New Horizons:PR für den Eiszwerg

New Horizons spacecraft Pluto flyby

Jubelfeier für Pluto: ein Fotograf im Kommandozentrum der Johns-Hopkins-Universität mit einem Hut, der die Raumsonde New Horizons darstellt.

(Foto: Michael Reynolds/dpa)

Die Nasa hat den Vorbeiflug am Pluto als historisches Ereignis inszeniert. Das ist großartige PR. Aber nicht nur das.

Von Robert Gast

Einundzwanzig Stunden mussten die Forscher warten. Dann hörten sie das erlösende Signal. Ein Piepsen vom Rande des Sonnensystems, gesendet von der Nasa-Sonde New Horizons. Am Tag zuvor war sie als erstes menschgemachtes Objekt am Pluto vorbeigesaust. Und nun kam die Bestätigung aus den Tiefen des Weltraums, dass sie das Rendezvous mit dem berühmten Zwergplaneten gut überstanden hatte. Auf die Minute genau 9 Uhr abends amerikanischer Ostküstenzeit trafen die ersten Daten per Funk ein, 3 Uhr morgens in Mitteleuropa. Höhepunkt und Ende einer Ära zugleich. Denn damit haben Sonden alle allgemein bekannten Himmelskörper erreicht, die um die Sonne kreisen, und sie - kosmisch gesehen - aus nächster Nähe fotografiert. Pluto war da die letzte, wenn man so sagen darf, Terra incognita.

Und so hatte die Nasa, Amerikas Weltraumbehörde, den Vorbeiflug bereits seit Tagen als historisches Ereignis in Szene gesetzt. Die Kinder des Hobbyastronomen wurden interviewt, der Pluto 1930 mit seinem Teleskop entdeckt hatte. Der Nasa-Chef hatte eine patriotische Rede gehalten, und US-Präsident Obama meldete sich per Twitter: "Gratulation zur Vollendung einer drei Milliarden Meilen langen Reise." Mitarbeiter im Kontrollzentrum im US-Bundesstaat Maryland klatschten erleichtert, als das Signal eintraf. Mancher schwenkte eine amerikanische Flagge.

720 Millionen Dollar kostet das Unterfangen - ziemlich viel für ein paar Fotos und Messdaten

Drei Milliarden Meilen, also fast fünf Milliarden Kilometer, hat New Horizons zurückgelegt. Das klaviergroße Raumschiff ist im Januar 2006 von einer Rakete in den Weltraum transportiert worden. Seitdem ist die Sonde unterwegs, hat am Jupiter Schwung geholt und schießt mittlerweile mit 14 Kilometern pro Sekunde durchs All, zwölfmal so schnell wie eine Gewehrkugel.

Trotzdem hat die Reise zum Pluto neuneinhalb Jahre gedauert.

Pluto liegt am Rande des Sonnensystems, das wiederum nur eines von Hunderten Milliarden vergleichbaren Sternsystemen in der Milchstraße ist. Funksignale von dort erreichen die Erde erst nach viereinhalb Stunden. Nur riesige Schüsseln des Deep Space Networks der Nasa können das Piepsen der Sonde auffangen, die Datenübertragung ist quälend langsam. Erst 2016 sollen alle Messdaten und Fotos übertragen sein, die New Horizons in den Stunden des Vorbeiflugs gesammelt hat.

Die Nasa hätte die Sonde gerne länger in der Nähe von Pluto gehalten. Aber um sie in eine Umlaufbahn um den Zwergplaneten zu bugsieren, hätte die Sonde viel mehr Treibstoff mitnehmen müssen. Das war nicht zu finanzieren. Auch so kostet New Horizons bereits 720 Millionen Dollar - viel Geld für eine Mission, die lediglich Fotos schießt von einem toten, minus 233 Grad Celsius kalten Zwerg im Nirgendwo und ein paar Messungen in seiner Stickstoff-Atmosphäre vornimmt.

Für einen Forscher wie Tilman Spohn ist jeder Dollar indes richtig investiert. "Die Kosten der Mission entfallen im Wesentlichen auf die Gehälter für Techniker und Wissenschaftler", sagt der Leiter des Instituts für Planetenforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Die Technik sei gar nicht so teuer, wie immer vermutet werde.

Die ISS kostet ein Vielfaches - bei fraglichem Nutzen

Doch die Diskussion über den Nutzen von Raumfahrt bleibt. Vielleicht lässt die Nasa deshalb keine Gelegenheit aus, die positiven Aspekte hervorzuheben. Unternehmungen wie New Horizons schafften Arbeitsplätze in der Hightech-Industrie, brächten neue Produkte hervor und begeisterten junge Menschen für technische Berufe. "Die Mission inspiriert die nächste Generation", sagt Nasa-Chef Charles Bolden.

Allerdings lässt sich das nur schwer überprüfen. Selbst nach der Mondlandung 1969 ließ sich nicht eindeutig belegen, dass sie die Studentenzahlen in technischen Fächer in die Höhe getrieben hat. Deutlicher ist der Nutzen der Raumfahrt bei den sogenannten Spin-Offs dokumentiert. Also Technologien, die für den Einsatz im Weltraum entwickelt wurden, letztlich aber Menschen auf der Erde zugute kommen. Ein Klassiker ist der Akkubohrer, nicht aber die berühmte Teflon-Pfanne. Ihr Material wurde schon 1943 während des Manhattan-Projekts verwendet, das dem Bau der Atombombe galt.

Pluto galt als neunter Planet des Sonnensystems. Das ist inzwischen vorbei

Generell ist es, was die Kosten angeht, sehr viel aufwendiger, Menschen ins All zu schießen als ferngesteuerte Sonden. So haben Bau und Unterhalt der Internationalen Raumstation (ISS) bisher etwa 100 Milliarden Euro gekostet. Mit der Wissenschaft, die in der Schwerelosigkeit betrieben wird, ist das kaum zu rechtfertigen. Von ein oder zwei Ausnahmen abgesehen, hätten die Experimente auf der ISS die Qualität von Schülerversuchen, schreibt Charles Seife, Professor an der New York University.

New Horizons dürfte also wissenschaftlich eine bessere Investition sein, trotz des raschen Vorbeiflugs. Das liegt vor allem daran, dass die Sonde buchstäblich Neuland erkundet. Bisher weiß man fast nichts über Pluto, der bis 2006 als der neunte Planet des Sonnensystems galt. Dann aber stufte ihn die Internationale Astronomische Union zum Zwergplaneten herab. Man hatte entdeckt, dass es weitere Objekte wie Pluto gibt und jenseits seiner Umlaufbahn etliche, zum Teil tausend Kilometer große Gesteinsbrocken umherrasen. Pluto ist nur der prominenteste Vertreter dieser kosmischen Rumpelkammer, die Astronomen "Kuiper-Gürtel" nennen. Das Material, aus dem die eiskalten Gesteinskugeln bestehen, ist vermutlich mehr als vier Milliarden Jahre alt und hat sich seitdem praktisch nicht verändert. New Horizons soll 2019 an einem dieser urzeitlichen Brocken vorbeifliegen.

Das erklärt indes nicht ganz die Begeisterung, mit der Fans aus aller Welt den Vorbeiflug begleitet haben. Ihn habe das Echo überrascht, sagt Tilman Spohn: "Die Öffentlichkeit hat ein emotionales Verhältnis zu Pluto." Ähnlich sei es mit der Esa-Raumsonde Philae, die vergangenen November auf dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko gelandet war. Vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass die langen Reisen der Sonden den Menschen bewusst macht, wie klein - und zerbrechlich - der Blaue Planet im kosmischen Gefüge ist. Und wie wenig die Menschheit über die Welt da draußen weiß. Und vielleicht ist die Gelegenheit, genau daran zu erinnern, auch ein wenig der Sinn von Raumfahrt.

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