird, "äußerst komplex", wie Hajimu Yamana erklärt, ein Nuklearexperte der Universität von Kyoto.

JNFL kündigte Anfang 2013 an, die Feinheiten in den Griff bekommen zu haben. Aber erhöhte Anforderungen an die Erdbebensicherheit führten zu weiteren Verzögerungen. Der Preis für die Rokkasho-Anlage wird am Ende bei 18,8 Milliarden Dollar liegen, erklärte JFNL, fast dem Dreifachen des ursprünglich geplanten Etats. Der neue Termin für die Vollendung der Anlage ist März 2016. Danach dürfte es Jahre dauern, die vorgesehene Kapazität von 800 Tonnen Abfall pro Jahr zu verarbeiten. Hajimu Yamana sagt, das könne den Gesamtmüll auf Dauer leicht reduzieren, sofern Japan bei dem Vorhaben bleibt, die Abhängigkeit von Kernkraft langfristig zu reduzieren.

Manche Kritiker hinterfragen, ob sich Japan überhaupt mit Wiederaufbereitung befassen sollte. Der ursprüngliche Plan sah vor, das abgetrennte Uran in konventionellen Reaktoren zu verwenden und das Plutonium in "Schnellen Brütern", die einst als eine Energiequelle der nächsten Generation galten. Aber ein entsprechender Experimentalreaktor in Tsuruga ist seit einem Unfall im Jahr 2005 weitgehend stillgelegt. Fast alle anderen Länder, auch Deutschland, haben die Technik der Schnellen Brüter längst aufgegeben. Ausnahmen sind China und Indien. Dennoch sieht die aktuelle Energiestrategie Japans vor, die Anlage in Tsuruga immerhin zu nutzen, um den hoch radioaktiven Müll zu reduzieren.

Das generelle Müllproblem wird das nicht lösen. Obwohl seit mehr als zehn Jahren gesucht wird, konnte die Zentralregierung noch keinen Ort finden, der Interesse an einem Atommüll-Endlager hätte. Im Jahr 2012 riet der Wissenschaftsrat des Landes, die Idee aufzugeben. Aufgrund der im Inselstaat überall hohen seismischen Aktivität könne man kaum eine geologische Formation finden, die über Jahrtausende stabil bleibe. Der Rat schlug vor, den Müll zwischenzulagern, bis eine bessere Lösung gefunden sei und die japanische Gesellschaft sich auf eine umfassende Nuklearpolitik geeinigt habe.

Das könnte dauern.

Dieser Artikel ist im Original in Science erschienen, dem internationalen Wissenschaftsmagazin, herausgegeben von der AAAS. Weitere Information: www.sciencemag.org, www.aaas.org.

© SZ vom 26.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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