Notfallmedizin:Ein echt kranker Roboter

Der Patient ist verwirrt und schreit vor Schmerz: Neue Simulatoren leiden erstaunlich real. Der Einsatz an den Puppen bereitet Ärzte auf den Ernstfall vor. Denn dann muss alles reibungslos klappen.

Charlotte Frank

Ein Sturz von der Treppe, der Verletzte liegt verdreht am Boden und stöhnt, Schweiß perlt ihm von der Stirn. "Haben Sie Kopfschmerzen? Ist Ihnen übel?", fragt die Notärztin.

"Mein Kopf tut weh", sagt der Patient, aber schlimmer seien die Schmerzen im Rücken. Als die Ärztin in seine Augen leuchtet, sind die Pupillenreflexe unterschiedlich. Es ist ernst, alles deutet auf eine Wirbelsäulenverletzung hin.

Zum Glück ist alles nur Spiel. Der Patient ist eine Puppe, deren einzige Aufgabe ist das Leiden: Herzinfarkte, allergische Reaktionen, Treppenstürze - der Patientensimulator mit dem schmucklosen Namen SimMan3G kann das alles. Um authentisch zu wirken, steckt ein Computer im Torso und in der Hüfte eine Daten-Funkverbindung. Keine Kabel und keine Drähte verwässern den Realismus.

Patientensimulatoren einfacher Art werden schon seit 48 Jahren in der Medizinerausbildung eingesetzt, mit der Zeit wurden sie zu Robotern weiterentwickelt; seit 2004 trainieren Studenten an allen deutschen Universitätskliniken mit solchen Puppen.

Bislang sind diese jedoch behäbig und so verkabelt, dass sie nur in einer Position behandelt werden können: auf einer Liege im OP. Aber der Notfall tritt selten ein, wenn Verletzte schon in der Klinik liegen.

Blut, Speichel, Schweiß

Simulatoren der neuesten Generation funktionieren deshalb autark. Durch die interne Software reagieren sie eigenständig auf Therapien, ohne von außen gesteuert werden zu müssen.

Außer dem Computer in der Brust sind Tanks für Blut, Speichel und Schweiß integriert, aus dem Mund tönt über Funk die Stimme eines Souffleurs. "So können auch Rettungseinsätze außerhalb der Klinik und Transporte simuliert werden", erklärt Georg Breuer, "das macht die Übungen realistischer."

Breuer ist Oberarzt in der Anästhesie der Universität Erlangen; einer, über den Kollegen sagen, er brenne für das Projekt. Das ist wohl einer der Gründe dafür, dass Erlangen der erste Standort in Europa war, an den der SimMan3G im April dieses Jahres geliefert wurde. Dort liegt er nun, am Fuß der Treppe, und stöhnt. Unentwegt und nervtötend piepst ein EKG im Hintergrund.

Die Notärztin und die Rettungsassistenten - lauter Studentinnen - werden hektisch. Der Blutdruck fällt, der Patient muss über eine Sauerstoffmaske beatmet werden und braucht eine Infusion. Um die richtigen Medikamente in der richtigen Dosis zu verabreichen, hat das Notarztteam eine Spritze mit Klettverschluss im Rettungskoffer.

Auf diese werden Mikrochips in der angenommenen Menge und Wirkgruppe geklebt - über Sensoren im Arm erkennt der Computer die Behandlung und kann darauf reagieren. In diesem Fall haben die Studentinnen alles richtig gemacht. Nach kurzer Zeit stabilisiert sich der Zustand des Patienten, er kann transportiert werden.

"Ist da jemand?"

"Jetzt beginnt das eigentlich Geniale", sagt Breuer, "wir können ganze Rettungsketten nachstellen." Das schließe gerade die Schnittstellen ein, die besonders schwierig seien. Das sieht man den Studentinnen an: Als sie den Verletzten auf eine Schaufeltrage legen, schreit er vor Schmerz.

Dann ist der Akku der Pumpe leer, mit der die stabilisierende Vakuum-Matratze gehärtet wird. Zu allem Übel klemmt auch noch die Liege. Und ständig fragt der Patient verwirrt, ob er eine Tasche für die Klinik packen muss.

"Gerade in Transfersituationen passieren Pannen", sagt Breuer, darauf müssen Studenten vorbereitet sein. Aber auch menschliche Faktoren will er vermitteln: Während das Team draußen den Rettungswagen vorbereitet, fragt der Patient ängstlich: "Was machen Sie? Ist da jemand?" Bis die Studentinnen reagieren und ihn beruhigen, zittert er am ganzen Leib.

"Im Lehrbuch steht zwar, dass der Arzt mit Patienten kommunizieren soll, aber wie schwer das bei einem stressigen Einsatz ist, wird erst in der Praxis klar", sagt Breuer später. Nicht nur deshalb hält er das Training am Simulator für so wichtig.

"Fassen Sie mal in den Mund", sagt er, nebenan gibt sein Assistenzarzt dem Computer Befehle - schon schwillt die Zunge an. "Unmöglich, so einen zu intubieren, da geht kein Schlauch durch", sagt Breuer. Er nennt das "ein Horrorszenario" für jeden Notarzt. Da hilft nur noch ein Luftröhrenschnitt. "Das sind Situationen, die muss man einmal erlebt haben, um richtig zu reagieren."

Lebensrettendes Training

Gerade in der Notfallmedizin sei es schwierig, Studenten mit manchen Szenarien vertraut zu machen. Kranke liegen nicht, wie in der Inneren Medizin oder Chirurgie, auf der Station und können bei Visiten untersucht werden. Sie fallen von der Leiter oder erleiden abends einen Herzinfarkt.

"Notfallmedizin ist nicht planbar", sagt Breuer. Außerdem können Studenten im Einsatz nicht lange die Theorie ergründen oder sich mit einem Arzt beraten. Alles muss schnell gehen, Entscheidungen müssen in kurzer Zeit fallen. Breuer ist deshalb überzeugt: "Das Training am Simulator kann Menschenleben retten." Je realistischer die Simulation, desto besser.

Dennoch muss er in Deutschland noch Überzeugungsarbeit leisten. Außer in Erlangen gibt es kabellose Patientensimulatoren bisher nur in Tübingen, Hannover, Homburg und bei zwei Rettungsdiensten in Essen und Schleswig-Holstein. Das liegt nicht nur daran, dass der SimMan3G etwa 70.000 Euro kostet.

Auch das klinische Personal muss erst überzeugt und geschult werden. Breuers Erlanger Team umfasst mehr als 20 Mitarbeiter. Das ist die Sache wert, findet er: "Einen Piloten setzt man ja auch nicht einfach ins Cockpit, nur weil er ein paar Bücher übers Fliegen gelesen und ein bisschen an einer alten Maschine rumgebastelt hat."

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