Nobelpreis für Chemie für drei Amerikaner:Experimente im Cyberspace

Die diesjährigen Nobelpreisträger haben die Modellbastelei der Chemiker obsolet gemacht: Computermodelle ersetzen Plastikkugeln und -stäbe und bilden chemische Prozesse realistisch ab. Für die Entwicklung der dazu notwendigen Programme erhalten die US-Amerikaner Martin Karplus, Michael Levitt und Arieh Warshel den Chemie-Nobelpreis.

Die Akademie der Wissenschaften in Stockholm hat bekanntgegeben, dass der Nobelpreis für Chemie dieses Jahr an den in Österreich geborenen US-Amerikaner Martin Karplus, den amerikanisch-britischen Forscher Michael Levitt und den amerikanisch-israelischen Wissenschaftler Arieh Warshel geht.

Die Wissenschaftler werden ausgezeichnet für die Entwicklung mehrskaliger Modelle für komplexe chemische Systeme.

Lange Zeit waren Chemiker auf Plastikkugeln und -stäbe angewiesen, um dreidimensionale Modelle von Molekülen zu erstellen, schreibt die Nobelstiftung. Die drei Forscher legten in den 1970er Jahren die Grundlage für leistungsstarke Computerprogramme, die die Bastelarbeiten der Wissenschaftler obsolet gemacht haben. Heute lassen sich Computermodelle nutzen, um chemische Prozesse zu verstehen und vorherzusagen.

"Dieser Preis handelt davon, das Chemie-Experiment in den Cyberspace zu bringen", sagte Staffan Normark, Ständiger Sekretär der Akademie: "Computermodelle, die das reale Leben widerspiegeln, sind entscheidend für die meisten Fortschritte, die heute in der Chemie gemacht werden."

Allein mit der klassischen Physik lassen sich die Reaktionen zwischen Molekülen kaum realistisch simulieren. Im Bruchteil einer Millisekunde springen dabei Elektronen von einem Atomkern zu einem anderen, die Vorgänge spielen sich mit Lichtgeschwindigkeit ab. Es kommen also Effekte hinzu, mit denen sich die Quantenphysik beschäftigt. Karplus, Levitt und Warshel entwickelten deshalb Methoden, mit denen Wissenschaftler es Computern überlassen können, die Schritte dieser Prozesse abzubilden, heißt es bei der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften.

Die diesjährigen Preisträger haben es ermöglicht, die Erkenntnisse der klassischen und der Quantenphysik zugleich zu nutzen. Deshalb sei ihre Arbeit "bahnbrechend", so die Jury der Nobelstiftung. Zuvor waren Forscher gezwungen, sich für einen Ansatz zu entscheiden. Nun, so schreibt die Akademie, sei es zum Beispiel möglich, den Prozess zu simulieren, wie ein Medikament sich im Körper mit einem Protein verbindet. Um darzustellen, wie jene Atome sich verhalten, die miteinander wechselwirken, sind quantentheoretische Berechnungen notwendig. Für die übrigen Bestandteile der Moleküle lassen sich dagegen die Gesetze der klassischen Physik anwenden.

Nobelpreis für Chemie

Wissenschaftler können heute am Computer chemische Reaktionen auf molekularer Ebene simulieren. Die Quantenphysik wird berücksichtigt für jene Atome, die interagieren, die klassische Physik für die übrigen Teile der Moleküle.

(Foto: Johan Jarnestad/The Royal Swedish Academy of Sciences)

"Heute ist der Computer ein genauso wichtiges Werkzeug für Chemiker wie das Reagenzglas", schreibt die Akademie. "Simulationen sind so realistisch, dass sie die Ergebnisse traditioneller Experimente vorhersagen können."

Und mit dem detaillierten Wissen um die chemischen Prozesse lassen sich zum Beispiel Medikamente, Solarzellen und chemische Katalysatoren optimieren. Bereits jetzt seien tatsächlich einige wenige Medikamente mit dieser Methode mitentwickelt worden, sagte Helmut Grubmüller, Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. "Das hat zum Beispiel mitgeholfen, einen Mix an Medikamenten für Aids-Patienten zu entwickeln." In Zukunft werde die Technik für die Entwicklung von Medikamenten noch wichtiger.

Martin Karplus wurde 1930 in Wien geboren. Er studierte in Harvard und am California Institute of Technology. Karplus forschte an der Universität Strasbourg und in Harvard, an denen er auch Professuren innehatte. Mittlerweile ist er emeritiert.

Michael Levitt ist US-Bürger und Brite. Er kam 1947 im südafrikanischem Pretoria zur Welt. Er promovierte im britischem Cambridge und ist Inhaber eines Lehrstuhl für Krebsforschung an der Universität Stanford in den USA.

Der 1940 im heutigen Israel geborene Arieh Warshel absolvierte seine akademische Ausbildung in Israel. Er ist Professor an der University of Southern California in Los Angeles und ist auch amerikanischer Staatsbürger.

Der Preis ist mit acht Millionen schwedischen Kronen (fast 925.000 Euro) dotiert und wird am 10. Dezember überreicht.

Der Chemie-Nobelpreis wurde erstmals 1901 vergeben, und zwar an den Niederländer Jacobus Henricus van 't Hoff für seine "Entdeckung der Gesetze der chemischen Dynamik und des osmotischen Druckes in Lösungen".

Im vergangenen Jahr ging der Preis an die US-Amerikaner Robert Lefkowitz und Brian Kobilka für ihre Studien zu G-Protein-gekoppelten Rezeptoren - einer Gruppe von Rezeptoren, ohne die wir nicht riechen, nicht sehen und nicht auf Gefahr reagieren könnten.

Mit Gerhard Ertl hat zuletzt 2007 ein Deutscher den Nobelpreis für Chemie erhalten. Ertl wurde ausgezeichnet für seine Studien von chemischen Prozessen auf festen Oberflächen.

Am Dienstag war der Physik-Nobelpreis Peter Higgs und François Englert zuerkannt worden, deren theoretische Überlegungen zur Entdeckung des Higgs-Teilchens geführt hatten. Einen Tag zuvor war der Medizin-Nobelpreis dem gebürtigen Deutschen Thomas Südhof und den beiden US-Forschern James Rothman und Randy Schekman zugesprochen worden. Sie hatten wesentliche Transportmechanismen in Zellen entdeckt.

Am Donnerstag wird der Literaturnobelpreisträger bekanntgegeben, am Freitag folgt der Träger des Friedensnobelpreises.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: