Neurobiologie:Böse auf Befehl

Daniel Craig

Handelt im Auftrag seiner Majestät: Daniel Craig als James Bond in einer Szene aus "Casino Royale".

(Foto: dpa)

Kognitionswissenschaftler haben herausgefunden: Das Gehirn schwächt das Verantwortungsgefühl für Übeltaten ab, wenn die Anweisungen dafür von anderen kommen.

Von Werner Bartens

Schlechtes zu tun, ist manchmal ziemlich naheliegend. Das gilt insbesondere dann, wenn die Idee dazu von anderen stammt und man zu einer Untat angestiftet wird oder glaubt, gehorchen zu müssen. Ein Team von Kognitionswissenschaftlern um Emilie Caspar zeigt im Fachmagazin Current Biology vom heutigen Freitag, welche neuronalen Mechanismen dazu beitragen, dass und - wenn ja - wie sehr sich Menschen für ihr Tun verantwortlich fühlen (Bd. 26, S. 1, 2016).

Die Forscher von den Universitäten Brüssel und London haben in mehreren Versuchsreihen Freiwillige untersucht, die andere Probanden bestraften, indem sie ihnen Elektroschocks verpassten oder sie mit einer Geldbuße belegten. In der Hälfte der Fälle kam die Anweisung zur bösen Tat von den Versuchsleitern. In der anderen Hälfte wurde es den Teilnehmern selbst überlassen, Menschen mit Schmerzreizen, finanziell oder auch gar nicht zu peinigen. Um Geschlechtsunterschiede zu vermeiden, nahmen nur Frauen an der Studie teil - und alle Probanden wechselten die Position, sie straften und wurden gestraft.

Zwischen den Gruppen ergab sich ein interessanter Unterschied: Wer andere aus freien Stücken peinigte, nahm die Konsequenzen seines Tuns schneller wahr. Ein Gefühl der Selbstwirksamkeit stellte sich rascher ein. Wurde hingegen den Anweisungen der Versuchsleiter zur Bestrafung gefolgt, waren die im EEG und Kernspin aufgezeichneten Aktivitäten der Hirnströme nicht so ausgeprägt. Zudem zeigte sich, dass mehr Zeit zwischen der Handlung und den wahrgenommenen Folgen des eigenen Tuns verstrich, wenn der Impuls von außen kam. Die Probanden hatten in diesem Fall buchstäblich eine "längere Leitung". "Vermutlich werden unsere grundsätzlichen Gefühle der Verantwortlichkeit vermindert, wenn wir zu etwas gezwungen werden", sagt Patrick Haggard vom University College London, der an der Untersuchung beteiligt war. Ein typisches Verteidigungsmuster der Angeklagten in Prozessen gegen Kriegsverbrecher besteht ja darin, dass sie sich auf Befehlsnotstand berufen, wenn sie zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Sie hätten schließlich nur ihren Vorgesetzten gehorcht.

Gibt es den neurobiologisch geprägten Hang, sich aus der Pflicht zu stehlen?

"Sagen die Leute dies nur, weil sie um die Strafe herumkommen wollen, oder verändern Befehle tatsächlich die Art und Weise, wie wir Verantwortung erleben?", fragt Haggard. Die aktuellen Befunde sprechen dafür, dass die neuronale Verarbeitung einer Handlung im Gehirn tatsächlich abgeschwächt wird, sobald Zwang, Nötigung oder anderer Druck von außen dazukommen. Das Gehirn hat offenbar einen kognitiven Mechanismus der Distanzierung entwickelt. Der bewusst wahrgenommene Zusammenhang zwischen einer Entscheidung, der Handlung selbst und den Folgen wird gelockert.

Wer sich als selbständig handelndes Subjekt erlebt, hat hingegen eine direktere Wahrnehmung von Ursache und Wirkung. "Spürt man ein Gefühl der Selbstwirksamkeit - das heißt, man fühlt sich für die Folgen seinen Handelns auch verantwortlich -, verändert sich die Zeitwahrnehmung für das, was man tut und für die Konsequenzen, die daraus entstehen. Beides rückt dann im Bewusstsein näher zusammen", sagt Haggard.

Die Autoren betonen, dass sie mit ihren Befunden keineswegs aktuelle Kriegsverbrecher oder die zahlreichen Nazi-Täter entschuldigen wollen, die sich in den Nürnberger Prozessen und anderen Gerichtsverfahren damit verteidigt haben, dass sie lediglich Befehle befolgt hätten. Es wäre allerdings interessant zu untersuchen, ob manche Menschen unter Zwang ein weniger ausgeprägtes Gefühl von Selbstwirksamkeit und Verantwortung hätten und daher anfälliger für Übeltaten sind als andere, so die Forscher. "Zum Glück gibt es ja auch immer wieder Menschen, die sich dem Druck nicht beugen und Widerstand leisten", sagt Haggard. Das Böse hat also nicht bei jedem eine Chance.

Allerdings sind Psychologen bis heute darüber erstaunt, wie schnell sich Menschen zu garstigen Handlungen hinreißen lassen. Stanley Milgram hat in seinen berühmt gewordenen Experimenten in den 1960er-Jahren gezeigt, wie groß die Bereitschaft durchschnittlicher Personen ist, andere mittels Stromschlag zu quälen, sobald sie von vermeintlichen Autoritäten dazu aufgefordert werden. Auch in der aktuellen Studie war kein bestimmter Persönlichkeitstyp davor geschützt, sich unter Druck von seinem Handeln zu distanzieren.

In früheren Untersuchungen hatten die Forscher um Caspar und Haggard bereits gezeigt, dass Menschen sich weniger verantwortlich für ihr Handeln fühlen, wenn es negative Auswirkungen hat. Das stützen Studien aus der Sozialpsychologie: Menschen neigen dazu, Erfolge für sich zu reklamieren und die Misserfolge wegzudiskutieren. Gutes hat man eben stets selbst geleistet, an allem Schlechten haben hingegen die anderen Schuld.

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