Neurologische Implantate:Schrittmacher für den Geist

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Mit einer elektroenzephalographischen Kappe lassen sich bereits Gehirnströme auslesen und technische Anwendungen steuern (Foto: Michaela Rehle/Reuters)

Mikrochips in der Blutbahn und elektronischer Staub, der im Gehirn eingreift: Forscher wollen Geist und Technologie mit Implantaten verschmelzen. Die Geräte könnten Gelähmten helfen und neue Medikamente hervorbringen.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Der Chip ist so winzig wie ein Reiskorn, doch was sie an der Universität im kalifornischen Stanford gebaut haben, könnte ein gewaltiges Problem lösen: Es soll elektronischen Implantaten den Weg bis in abgelegene Stellen des Körpers bahnen.

Cochlea-Hörhilfen, Herzschrittmacher oder Neuroprothesen: Längst tragen viele Menschen Elektronik in sich. "Wir könnten noch viel mehr machen", sagt John Ho, der das Mini-Implantat mitentwickelt hat, "doch bisher hatten wir immer das Problem der Energieversorgung."

Denn Mikrochips in Implantaten schrumpfen zwar, doch Batterien sind immer noch vergleichsweise groß. Je massiger das Implantat, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich in feineren Strukturen des Körpers Gewebe ansammelt und Signale nicht übertragen werden. Zudem müssen Herzschrittmacher-Träger die Batterien regelmäßig wechseln.

Der Traum: ein Implantat, das auf ewig im Körper bleibt

Diese Hürde möchten die Stanford-Forscher mit dem Reiskorn-Implantat elegant nehmen. Sie haben einen Transmitter entworfen, der, an die Haut gehalten, schwache elektromagnetische Wellen direkt an eine Spirale des Chips schickt, um ihn aufzuladen. Ein erster Versuch, den Herzschrittmacher eines Hasen so am Laufen zu halten, war erfolgreich.

Wenn das Lade- und Größenproblem gelöst ist, könnten Implantate künftig häufiger direkt in Organe und das Gehirn eingesetzt werden. "Der Traum ist ein Mikrochip, der so klein ist, dass er mit einer Nadel injiziert werden kann und niemals ausgewechselt oder neu programmiert werden muss", skizziert John Ho das Ziel.

Mediziner wie der Kardiologe Vivek Reddy sind jedoch skeptisch. Reddy glaubt, dass Patienten mit dem Aufladen überfordert sein könnten. Bei lebenswichtigen Geräten wie Herzschrittmachern sei aber jeder Fehler tödlich.

Die Pharmakonzerne verfolgen Projekte wie diese dennoch mit großem Interesse: Epilepsie-Patienten lassen beispielsweise bereits über Implantate im Brustkorb ihren Vagusnerv stimulieren, die zentrale Verbindung des vegetativen Nervensystems. Die regelmäßige Aktivierung, zum Beispiel alle fünf Minuten für je 30 Sekunden, senkt die Zahl der Anfälle in der Regel. 45 000 Patienten trügen weltweit bereits ein solches Implantat, in Deutschland seien es etwa 700, schätzt die Universität Bonn. Ähnliche Behandlungsmethoden werden auch bei schweren Depressionen angewendet.

Inzwischen mehren sich die Anzeigen, dass sich nicht nur neuronale Krankheiten mit Hilfe elektronischer Implantate behandeln lassen. Forscher am Feinstein Institute for Medical Research im US-Bundesstaat New York wollen etwa am "entzündlichen Reflex" ansetzen, einer Nervenbahn, über die das Gehirn die Aktivität des Immunsystems kontrolliert. In einer Testreihe konnte ein Implantat am Vagusnerv die Schmerzen von Patienten lindern, die unter rheumatoider Arthritis leiden. Die Krankheit wird durch ein überaktives Immunsystem ausgelöst; die Implantate blockierten die Signale zur Ausschüttung entsprechender Botenstoffe.

"Forscher werden sicherlich bald weitere Zell- und Organfunktionen finden, die unter Kontrolle des Gehirns stehen", ist Christopher Czura vom Feinstein Institute überzeugt. Wenn Krankheiten durch "Verschaltungen" im Nervensystem ausgelöst werden, könnten Implantate diese durch "therapeutische Signale" zielgenau korrigieren - womöglich ohne die starken Nebenwirkungen chemischer Wirkstoffe.

Allerdings dämpfen viele Forscher die Erwartungen. Zu komplex ist der Schaltplan des menschlichen Nervensystems, der das Zusammenspiel zwischen Gehirn und Körper regelt. "Wir wissen zu wenig über die einzelnen Schaltkreise der Nervenbahnen und ihre Wechselwirkungen", sagt Pedro Irazoqui, Direktor des Zentrums für implantierbare Geräte an der Universität Purdue in Indiana, der in der Epilepsie-Therapie forscht. "Wir wissen im Moment noch nicht einmal genau, wo genau wir einen Nervenstrang am besten stimulieren." Auch Czura vom Feinstein Institute glaubt, dass noch viel Arbeit nötig sein wird. "Wir brauchen ein Entschlüsselungs-Projekt wie seinerzeit für das menschliche Genom", fordert er.

Auch im kalifornischen Berkeley arbeitet eine Forschergruppe an dem Zusammenspiel zwischen Mensch und Mikrochip: Das Team von Michel Maharbiz und Jose Carmena arbeitet an "neuronalem Staub", der querschnittsgelähmten Patienten helfen soll, Maschinen außerhalb ihres Körpers mit ihren Gedanken zu steuern.

Die Implantate hinterlassen Spuren am Menschen

Das ist bereits heute möglich, hat aber seine Tücken: 2012 ging ein Video um die Welt, in dem sich die Tetraplegie-Patientin Jan Scheuermann von einem Roboterarm füttern lässt, dem sie über ihr Gehirn Befehle gibt. 192 Elektroden übersetzten ihre motorischen Hirnsignale in Computerbefehle. Doch inzwischen messen die Implantate durch die Ansammlung von Narbengewebe immer weniger Neuronen-Aktivität, was die Steuerung erheblich einschränkt.

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Die Berkeley-Forscher wollen daher piezoelektrische Sensoren in Mikrometer-Größe in der Hirnrinde verteilen. Weil sie so klein sind, so hoffen die Forscher, können sie im Gehirn unbeschadet und zeitlich unbegrenzt umher schwimmen. Informationen über neuronale Impulse sollen sie per Ultraschall an ein in die Schädeldecke eingepflanztes Sende-Empfangsgerät schicken.

"Wir sehen das Ganze als eine Schnittstelle für Mensch-Maschinen-Anwendungen", beschreibt Jose Carmena die Idee. Das Schädeldecken-Implantat könnte detaillierte Steuerungen von Prothesen, Robotern oder allen denkbaren drahtlos verbundenen Geräten ermöglichen - vorausgesetzt, die Hirnströme werden in die entsprechenden Computerbefehle übersetzt. Zudem müssten die Schädel der Patienten nicht "verdrahtet" werden, um Mensch und Maschine zu verbinden.

Das Projekt ist derzeit allerdings noch in einer Frühphase erster Tierversuche, viele Fragen sind offen. Wie lässt sich beispielsweise verhindern, dass die Ultraschall-Wellen des Schädel-Implantats Knochen und das sensible Gehirn erhitzen? Bis zu einer Zulassung würde es selbst bei erfolgreichen Tests noch ein bis zwei Jahrzehnte dauern. Weil die Zahl der Betroffenen gering und die Technik teuer ist, hält sich auch die Medizin-Industrie trotz großer Hoffnungen bislang mit Investitionen in aufwändige Neuroprothesen zurück.

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