Nonnengänse:Serengeti an der Nordsee

Nonnengänse in Westerhever

Nonnengänse in Westerhever

(Foto: dpa)

Tausende Nonnengänse überfliegen Norddeutschland und plündern die Felder. Erste Landwirte wollen nun zur Flinte greifen. Doch das wäre keine gute Idee.

Von Marc Widmann

Wenn sie starten, erhebt sich eine schwarze Wolke aus den Feldern; dann wird es dunkel am Himmel und in der salzigen Luft liegt ein Schnattern und Flattern, so laut, als würde ein Airbus abheben. Wer in diesen Tagen an der deutschen Wattenmeer-Küste entlangspaziert, zum Leuchtturm von Westerhever etwa, dem offenbart sich ein Festival der Natur: Gleich zwei Meere liegen da, am Horizont die Nordsee, davor ein Ozean aus Nonnengänsen. Zu Tausenden sitzen sie da und fressen. "Dieser Anblick ist der Wahnsinn", sagt Vogelkundler Klaus Günther von der Schutzstation Wattenmeer, "das ist wie die Serengeti vor der eigenen Haustüre."

Er ist ein kleines Naturwunder, denn in den Fünfzigerjahren waren die Nonnengänse fast ausgestorben, sie wurden in ihrer russischen Heimat gern verspeist. Erst seit einigen Jahren werden sie nicht mehr gejagt, jetzt vermehren sie sich rasant, auch das mildere Klima begünstigt ihre Ausbreitung. Das Problem ist nur: Wenn die Tiere mit dem weißen Gesicht in Deutschland rasten, sind sie hungrig. Sehr hungrig. Sie kommen aus ihrem Winterquartier in den Niederlanden und müssen sich in wenigen Wochen fettfressen für den Heimflug an die Eismeerküste. Weil sie große und schwere Vögel sind, müssen sie eine gewaltige Menge Grün abknabbern. Die Felder von Lars Kaper am Jadebusen zum Beispiel.

"Die Gänse verursachen Millionenschäden"

Der Landwirt zeigt einen Acker, auf dem er Winterweizen ausgesät hat. Eigentlich müsste das Feld grün sein, es ist aber rabenschwarz. "Da sehen Sie keine Pflanze mehr", sagt Kaper. Die Gänse haben es auf ihrer Hinreise im Herbst abgeäst, bald schauen sie auf dem Rückweg wieder vorbei. Kaper stellt Paletten mit Flatterbändern auf, aber es hilft nichts. "Die Nonnengänse kommen inzwischen in Stückzahlen, dass man sich fragt: Wo bleibt da eigentlich der Mensch?"

Beim Bauernverband in Friesland sprechen sie von einer Plage. "Die Gänse verursachen Millionenschäden", sagt Geschäftsführer Manfred Ostendorf. Manche Bauern fordern, sie abzuschießen.

Für Vogelkundler Günther ist das keine schlaue Idee. "Wenn sie bejagt werden, verlieren sie Energie und fressen noch mehr." In seinen Augen sind die Bauern mitverantwortlich dafür, dass die Gänse in Deutschland so freudig rasten und speisen: Die intensive Landwirtschaft biete den Tieren "einen gedeckten Tisch", allzeit gut gedüngt. "Die Gänse schmecken, dass da energiehaltige Pflanzen wachsen." Und kommen immer wieder. In den nächsten Wochen zu Hunderttausenden. Ärger mit den Vögeln gibt es auch im Süden.

An bayerischen Badeseen hinterlassen Grau- und Kanadagänse ihren Kot auf Liegewiesen, wo sich dann keiner mehr sonnen will. Die kanadische Stadt Ottawa vertreibt die Gänse in ihrer Not inzwischen sogar mit einer Drohne.

Nur auf den deutschen Halligen, den Marschinseln vor der Küste, machen sie ein Geschäft aus den gefräßigen Tieren. Auch hier knabbern Ringelgänse die Weiden kahl, doch anstatt sie zu vertreiben, lockt man mit ihnen die Touristen an. "Ringelganstage" heißt das Spektakel. Dabei können die Besucher im April den "Rubensindex" der Tiere schätzen: Je runder die Gans, desto rascher wird sie aufbrechen und davonfliegen, in einer riesigen schwarzen Wolke.

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