Neurobiologie:Wie sich die Gedächtnisleistung verdoppeln lässt

Neurobiologie: Die Forscher wollen verstehen, wie das Gedächtnistraining das Gehirn verändert.

Die Forscher wollen verstehen, wie das Gedächtnistraining das Gehirn verändert.

(Foto: Getty Image; Collage Jessy Asmus/SZ.de)

Ob Gedächtniskünstler oder Laie: Ein spezielles Training verbessert die Merkfähigkeit langfristig.

Von Astrid Viciano

Als Boris Konrad zum ersten Mal an den Experimenten teilnahm, weihten ihn seine Laborkollegen noch nicht in ihre Pläne ein. Er lernte Wörter wie "Klebstoff", "Maus" und "Dudelsack", 72 an der Zahl. Um sie alle später wieder aus seinem Gedächtnis abrufen zu können. Konrad war das gewöhnt, fand sich der Physiker und Computerwissenschaftler doch zehn Jahre lang unter den Top Ten der Weltrangliste der Gedächtniskünstler. Diesmal jedoch übte er nicht für einen Wettkampf. Sein Gehirn sollte an der Radboud-Universität im niederländischen Nijmegen untersucht werden. "Wir wollten verstehen, wie ein Gedächtnistraining das Gehirn verändert", sagt Martin Dresler, Neurowissenschaftler und Erstautor der Studie, die in der Fachzeitschrift Neuron erschienen ist.

Dafür brachte Kollege Boris Konrad später noch 22 weitere Gedächtniskünstler von Weltrang ins Labor. Sie alle fütterten ihren Geist mit Wortlisten, legten sich dabei in den Kernspintomografen, damit die Forscher die Aktivität verschiedener Hirnregionen beim Lernen und auch in Ruhe messen konnten. "Alle betonten, dass sie früher kein besonders gutes Gedächtnis hatten, es aber mit einer speziellen Methode trainiert hätten", berichtet Martin Dresler.

Vor dem Experiment konnten sich die Probanden 26 von 72 Wörtern merken. Danach 62

Darum lud der Neurowissenschaftler im Anschluss 51 untrainierte Probanden ein, um einen Teil davon mit genau dieser Methode üben zu lassen. Und um zu sehen, ob und wie sich manche Hirnregionen der Laien im Anschluss an das Training verändern würden. Wie Boris Konrad sollten sich auch die Studienteilnehmer 72 Wörter einprägen, mit Hilfe der von ihm verwendeten Loci-Technik, die Begriffe im Geiste mit einer vertrauten Umgebung verknüpft. "Oft bietet sich die eigene Wohnung an", sagt Dresler. Stand zum Beispiel Brot als erstes Wort auf der Liste, konnten sich die Probanden vorstellen, dass sie ein solches auf ihrem Küchentisch zerbröselten. Folgte Milch als zweiter Begriff, malten sie sich aus, wie sie den Inhalt einer Flasche in ihre Spüle kippten. Die Teilnehmer der Studie trainierten sechs Wochen lang mit einem Online-Programm, 30 Minuten pro Tag. Vor und nach dem sechswöchigen Training maßen die Wissenschaftler die Aktivität in verschiedenen Hirnbereichen.

Wie wichtig zum Beispiel der Hippocampus im Schläfenlappen für das Gedächtnis ist, wissen Ärzte seit der Hirnoperation des Patienten Henry Gustav Molaison. Im Alter von 27 Jahren hatte er sich wegen seiner Epilepsie Teile eben dieser Hirnregionen entfernen lassen. Fortan konnte der junge Mann keine neuen Erinnerungen mehr abspeichern, wurde in der Fachliteratur unter dem Kürzel "H.M." berühmt.

Inzwischen sind Mediziner noch einen Schritt weiter, sie haben erkannt, dass nicht einzelne Hirnbereiche für ein gutes Gedächtnis entscheidend sind. Stattdessen ist bedeutsam, wie gut die Regionen untereinander vernetzt sind. "Wir haben uns sechs solcher Netzwerke angesehen", sagt Martin Dresler. Gemeinsam mit seinen Kollegen stellte er fest, dass sich durch das Training fast 2500 Verbindungen dieser Netzwerke ähnlich verändert hatten wie bei den Gedächtniskünstlern. "Die Folgen des Trainings waren im Gehirn abzulesen", sagt Dresler.

Konnten sich die Probanden vor der ersten Sitzung nur 26 von 72 Wörtern merken, waren es nach den sechs Wochen 62. Sogar vier Monate nach Ende des Trainings schnitten die Teilnehmer noch ähnlich gut ab. In den Kontrollgruppen, die sich den Übungen nicht unterzogen hatten, änderte sich dagegen nichts. Was genau beim Training im Gehirn geschieht, will Dresler nun herausfinden. Um das Erinnern noch besser zu verstehen.

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