Neuroforschung:Fernverkabelung

Neuroforschung: Sein Entdecker vergleicht es mit einem Dornenkranz: Ein Claustrum-Neuron im Mäusegehorn, digital rekonstruiert.

Sein Entdecker vergleicht es mit einem Dornenkranz: Ein Claustrum-Neuron im Mäusegehorn, digital rekonstruiert.

(Foto: Allen Institute for Brain Science)

Das Gehirn wird von enorm langen Nervenzellen umwickelt. Forscher fragen sich: Entspringt in diesen Fernleitungen das Bewusstsein?

Von Hanno Charisius

Wie Efeuranken winden sich einzelne Neurone um die Gehirne von Mäusen. Dieses erstaunliche Bild zeigte sich dem Neurowissenschaftler Christof Koch, nachdem es ihm und seinen Mitarbeitern gelungen war, einzelne Nervenzellen zum Leuchten zu bringen. Koch präsentierte die Bilder jüngst auf einer Fachkonferenz in den USA und verglich dabei das Neuron mit einem Dornenkranz: Noch nie habe jemand einzelne Nervenzellen gesehen, die sich so weit im Gehirn ausbreiten. Diese Neurone entspringen einem kleinen Gehirnbereich namens Claustrum. Koch vermutet dort den Sitz des Bewusstseins.

Dass es solche Langstreckenverbindungen zwischen den verschiedenen Hirnarealen geben muss, ist Experten bereits lange klar. Doch erst Kochs neue Methode konnte diese sichtbar machen. Seine Mitarbeiter veränderten die Mäusezellen genetisch so, dass sie aufleuchten, sobald den Tieren ein Wirkstoff gespritzt wird. In Hirnschnittbildern tauchen die leuchtenden Neurone immer wieder auf, und werden einzelne Aufnahmen im Computer übereinander geleget, lässt sich ein 3D-Bild rekonstruieren. Bekommen die Tiere sehr wenig von dem Wirkstoff, leuchten nur einzelne Neurone. So wird es viel einfacher, sie in den Schnittbildern wiederzufinden.

Für die Kartierung des Gehirns reicht menschliche Intelligenz alleine nicht aus

Um das Geflecht der Nervenzellen im Gehirn zu entschlüsseln und daraus etwas über dessen Funktionsweise und vielleicht das Bewusstsein zu lernen, hatte sich in den vergangenen Jahren eigentlich ein anderer Ansatz durchgesetzt. Salzkorngroße Würfel aus Hirngewebe werden dabei in ultrafeine Scheiben geschnitten und diese mit Elektronenmikroskopen eingescannt. Gehirne in so starker Vergrößerung bilden Schwarz-Weiß-Muster aus Kreisen, Ovalen, Linien und Punkten ohne erkennbare Ordnung. Dieser Teil der Hirnkartierung lässt sich noch gut automatisieren, doch dann kommt Handarbeit. Menschen versuchen, in jedem Schnittbild Neurone wiederzuerkennen und farbig zu markieren. Ein Computer kann aus den eingefärbten Bildern dann die Verläufe der einzelnen Neurone zusammensetzen, samt aller Berührungspunkte mit anderen Nervenzellen, über die sie Informationen austauschen.

Das menschliche Gehirn besteht durchschnittlich aus 85 Milliarden Nervenzellen von denen jede mit 1000 anderen Zellen in Kontakt steht. Mit menschlicher Intelligenz lassen sich kleine Gewebestücke so noch untersuchen. Doch um einen Blick auf das ganze Gehirn zu werfen, ist Künstliche Intelligenz notwendig, wie sie gerade von Jörgen Kornfeld vom Max Planck Institut für Neurobiologie in Martinsried und seinen Kollegen entwickelt wurde. Das künstliche Neuronale Netz arbeite mindestens so zuverlässig wie ein konzentrierter Mensch bei der Kartierung. Nur ermüde die Maschine nicht und mache daher keine Flüchtigkeitsfehler.

Zusammen mit einem neuen Elektronenmikroskop, das Hirnbilder 50-mal so schnell erfasst wie seine Vorgänger, erscheint die Digitalisierung zumindest eines ganzen Mäusehirns nun möglich. Kornfeld schätzt die dabei entstehende Datenmenge auf 100 Petabyte, "das ist viel, aber im Vergleich zu dem, was Facebook oder Google verarbeiten, übersichtlich." Fünf bis zehn Jahre könnte es dauern, ein komplettes Mäusehirn zu kartieren. "Wir werden viel Neues entdecken." Zum Beispiel, wie viele es von den hirnumspannenden Neuronen gibt. Nur ob sie in dem statischen Abbild eines Gehirns Bewusstsein finden werden, da ist Kornfeld zumindest heute noch skeptisch.

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