Nordsee:Saugrüssel am Meeresgrund

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Ein Saugbaggerschiff holt Sand und Kies für den Straßenbau vom Grund der Nordsee. Umweltverbände wollen das Schiff nun stoppen, weil die Betreiberfirma auch schon in den Schutzzonen gebaggert hat.

Axel Bojanowski

In der Deutschen Bucht kreuzt seit vier Jahren die Charlemagne der Firma OAM-Deme. Das Saugbaggerschiff fördert Sand und Kies, Material, das vor allem für den Straßenbau benötigt wird. Neben dem Schotter saugt der Rüssel des Baggers aber auch alles andere vom Meeresgrund, was in seinem Weg liegt.

Umweltverbände wollen den Kies- und Sandabbau durch OAM-Deme stoppen. (Foto: Foto: AP)

Ein stinkendes Gemisch aus Geröll, Pflanzen, Fischen und Kleintieren ergießt sich aus dem Rohr in den Schiffsbunker. Der Meeresboden wird metertief abgetragen.

Umweltverbände wollen den Kies- und Sandabbau in der Nordsee nun stoppen. Die Organisationen WWF, BUND und Nabu gaben bekannt, dass sie eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission gegen die Abbau-Genehmigungen eingereicht haben.

Die Verbände wollen eine Klage gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof erreichen und die Bundesrepublik zwingen, die Konzessionen für den Abbau zurückzuziehen.

Schutzgebiete, in denen besonders viele Tiere und Pflanzen leben, muss die Charlemagne 500 Meter weit umfahren. Doch die Betreiberfirma hat auch schon in den Schutzzonen gebaggert. Das belegen Aufzeichnungen von Tauchern der Universität Kiel.

Regionen mit besonderer Bedeutung gefährdet

Verschärfend kommt hinzu, dass die Abbaugebiete vor drei Jahren als so genannte "Fauna-Flora-Habitat-Gebiete" (FFH) der Europäischen Union (EU) vorgeschlagen wurden. Das sind Regionen mit "besonderer gemeinschaftlicher Bedeutung", in denen menschliche Eingriffe nur mit Sondergenehmigung und nur unter Auflagen erlaubt werden dürfen.

Vor kurzem wurden die Areale von der EU tatsächlich als FFH-Gebiete festgeschrieben. "Es ist ein Skandal, dass deutsche Behörden immer neue Genehmigungen in Gebieten erteilen, die schon vor Jahren als Schutzgebiete nach Brüssel gemeldet wurden", sagt WWF-Meeresexperte Uwe Johannsen.

Auch unter den Behörden gibt es Streit über die Genehmigung. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) legte die Schutzgebiete fest. Das Landesbergamt Clausthal-Zellerfeld erlaubte dennoch den Kiesabbau.

Beide Behörden können sich auf legitimen Rückhalt berufen: Die Versorgung mit Bodenschätzen ist in der Rohstoffsicherungsklausel gesetzlich verankert. Dem steht jedoch das öffentliche Interesse am Naturschutz gegenüber. Beides muss bei der Vergabe von Nutzungsrechten abgewogen werden.

Die Kiesförderung sei ein gravierender Eingriff, sagt Henning von Nordheim vom BfN. Der Lebensraum am Meeresboden werde vollständig zerstört. Die dort heimischen Sandaale etwa sind Hauptnahrung der Kegelrobbe, mehrerer Vogelarten und des Schweinswals, dessen Bestand bereits deutlich zurückgegangen ist.

Abbau-Genehmigung nach jahrelanger Prüfung vergeben

Die Abbau-Genehmigung sei erst nach jahrelanger Prüfung gegeben worden, kontert das Landesbergamt. Das Gesetz sieht bei Nutzungsanträgen für derart große Gebiete die so genannte "Umweltverträglichkeitsprüfung" vor. Beschlossen wurde schließlich, dass OAM-Deme zum Ausgleich für den Kiesabbau Ersatzzahlungen für ausgewählte Umweltschutzmaßnahmen leisten muss.

Nutzungsrechte in der Nordsee würden zu leichtfertig vergeben, argumentiert der WWF. Das Landesbergamt habe die Fördererlaubnis erteilt, ohne den Meeresgrund genauer zu überprüfen.

Die hohe Nachfrage nach Kies und Sand setzt die Behörde unter Druck: 460 Tonnen Sand und Kies benötigt ein Deutscher durchschnittlich im Laufe seines Lebens - weit mehr als von jedem anderen Rohstoff. Bei Erdöl, das an zweiter Stelle steht, ist es nur ein Drittel der Menge. Vor allem als Schotter für den Straßen- und Bahnbau und als Grundstoff für Beton sind Kies und Sand gefragt.

Und Rohstoffe ließen sich nicht gewinnen, ohne die Natur zu schädigen, erklärt der Geschäftsführer von OAM-Deme, Klaus Bäätjer. Eine vernünftige Interessenabwägung zwischen Wirtschaft und Naturschutz habe nicht stattgefunden, meint hingegen Onno Gross von der Meeresschutzorganisation Deepwave.

Um nicht alles Leben am Meeresboden auszulöschen, stellte das Landesbergamt Clausthal-Zellerfeld immerhin die artenreichsten Areale unter Schutz: Diese kilometerlangen Wälle und Inseln aus Felsen, Kies und Sand muss der Saugbagger nun mindestens 500 Meter weit umfahren. Dort finden etwa Muscheln, Seelilien, Würmer und Seeigel Halt und Unterschlupf. Viele dieser Lebewesen stehen auf der Roten Liste der bedrohten Arten.

Der Sicherheitsabstand des Schiffes zu den Riffen erscheint notwendig. Denn die Trübefahne des Schiffes, die wochenlang im Wasser treibt, soll fernbleiben. Sie entsteht, weil an Bord der Charlemagne die nicht erwünschten Sandkorngrößen ausgesiebt werden. Lebewesen, die Nährstoffe aus dem Wasser filtern, würden an den aufgewirbelten Körnchen zugrunde gehen, denn ihre Filterorgane verstopften, warnt Johannsen.

Weiteres Areal bewilligt

Bereits vor zwei Jahren hatte eine Inspektion des BfN ergeben, dass auch in den Schutzzonen gebaggert wurde. Das Gesetz sieht bei Verstößen gegen die Auflagen neben einer Verwarnung auch Strafe und gar ein Verbot der Rohstoffförderung vor. Zwar hatte das Landesbergamt vor zwei Jahren erklärt, "der Sache nachzugehen".

Die Behörde habe jedoch keine Konsequenzen gezogen, sagt der WWF. Im Gegenteil: Trotz der Verstöße gegen die Auflagen wurde OAM-Deme im Juni der Kiesabbau in einem weiteren Areal bewilligt. Nun haben Taucher der Universität Kiel und eines Ingenieurbüros wieder Baggerspuren in Schutzgebieten entdeckt.

Die Fördergebiete dehnen sich über eine stattliche Fläche. Sie liegen mehr als 60 Kilometer nordwestlich von Helgoland. Im Gebiet der "Weißen Bank", die etwa so groß ist wie München, baggert die Charlemagne seit vier Jahren. Der Abbau auf einem ähnlich großen benachbarten Areal namens "OAM3" wurde ebenfalls genehmigt. Dort darf OAM-Deme 45 Jahre lang Kies fördern. Zwar hat die Firma die Konzessionen für die Gebiete, sie muss ihre Abbaupläne auf den genehmigten Arealen dennoch alle paar Jahre überprüfen lassen. Derzeit wird aber bereits über die Vergabe eines dritten Feldes namens BSK1 verhandelt.

© SZ vom 20.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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